rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabenordnung: Keine Wiedereinsetzung wegen Sprachschwierigkeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Ist jemand nicht der deutschen Sprache als Amtssprache (§ 87 Abs. 1 AO) mächtig, hat dieser - wie jeder andere - die ihm in eigener Sache obliegenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Diese Sorgfaltspflicht besteht für den der Amtssprache Unkundigen darin, sich in angemessener Zeit eine Übersetzung der ihm zugehenden amtlichen Schriftstücke zu verschaffen und dann entsprechend zu reagieren. Wird dieser Pflicht nicht genügt, ist bei Versäumung einer Frist keine Wiedereinsetzung zu gewähren.

 

Normenkette

AO § 87 Abs. 1, §§ 110, 355 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, mit der Folge der weiteren Prüfung von Bescheiden über die Aufhebung von Kindergeldfestsetzungen.

Die Klägerin ist Mutter u. a. der Kinder ....

Am 26.01.2004 verstarb der Ehemann der Klägerin und Vater der Kinder an Krebs, nachdem diese Krankheit im September 2003 diagnostiziert wurde.

Nachdem die Klägerin trotz Aufforderung durch die Beklagte Unterlagen zur Prüfung des Kindergeldanspruchs für die Kinder ... nur unvollständig einreichte, hob die Beklagte die Festsetzungen des Kindergeldes auf, und zwar ...

Am 18.05.2006 reichte eines der Kinder bei der Beklagten Unterlagen zur Prüfung des Anspruches der Klägerin auf Kindergeld ein. Die Klägerin bevollmächtigte am 16.08.2006 eine Steuerberaterin zur Vertretung und Wahrnehmung ihrer Interessen in ihren Steuerangelegenheiten. Mit Schreiben vom 28.08.2006, bei der Beklagten eingegangen am 30.08.2006, beantragte die bevollmächtigte Steuerberaterin für die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "bezüglich der Bescheide über Aufhebung der Kindergeldfestsetzungen für die Kinder ...", da die Klägerin "als türkisch stämmige Mitbewohnerin Schwierigkeiten mit amtlichen Schreiben und Bescheide" habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben der Steuerberaterin vom 28.08.2006 verwiesen. Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Einsprüche gegen die Aufhebungsbescheide. Die älteste Tochter der Klägerin teilte der Beklagten am 29.11.2006 mit, dass die Klägerin den Tod des Ehemannes nicht verarbeitet habe. Ferner berichtete die älteste Tochter der Klägerin in diesem Schreiben, dass ihr Ehemann im Jahr 2004 ebenfalls an Krebs erkrankt sei, Anfang des Jahres 2005 in das Krankenhaus gekommen sei, sie sich zu Hause um alles kümmere, und dass die Klägerin sie deshalb wohl nicht mit den Bescheiden habe belästigen wollen.

... Die Beklagte verwarf die Einsprüche gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzungen mit Einspruchsentscheidungen ... jeweils als unzulässig, da die Einspruchsfrist versäumt worden sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11.06.2012 Klage. Sie sei aus gesundheitlichen Gründen wegen einer reaktiven Depression von Januar 2004 bis Dezember 2006 in ärztlicher Behandlung gewesen. Für die Klägerin sei es wichtig gewesen, sehr viel über das Geschehene (den Verlust des Ehemannes) zu reden, um es verarbeiten zu können. Die Klägerin habe deshalb ihren geschäftlichen Verpflichtungen bezüglich der Beklagten mit Vorlage von Nachweisen nicht nachkommen können (Zeugnis Dr. ...). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Atteste vom 10.01.2012 und vom 30.05.2012 des Dr. ... verwiesen. Sie habe nicht rechtzeitig ihre Krankheit als Grund für eine Wiedereinsetzung nennen können, da der Sachverhalt diesbezüglich in der Zeit von August 2006 bis Ende November 2006 nicht ausreichend habe erforscht werden können.

Die Klägerin beantragt

den Bescheid vom 31.01.2006 über die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ... ab Februar 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.05.2012,

den Bescheid vom 01.02.2006 über die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ... ab Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2012 und

den Bescheid vom 02.02.2006 über die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für das Kind ... ab Oktober 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.05.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Einspruch sei verspätet eingelegt worden. Wiedereinsetzungsgründe lägen nicht vor. Es sei nicht erkennbar, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, Einsprüche einzulegen. Die Klägerin habe zudem bereits im August 2006 jedenfalls eine Steuerberaterin mit ihren Kindergeldangelegenheiten beauftragen können. Die vorgelegten Atteste gäben keinerlei Anhaltspunkte zu der Frage, ab wann die Klägerin in der Lage gewesen sei, jemanden mit der Vertretung für ihre Angelegenheiten zu beauftragen bzw. selbst zu handeln. Weder die genaue Diagnose noch die konkrete Behandlung seien nachvollziehbar.

Dem Gericht hat die Kindergeldakte der Beklagten, Nr. ... Bände I und II, vorgelegen. Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.06.2013 ve...

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