Rz. 57

Stand: EL 128 – ET: 11/2021

Rechtswidrige VA dürfen grundsätzlich, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 130 Abs 1 AO). Rechtswidrig ist ein VA, wenn bei seinem Erlass von einem tatsächlich nicht gegebenen Sachverhalt ausgegangen oder das im Zeitpunkt seines Erlasses geltende Recht unrichtig angewandt worden ist (BFH 223, 344 = BStBl 2009 II, 334). Bei einem Verstoß gegen Rechtsnormen ist es unerheblich, ob das materielle Recht oder das Verfahrensrecht verletzt wurde. Enthält der VA allerdings offenkundig schwerwiegende Fehler, so kann er nichtig und damit von Anfang an unwirksam sein (§ 125 iVm § 124 Abs 3 AO). Auch in diesem Fall kommt jedoch eine Rücknahme des VA nach § 130 Abs 1 AO in Betracht. Diese ist zwar nicht erforderlich, weil ein nichtiger VA keine Bindungswirkung entfalten kann. Von ihm geht jedoch der Rechtsschein der Wirksamkeit aus, sodass auch dieses zurückgenommen werden kann (BFH 143, 506 = BStBl 1985 II, 579; BFH 176, 181 = BStBl 1995 II, 341; BFH/NV 2021, 1057).

 

Rz. 58

Stand: EL 128 – ET: 11/2021

Ein rechtswidriger VA, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender VA), kann nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs 2 AO zurückgenommen werden, zB wenn er auf unzutreffenden oder unvollständigen Angaben des Stpfl beruht (§ 130 Abs 2 Nr 3 AO).

Beruht ein belastender VA auf unzutreffenden oder unvollständigen Angaben des Stpfl, ist eine Rücknahme nach Ablauf der Einspruchsfrist regelmäßig nicht zulässig (BFH/NV 2011, 759).

 

Rz. 59

Stand: EL 128 – ET: 11/2021

Die Rücknahme steht im > Ermessen des FA. Dabei sind die Gesichtspunkte der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens bezogen auf den Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des VA darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Betroffene keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, es sei denn, die Rechtswidrigkeit wird lediglich behauptet, ohne dies zu begründen (BFH 157, 1 = BStBl 1989 II, 749).

 

Rz. 60

Stand: EL 128 – ET: 11/2021

Hat das FA einen Haftungsbescheid im Rechtsbehelfsverfahren zurückgenommen, so liegt in dem späteren Erlass eines erneuten Haftungsbescheids für denselben Sachverhalt die Rücknahme eines begünstigenden VA, die nur unter den Voraussetzungen von § 130 Abs 2 AO zulässig ist (BFH 143, 203 = BStBl 1985 II, 562; vgl Buciek, BB 1987, 800 [802]). Ebenso gilt § 130 Abs 2 AO beim Erlass eines ergänzenden Haftungsbescheids für denselben Sachverhalt, mit dem das FA Steuerbeträge nachfordert (BFH 205, 539 = BStBl 2005 II, 3). Ebenso kann die "ersatzlose" Aufhebung eines Bescheids, zB eines Haftungsbescheids, einem neuen Bescheid gegen den ArbG – nicht auch gegen den ArbN (glA Offerhaus, StBp 1986, 286) – entgegenstehen (BFH 147, 215 = BStBl 1986 II, 779). Ein selbständiger begünstigender VA ist auch die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen im Rahmen einer ESt-Veranlagung (OFD München vom 20.11.2002, DStZ 2003, 88; OFD Düsseldorf vom 21.07.2005, HaufeIndex 1 406 444; > Veranlagung von Arbeitnehmern Rz 190 ff; ergänzend > Abrechnungsbescheid). Auch die Familienkasse bedient sich eines Abrechnungsbescheids zur Rückforderung vonKindergeld Rz 65. Für die Gewährung der Altersvorsorgezulage gilt aber § 90 Abs 3 EStG als lex specialis (> Rz 66 ff).

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