Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung von Aufwendungen für die Unterbringung eines Ehepaares in einem Wohnstift als außergewöhnliche Belastung. Altersentlastungsbetrag und Progressionsvorbehalt. Existenzminimum bei Unterbringung in Pflegeheim

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Aufwendungen für die Unterbringung in einem Wohnstift sind – abzüglich einer Haushaltsersparnis – nur dann als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn die Unterbringung in einem Altenheim durch eine Krankheit veranlasst war, nicht dagegen, wenn der Steuerpflichtige während des Aufenthalts erkrankt ist.

2. Die Haushaltsersparnis ist in Höhe der üblichen Kosten eines vergleibaren Haushalts anzusetzen.

3. Aufwendungen der nicht pflegebedürftigen Ehefrau, die mit ihrem pflegebedürftigen Ehemann in ein Pflegeheim übergesiedelt ist, sind nicht nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, da diese nicht zwangsläufig sind.

4. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der Altersentlastungsbetrag nach § 24a EStG nicht auswirkt, weil ausländische Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

5. Das steuerfreie Existenzminimum nach § 32a Abs. 1 EStG verstößt auch im Hinblick auf Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen leben, nicht gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.

 

Normenkette

EStG §§ 33, 32a, 32b, 24a, 35a Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1, Art. 6

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.04.2010; Aktenzeichen VI R 51/09)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig ist, in welchem Umfang Aufwendungen für die Unterbringung im Wohnstift bei Ehegatten als außergewöhnliche Belastungen (agB) berücksichtigt werden können.

Der 1931 geborene Kläger ist seit 1941 an Osteomyelitis erkrankt. Insbesondere seit den siebziger Jahren wurde er deswegen von Fachärzten, auch stationär, fortlaufend behandelt. In den achtziger und neunziger Jahren waren stark arthrotische Veränderungen an mehreren Gelenken entstanden. Seit Herbst 2001 ist der Kläger als Folge dieser Erkrankung pflegebedürftig (Stufe 1). Der Grad der Behinderung wurde ab 30. Januar 2003 auf 90 (Merkzeichen „ag”) festgestellt. Der Kläger war im Streitjahr auf einen Rollstuhl angewiesen, die Klägerin dagegen nicht pflegebedürftig. Sie erhielt Pflegegeld für die Pflege des Klägers.

Die Kläger schlossen im Jahre 1991 einen Vorvertrag mit dem Alters- und Pflegeheim X. in Y.. Sie waren bzgl. der Thematik, wo und wie sie bei sich verschlechternder körperlicher Verfassung ihren Lebensabend verbringen werden, durch Beispiele aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis sensibilisiert gewesen. Im März 1999 zogen die Kläger deshalb von ihrer Wohnung in V. wegen der bestehenden Erkrankung des Klägers und der sicheren Annahme, dass dieser ein Pflegefall werde, dorthin um. Das damalige Stadium seiner Erkrankung hätte den Kläger noch nicht zum sofortigen Übertritt in das Heim gezwungen, sondern die Befürchtung einer alsbaldigen drastischen Verschlechterung, verbunden mit der Gefahr, in das Heim dann nicht mehr aufgenommen zu werden (vgl. Anlage 5 zum Schriftsatz der Kläger vom 3. Dezember 2007). Das Haus hatte sich vertraglich verpflichtet, im Krankheits- bzw. Pflegefall die Kläger im eigenen angemieteten Appartement voll zu versorgen. Die Geschäftsleitung verlangt im Gegenzug vor Abschluss des Heimvertrages ein ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand der zukünftigen Bewohner, um sicherzustellen, dass diese sich noch in einem guten geistigen und körperlichen Zustand befinden.

Im Wohnstift nutzte der Kläger das Appartement 11…, die Klägerin bis zum 29. Dezember 2004 das App. 22… und ab dem 14. Dezember 2004 das App. 33… Die Wohnverträge enthalten Entgeltbestandteile für Wohnen (z.B. wöchentliche Reinigung der Fußböden), für Verpflegung (z.B. Zubereitung eines warmen Mittagsmenüs, alternativ einer Abendmahlzeit oder eines großen Frühstücks) sowie für Betreuung (z.B. Krankenpflege, Notfallbereitschaft).

Am 2. Juni 2005 ging die Einkommensteuererklärung der Kläger für 2004 beim beklagten Finanzamt (FA) ein. Hierin machten sie (neben dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen

Ausgaben in Höhe von 582 EUR zusätzlich) folgende Aufwendungen als außergewöhnliche Belas tungen geltend :

Kläger

Wohnen

bis 30.06.

666,51 EUR * 6 =

3.999,06

ab 01.07.

700,99 EUR * 6 =

4.205,94

8.205

Speisen

300 EUR * 12 =

3.600

Betreuung

332,85 * 12 =

3.994,20

Grundgebühr Strom + Telefon

(8 EUR + 7,70 EUR) * 12 =

188,40

15.987,60

15.987,60

Klägerin App. 22…

Wohnen

bis 30.06.

1.795,45 EUR * 6 =

10.772,70

ab 01.07.

1.848,79 EUR * 6 =

11.092,74

21.865,44

Speisen

300 EUR * 12 =

3.600

Betreuung

332,85 * 12 =

3.994,20

Grundgebühr Strom + Telefon

(8 EUR + 7,70 EUR) * 12 =

188,40

Umzugskosten App. 22…-33…

740,45

30.388,49

30.388,49

Handwerkerleistungen

28,00

Bl. 34 ESt-Akten

46.404,09

Kontogebühren, die auf Verlangen der Direktion anfallen

42,39

Jahresstromabrechnung App. 22…

197,82

11…

- 16,23

Bl. 52 ESt-A.

46.628,07

Einspruchsverfahren, Bl. 4 Rb-A.

H...

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