Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachurteilsvoraussetzungen im Finanzprozeß. Abschnittsbesteuerung und Bindung des Finanzamts an Sachbehandlung in früheren Jahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auffassung, daß Sachurteilsvoraussetzungen, insbesondere was die Durchführung eines nach § 44 Abs. 1 FGO gebotenen Rechtsbehelfsverfahrens angeht, in der Person des jeweiligen Klägers – und zwar auch bei Ehegatten – gegeben sein müssen, ist verfassungsmäßig nicht zu beanstanden.

2. Aus dem der Einkommensteuer zugrundeliegenden Prinzip der Abschnittsbesteuerung folgt, daß für jeden Steuerabschnitt die Grundlage der Besteuerung neu festzustellen und damit Sachverhalt wie Rechtslage neu zu prüfen sind. Das Finanzamt ist an die Sachbehandlung in früherer Zeit grundsätzlich nicht gebunden und kann jeder Veranlagung eine gewandelte Rechtsauffassung zugrunde legen, soweit es sich für die Folgejahre nicht durch Zusagen oder Zusicherungen gebunden hat.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EStG §§ 34f, 2 Abs. 7, § 25 Abs. 1; FGO § 44 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 14.03.1989; Aktenzeichen IX R 43/88)

 

Gründe

Die angegriffene Entscheidung läßt eine Beeinträchtigung der Grundrechte der Beschwerdeführer nicht erkennen.

Ob der Bundesfinanzhof bei der Berücksichtigung des seiner Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts und der darauf beruhenden Rechtsanwendung fehlerfrei vorgegangen ist, ist zunächst eine Frage der Handhabung des einfachen Rechts. Diese im Einzelfall zu kontrollieren, ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Es hat weder die Richtigkeit der Auslegung des einfachen Rechts noch dessen. Anwendung auf den konkreten Fall nachzuprüfen. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber der Entscheidung eines Fachgerichts kommt daher nur in Betracht, wenn sie darauf beruht, daß bei der Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung Grundrechte verletzt oder grundrechtswidrige Gesetze angewandt wurden. Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet daher noch keinen Verfassungsverstoß, es sei denn, daß sie unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 15, 219 ≪221 f.≫; 18, 85 ≪92 f.≫; 52, 131 ≪157 f.≫; 70, 93 ≪97≫). Anhaltspunkte in diesem Sinne sind jedoch nicht ersichtlich.

1. Soweit der Bundesfinanzhof aufgrund der Revision des beklagten Finanzamtes das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Klage der Beschwerdeführerin als unzulässig abgewiesen hat, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß Sachurteilsvoraussetzungen, insbesondere was die Durchführung eines nach § 44 Abs. 1 FGO gebotenen Rechtsbehelfsverfahrens angeht, in der Person des jeweiligen Klägers gegeben sein müssen. Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch für Ehegatten (vgl. etwa BFH-NV 1988, S. 23, 24), Diese Auffassung läßt sich mit hinreichenden sachlichen Gründen rechtfertigen und läßt auch eine Verletzung des Art. 14 GG nicht erkennen.

2. Soweit der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Klage des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen hat, bestehen ebenfalls keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Art. 3 Abs. 1 GG als Ausprägung des Willkürverbotes ist nicht verletzt, denn für die Auslegung, wie sie der Bundesfinanzhof zu § 34 f EStG vertritt, sind jedenfalls sachliche, am denkbaren Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Überlegungen maßgeblich, die sich innerhalb zulässiger Gesetzesauslegung bewegen.

Eine Verletzung des Art. 14 GG kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn diese Grundgesetzbestimmung schützt grundsätzlich nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten (vgl. BVerfGE 78, 214 ≪230≫ m.w.N.), insbesondere auch nicht gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Einkommensteuer, es sei denn, sie belaste den Betroffenen übermäßig und beeinträchtige ihn grundlegend in seinen Vermögensverhältnissen. Von einer in diesem Sinne erdrosselnden Wirkung der Einkommensteuer kann in der vorliegenden Fallgestaltung aber keine Rede sein (vgl. etwa BVerfGE 68, 287 ≪310 f.≫.).

b) Auch die Rüge, das Finanzamt und ihm folgend der Bundesfinanzhof hätten gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, weil in den Jahren 1983 und 1984 bei gleichgelagertem Sachverhalt die Begünstigung des § 34 f EStG gewährt worden sei, geht fehl.

Der Einkommensteuer liegt das Prinzip der Abschnittsbesteuerung zugrunde. Sie erfaßt das zu versteuernde Einkommen eines zurückliegenden Kalenderjahres (§§ 2 Abs. 7, 25 Abs. 1 EStG). Daraus folgt, daß für jeden Steuerabschnitt die Grundlagen der Besteuerung neu festzustellen und damit Sachverhalt wie Rechtslage neu zu prüfen sind. Das Finanzamt ist folglich an die Sachbehandlung in früherer Zeit grundsätzlich nicht gebunden und kann jeder Veranlagung eine gewandelte Rechtsauffassung zugrunde legen. Das gilt nur dann nicht, wenn sich das Finanzamt für die Folgejahre durch Zusagen oder Zusicherungen gebunden hat (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, EStG-Komm. 160. Lfg. 1989, § 25 Rdnr. 26 m.w.N.). Besondere Umstände, die eine 'solche Bindungswirkung im vorliegenden Fall auslösen könnten, sind aber weder vorgetragen noch ersichtlich.

Daraus ergibt sich, daß allein in einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung eines gleichartigen Sachverhalts in verschiedenen Veranlagungszeiträumen eine mit Art. 3 Abs. 1 GG unverträgliche Ungleichbehandlung nicht erblickt werden kann. Auch schließt der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung für sich genommen die Bildung eines Vertrauenstatbestandes aus, der über die im Steuerbescheid für ein Veranlagungsjahr zugrunde gelegte Entscheidung hinausgeht. Ein vom Rechtsstaatsprinzip gewährleisteter Vertrauensschutz ist somit nicht gegeben (vgl. etwa BVerfGE 59, 128 ≪164 ff.≫; 63, 215 ≪223 f.≫).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1535753

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