Rz. 1

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Nach Art 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den einfachen Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes. Zu diesen allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören das Völkergewohnheitsrecht sowie allgemeine Rechtsgrundsätze, dh Rechtsgrundsätze, die in den meisten Rechtsordnungen der Staaten gelten. Völkerrechtliche Verträge, wie zB Abkommen zur Vermeidung der > Doppelbesteuerung gehören nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, sondern müssen durch eine besondere Rechtsnorm (Gesetz oder Verordnung) in das nationale Recht übernommen werden und haben die Rechtsqualität dieser Rechtsnorm.

I. Allgemeine Regeln des Völkerrechts

 

Rz. 2

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Steuerrechtliche Befreiungsregelungen, die zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören, enthalten das Wiener Übereinkommen über diplomatische BeziehungenWÜD – (BGBl 1964 II, 957; 1965 II, 147) und das Wiener Übereinkommen über konsularische BeziehungenWÜK – (BGBl 1969 II, 1585; 1971 II, 1285). Die Abkommen gelten unbestritten gegenüber solchen Staaten, die diesen beigetreten sind. Das waren am 01.07.2021 bereits 193 von insgesamt rund 195 Staaten, also nahezu alle Staaten der Erde. Ein größerer Staat, der bisher nicht beigetreten ist, ist der > Südsudan. Im Verhältnis zu den nicht beigetretenen Staaten ist nach Auffassung der FinVerw die VerwAnordnung vom 13.10.1950 (MinBlFin 1950, 631) weiterhin maßgebend (vgl H 3.29 EStH). Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Regelungen im WÜD/WÜK nicht bereits Teil des Völkergewohnheitsrechts geworden sind und damit als übergeordnetes Recht die VerwAnordnung vom 13.10.1950 verdrängen (vgl dazu Heitzen, Die Befreiung ausländischer Diplomaten von deutscher Besteuerung, Archiv des Völkerrechts, Band 45, S 455–483). Diese rechtstheoretische Frage dürfte jedoch kaum von praktischer Bedeutung sein.

 

Rz. 3

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Die Wiener Übereinkommen (> Rz 2) gewähren den begünstigten Personen (> Rz 51 ff und > Rz 87 ff) ua mehr oder weniger umfangreiche Immunität und Steuerbefreiungen im Tätigkeitsstaat, wenn sie dort nicht ständig ansässig (> Rz 4 ff) sind und nicht (ausnahmsweise) die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates besitzen. Bezüglich der ESt/LSt befreien das WÜD/WÜK grundsätzlich alle > Einkünfte der Diplomaten und Berufskonsuln. Ausgenommen sind lediglich Einkünfte aus privatem, im Hoheitsgebiet des Empfangsstaats gelegenem unbeweglichem Vermögen, es sei denn, dass der Diplomat oder Konsul es im Auftrag des Entsendestaats für die Zwecke der Mission bzw konsularischen Vertretung in Besitz hat, sowie andere private Einkünfte, deren Quelle sich im Empfangsstaat befindet. Diese Regelungen dienen dazu, die Interessen des entsendenden Staates zu schützen. Sie sind weder aus steuerpolitischen Gründen geschaffen noch auf das Steuerrecht abgestimmt. Sie regeln uE nicht die Qualität der Steuerpflicht, dh die Frage, ob und ggf wo eine Person unbeschränkt oder beschränkt stpfl ist (> Rz 8). Wenn die Abkommen bestimmen, dass eine Person von einer Steuer befreit ist, dann ist damit lediglich eine Steuerbefreiung im Tätigkeitsstaat gemeint. Ob und wie diese Einkünfte im Entsendestaat oder einem anderen Staat steuerlich behandelt werden, regeln die Abkommen nicht. Dazu bedarf es nationaler Bestimmungen (aA BFH/NV 1997, 664).

1. Ständige Ansässigkeit

 

Rz. 4

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Nach dem WÜD/WÜK sind die darin gewährten Steuerbefreiungen davon abhängig, dass eine Person im Empfangs- bzw Tätigkeitsstaat nicht ständig ansässig ist. Der völkerrechtliche Begriffständig ansässig’ ist im WÜD/WÜK jedoch nicht definiert (EFG 2001, 552 mwN). Er ist nicht mit der unbeschränkten Steuerpflicht nach nationalem Recht aufgrund eines Wohnsitzes nach § 1 Abs 1 Satz 1 EStG iVm § 8 AO identisch. Völkerrechtlich ist eine Person im > Inland ständig ansässig, wenn sie sich hier nicht nur wegen ihres Arbeitsverhältnisses aufhält.

 

Rz. 5

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Ständig ansässig ist eine Person idR dann, wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Anstellung durch die diplomatische Mission oder konsularischen Vertretung bereits längere Zeit im Empfangsstaat ihren > Wohnsitz hatte. Aber auch dann, wenn sie sich längere Zeit im Empfangsstaat aufhält, kann sie dort ständig ansässig werden. Das AA geht dabei von einem Zeitraum von 10 Jahren aus. Neben der Dauer des Aufenthalts im Inland sind jedoch auch die subjektiven Einschätzungen durch den Betroffenen, die Anstellung des Betroffenen im Entsende- oder Empfangsstaat, der Personenstand des Betroffenen, insbesondere die Frage, ob er/sie mit einer Person verheiratet ist, die die Staatsangehörigkeit des Empfangsstaates besitzt, sowie die Aussicht, als Bediensteter des Entsendestaates künftig noch in anderen Staaten beschäftigt zu werden, von Bedeutung (vgl Seidenberger, Die diplomatischen und konsularischen Immunitäten und Privilegien, S 147f). Lebt eine Person bereits seit 25 Jahren oder länger in Deutschland, ist von s...

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