Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für im EU-Ausland lebenden Elternteil

 

Leitsatz (amtlich)

Dem im EU-Ausland lebenden Elternteil, der zwar das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, aber weder die Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 EStG, 1 Abs. 1 BKGG erfüllt noch gemäß Art. 11 ff. der VO (EG) Nr. 883/2004 den deutschen Rechtsvorschriften unterliegt, steht nicht der vorrangige Kindergeldanspruch nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG zu.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 64 Abs. 2 S. 1; BKGG § 1 Abs. 1; EGV 883/2004 Art. 11 ff

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte die Auszahlung des Kindergeldes an den in Deutschland wohnhaften und erwerbstätigen Kläger mit der Begründung ablehnen durfte, dass der in Polen wohnhaften, nicht erwerbstätigen Kindesmutter, in deren Haushalt das gemeinsame Kind aufgenommen ist, gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG der vorrangige Kindergeldanspruch zusteht.

Der in H (Deutschland) wohnhafte Kläger ist der leibliche Vater des am 05. Januar 1989 geborenen ledigen Kindes P und war zunächst in N (Deutschland) (seit Januar 2006) und anschließend in H (seit November 2007) im Bereich „Raumausstatter, Trockenbau, Garten- und Landschaftsbau“ selbständig tätig (vgl. Bl. 44, 59 d. KG-Akte). Die Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit betrugen im Jahr 2006 14.650,00 € (vgl. Bl. 33 d. KG-Akte), im Jahr 2007 13.496,00 € (vgl. Bl. 144 d. KG-Akte), im Jahr 2008 14.154,00 € (vgl. Bl. 147 d- KG-Akte) und im Jahr 2009 13.507,00 € (vgl. Bl. 163 d. KG-Akte). Der Kläger verfügt seit dem 02. Dezember 2005 bis laufend über Freizügigkeitsbescheinigungen; die aktuelle Freizügigkeitsbescheinigung ist bis zum 12. Februar 2019 befristet (vgl. Bl. 57, 70, 101 d. KG-Akte). Sozialversichert ist der Kläger nach eigenen Angaben in Deutschland nicht (vgl. Bl. 12 d. KG-Akte); allerdings ist er krankenversichert (vgl. Bl. 53 d. KG-Akte). In Polen ist der Kläger lt. ZUS-Bescheinigung vom 18. Juli 2008 nicht als eine zur Sozialversicherung gemeldete Person eingetragen (vgl. Bl. 67 d. KG-Akte).

P lebt gemeinsam mit der Kindesmutter, Frau D. C., in Polen. Der Kläger und Frau C sind seit dem 25. Februar 1989 miteinander verheiratet. Beide sind polnische Staatsangehörige. Frau C bezieht in Polen eine „feste Polizeirente“ (vgl. Bl. 116 f. d. KG-Akte; nach den Angaben des Klägers handelt es sich um eine wegen Krankheit von der Rentenversicherungsanstalt gezahlte Geldleistung, Bl. 115 ff. d. KG-Akte) und ist nicht erwerbstätig. Lt. Bescheinigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe, B (Polen), vom 21. November 2008 bezieht Frau C für P vom 01. September 2007 bis auf weiteres keine Familienleistungen (vgl. Bl. 75, 76 d. KG-Akte; vgl. auch Bl. 24).

P ist seit dem 01. Oktober 2008 an der University of R (Polen) als Studentin eingeschrieben. Lt. eingereichter Bescheinigung E 402 endet das Studium im Jahr 2011 (vgl. Bl. 108 d. KG-Akte).

Mit Bescheid vom 10. November 2008 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger hälftiges Kindergeld für P ab Dezember 2005 i.H. von 77,00 € fest, da sein Anspruch in Deutschland mit dem Anspruch des anderen Elternteils aufgrund des Wohnsitzes in Polen zusammentreffe (vgl. Bl. 73 f. d. KG-Akte). Mit Bescheid vom 06. Januar 2010 erhöhte die Beklagte den Kindergeldbetrag mit Wirkung zum 01. Januar 2010 auf 92,00 € (vgl. Bl. 112 d. KG-Akte). Einen wegen der Festsetzung von nur hälftigem Kindergeld eingelegten Einspruch des Klägers wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15. April 2010 als unbegründet zurück (vgl. Bl. 131 d. KG-Akte).

Mit Bescheid vom 10. Juni 2010 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für P gegenüber dem Kläger gemäß § 70 Abs. 2 EStG ab Mai 2010 insgesamt mit der Begründung auf, dass P im Haushalt der Mutter lebe und aufgrund von Änderungen im EU-Recht ab 01. Mai 2010 diese nunmehr nach § 64 Abs. 1 EStG den vorrangigen Anspruch auf Kindergeld habe (vgl. Bl. 138 d. KG-Akte).

Hiergegen legte der Kläger mit am 17. Juni 2010 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben Einspruch ein (vgl. Bl. 139 d. KG-Akte). Im Verlauf des Einspruchsverfahrens teilte Frau C der Beklagten mit, dass sie damit einverstanden sei, wenn ihr Ehemann das Kindergeld in Deutschland erhalte (vgl. Bl. 140 d. KG-Akte).

Mit Einspruchsentscheidung vom 16. August 2010 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zwar sei der Anspruch des Klägers auf deutsches Kindergeld wegen seiner selbständigen Erwerbstätigkeit gegenüber dem Anspruch der Kindesmutter auf Familienleistungen in Polen gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchstabe a der VO 883/2004 vorrangig. Von den Rangfolgeregelungen der VO unabhängig zu beurteilen sei jedoch, an wen die Familienleistungen auszubezahlen seien. Das Gemeinschaftsrecht regele nicht, an welche in Betracht kommenden Personen die Familienleistungen auszuzahlen seien. Dies bestimme sich ausschließlich nach dem nationalen Recht des jeweiligen Staates, in Deutschland somit nach § 64 EStG. Hiernach werde das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe (§ 64 Abs. 2 A...

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