Rz. 31

Stand: EL 128 – ET: 11/2021

Ist ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Stpfl berücksichtigt worden, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen (gesetzeswidrige Doppelerfassung), so ist der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern (§ 174 Abs 1 AO).

 

Beispiel 1:

a) Die Zuwendungen eines ArbG an einen ArbN werden sowohl der Lohnsteuer als auch der Schenkungsteuer unterworfen; > Arbeitslohn Rz 121 (Objektkollision).

b) Laufende Bezüge eines Lohnzahlungszeitraums, der am 10.01.2022 endet, sind sowohl im Jahr 2021 als auch im Jahr 2022 erfasst worden (Periodenkollision).

c) > Einnahmen des A werden versehentlich auch bei B erfasst (Subjektkollision).

In allen Beispielsfällen ist der fehlerhafte Bescheid auf Antrag des Stpfl nach § 174 Abs 1 AO aufzuheben oder zu ändern.

Eine widerstreitende Steuerfestsetzung iSd § 174 Abs 1 AO kann auch der Bescheid einer FinBeh aus dem EU-/EWR-Ausland begründen (BFH 238, 1 = BStBl 2013 II, 566; AEAO zu § 174 Nr 5 – mit Beispiel); anders bei Drittstaaten (EFG 2014, 705 = DStRE 2015, 181). Ein Widerstreit zwischen einem inländischen und einem ausländischen > Steuerbescheid liegt nicht vor, wenn derselbe Sachverhalt im Ausland bei der > Bemessungsgrundlage für die Steuer und im Inland iRd > Progressionsvorbehalt hätte berücksichtigt werden können (BFH 263, 492 = BStBl 2020 II, 463; BFH/NV 2019, 674).

 

Rz. 32

Stand: EL 128 – ET: 11/2021

§ 174 Abs 1 AO gilt sinngemäß, wenn derselbe Sachverhalt in mehreren Bescheiden zugunsten eines oder mehrerer Stpfl berücksichtigt worden ist (§ 174 Abs 2 AO). Das gilt aber nur, wenn die Änderung durch einen Antrag oder eine Erklärung des Stpfl angestoßen worden ist (§ 174 Abs 2 Satz 2 AO). § 174 Abs 2 AO greift somit immer dann, wenn der Stpfl die vorteilhafte Festsetzung durch eine objektiv falsche Darstellung verursacht hat (BFH 139, 347 = BStBl 1984 II, 510). Demzufolge darf nicht nach § 174 Abs 2 AO geändert werden, wenn der Stpfl den für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt vollständig und richtig dargestellt hat (BFH 132, 182 = BStBl 1981 II, 388). Auch Fehler im amtlichen Steuererklärungsvordruck rechtfertigen keine Änderung nach § 174 Abs 2 AO (BFH 269, 257 = BFH/NV 2021, 80).

 

Beispiel 2:

Der ArbN C hat im VZ 2021 im Wege der Gehaltsumwandlung Beiträge zu einer Direktversicherung erbracht, die der ArbG im Rahmen der BetrAV angelegt und nach § 3 Nr 63 EStG steuerfrei belassen hat (> Betriebliche Altersversorgung Rz 140 ff). Der Direktversicherer hat C irrtümlich einen amtlichen Antragsvordruck für die Altersvorsorgezulage übersandt, den C ausgefüllt und unterschrieben hat; die > Zentrale Stelle Rz 1 (§ 81 EStG) hat dem Versicherer die Zulage überwiesen. C machte in seiner > Steuererklärung zu den Versicherungsbeiträgen keine Angaben. Im Rahmen einer > Außenprüfung wird dieser Sachverhalt im Wege einer > Kontrollmitteilung an das > Wohnsitz-Finanzamt von C aufgedeckt. Das FA darf im Wege der Änderung des bestandskräftigen ESt-Bescheids für C die steuerfrei belassenen Beiträge nachversteuern (§ 174 Abs 2 AO), weil § 3 Nr 63 EStG voraussetzt, dass keine Altersvorsorgezulage gewährt wird (> Betriebliche Altersversorgung Rz 148, > Private Altersvorsorge Rz 26) und die doppelte Berücksichtigung des Sachverhalts (Doppelförderung der Beiträge) auf eine unvollständige > Steuererklärung des C in Anlage N zurückzuführen ist.

 

Rz. 33

Stand: EL 128 – ET: 11/2021

Das FA darf die Aufhebung oder Änderung – auch ohne Antrag – bis zum Ende der Festsetzungsfrist (> Verjährung von Steueransprüchen), darüber hinaus bis zum Ablauf eines Jahres, nachdem der letzte betroffene Bescheid unanfechtbar geworden ist, vornehmen (§ 174 Abs 1 Satz 2 AO). Wird die Änderung aufgrund eines Antrags vorgenommen, ist es ausreichend, wenn der Antrag innerhalb dieser Frist gestellt worden ist (§ 174 Abs 1 Satz 3 AO). Wenn ein > Steuerbescheid nicht gemäß § 174 Abs 2 AO aufgehoben oder geändert werden darf, weil die widerstreitende Steuerfestsetzung nicht auf einem Antrag oder einer Erklärung des Stpfl beruht, so kann die Aufhebung oder Änderung idR nicht auf § 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AO (> Rz 9 ff) mit der Begründung gestützt werden, der Stpfl verstoße gegen den Grundsatz von > Treu und Glauben, indem er die Zustimmung zur Berichtigung des Bescheids verweigerte (BFH 187, 396 = BStBl 1999 II, 158).

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