Leitsatz (amtlich)

Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), daß in Ehescheidungssachen der für die Gerichtskosten und die Anwaltsgebühren maßgebliche Wert des Streitgegenstandes unter Berücksichtigung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien zu bestimmen ist (§§ 11 Abs. 2 Satz 1, 12 Abs. 2 Satz 1 GKG; § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO).

 

Verfahrensgang

AG Altena (Vorlegungsbeschluss vom 05.06.1986; Aktenzeichen 8 a F 5/86)

 

Tenor

§ 12 Absatz 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3047) und § 8 Absatz 1 Satz 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 907) sind mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit danach für Ehescheidungssachen der Gebührenstreitwert für die Gerichtskosten und die Rechtsanwaltskosten auch nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Parteien zu bestimmen ist.

 

Tatbestand

I.

Die Gerichtsgebühren richten sich grundsätzlich nach dem Wert des Streitgegenstandes (§ 11 Abs. 2 Satz 1 des GerichtskostengesetzesGKG –). Für die nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten bestimmt das Gesetz:

§ 12 Abs. 2

In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der Wert des Streitgegenstandes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. In Ehesachen ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte – BRAGO – ist der auf diese Weise ermittelte Gegenstandswert auch Berechnungsgrundlage für die Gebühren des Rechtsanwalts.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens sind Eheleute, die 1988 geschieden wurden. Bereits nach der ersten mündlichen Verhandlung beantragten die Rechtsanwälte die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für das Scheidungsverfahren. Der Richter entsprach diesem Antrag nicht, sondern setzte das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor (Art. 100 Abs. 1 GG),

ob § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG mit dem Grundgesetz insoweit vereinbar ist, als danach für Ehescheidungssachen der Gebührenstreitwert für die Gerichtskosten und – gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO – zugleich und vor allem für die Rechtsanwaltskosten unter anderem auch nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Parteien nach Ermessen zu bestimmen ist.

Das vorlegende Gericht hält diese Normen für verfassungswidrig; sie seien mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar. Die Höhe der Gebühren für eine hoheitliche Handlung wie eine Ehescheidung dürfe nicht von dem Vermögen und dem Einkommen der Beteiligten abhängen. Im Gegensatz zum Steuerrecht, in dem Vermögens- und einkommensabhängige Maßstäbe ableitbar seien, werde das Gebührenrecht von den Grundsätzen der Äquivalenz, der speziellen Entgeltlichkeit und der gebührenrechtlichen Gerechtigkeit als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes bestimmt. Außerdem müßten wegen des Rechtsstaatsprinzips die Gebühren voraussehbar, also vorausberechenbar sein. Beide Prinzipien seien verletzt. Dabei sei davon auszugehen, daß das Einkommen bei der Bemessung des Streitwerts in der Praxis die Leitfunktion übernommen habe und die nach § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG möglichen Ab- und Zuschläge nur von unwesentlicher Bedeutung seien.

Wenn für die Gerichtsgebühren die verfassungsrechtlichen Zweifel nicht durchgreifen sollten, so sei zumindest die Verklammerung der Höhe der Anwaltsgebühren mit dem Gerichtsgebührenstreitwert verfassungswidrig.

III.

Namens der Bundesregierung hat der Bundesminister der Justiz Stellung genommen und ausgeführt:

Der Gesetzgeber verfüge über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausreichenden Zwecke er mit einer Gebührenregelung anstreben wolle. Darauf, ob der Gesetzgeber mit § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gewählt habe, komme es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht an. Eine Gebührenbemessung nach der individuellen Leistungsfähigkeit der Parteien sei nicht willkürlich, sondern als sachliche Differenzierung zulässig, da sich bei nicht ganz unerheblichen Gerichtsgebühren – soweit praktikabel – eine Staffelung nach sozialen Merkmalen anbiete. Zudem entspreche der Gesichtspunkt, daß bei Gebühren als Abgaben nichtsteuerlicher Art die Belange der schwächeren Schichten der Bevölkerung zu berücksichtigen seien, dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG).

Bei den Rechtsanwaltsgebühren bestehe erst recht kein Grund, von dem Grundsatz abzuweichen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten bei der Gebührenbemessung von Bedeutung seien; dies sei dem Anwaltsgebührenrecht nicht fremd.

IV.

Die Vorschriften der §§ 12 Abs. 2 Satz 1 GKG und 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO verstoßen nicht gegen das Grundgesetz, soweit die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien zu berücksichtigen sind.

1. § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG verletzt weder das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG noch den nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Vorschrift steht auch mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebot der Gesetzesbestimmtheit in Einklang.

a) Die zur Prüfung vorgelegte Norm führt im Ergebnis dazu, daß Parteien in Scheidungsverfahren je nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unterschiedlich hohe Gerichtskosten zu zahlen haben. Diese ungleiche Behandlung, die aus der Anknüpfung des Streitwerts unter anderem an die Einkommens- und Vermögensverhältnisse folgt, ist aber gerechtfertigt. Sie beruht erkennbar auf dem Bestreben, im konkreten Fall die Festsetzung angemessener Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat von einem starren Regelwert abgesehen, um sicherzustellen, daß von den Gerichten alle Umstände des Einzelfalles erfaßt werden können (vgl. BTDrucks. 1953, Nr. 3378, S. 2, 198). Er hielt dies auch deshalb für notwendig, um das Interesse des Fiskus an einer angemessenen Gebühr zu gewährleisten. Derartige Gründe für die Ausgestaltung der Gebührenerhebung finden ihren Rückhalt im verfassungsrechtlich abgesicherten Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und im Justizgewährungsanspruch, der durch Art. 19 Abs. 4 GG und durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistet ist.

Für die Erreichung des mit § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG angestrebten Ziels, einen sozial differenzierenden Gebührenmaßstab für die Leistung des Staates zu schaffen, ist die Regelung auch erforderlich und geeignet. Zudem ist gerade wegen der Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse der Parteien der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinn) gewahrt, demzufolge der mit der Gebührenregelung verfolgte Zweck nicht außer Verhältnis zu der dem Bürger auferlegten Gebühr stehen darf (vgl. BVerfGE 50, 217 ≪227≫).

Im übrigen kann es dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber seinen weiten Gestaltungsraum überschritten hätte, wenn er bei der Festsetzung des Streitwerts für Ehescheidungsverfahren allein auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien abgestellt hätte; denn dies ist nicht der Fall. Die Vorschrift ist offen gefaßt und erlaubt die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, soweit sie nur einen sachgemäßen Bezug zur Gebührenerhebung aufweisen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 22. Aufl., § 12 GKG, Anm. E; Hillach/Rons, Handbuch des Streitwerts in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, 6. Aufl., S. 208 f.). Soweit das vorlegende Gericht darauf hinweist, daß die Vermögens- und Einkommensverhältnisse in der Gerichtspraxis eine Leitfunktion übernommen haben, ist dies ohne Bedeutung für die Beantwortung der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Norm.

b) Der Einwand fehlender Bestimmtheit des Gebührentatbestandes und damit mangelnder Voraussehbarkeit der Gebührenhöhe greift ebenfalls nicht durch. Ihm liegt die zu weit gehende Vorstellung zugrunde, der Staatsbürger müsse sich aus dem Gesetz oder aus untergesetzlichen Normen in jeder Hinsicht absolute Gewißheit über die Höhe des festzusetzenden Werts verschaffen können. Zwar wäre es denkbar, auch bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten keine unbestimmten Rechtsbegriffe zu verwenden, sondern entsprechend dem Gegenstand des Verfahrens bestimmte Werte gesetzlich vorzuschreiben. Solche Pauschalierungen gingen aber zwangsläufig auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit. Hier den richtigen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Materieller Gerechtigkeit zu finden, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Daß dieser durch die in § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe die ihm eingeräumte Gestaltungsfreiheit verletzt hätte, ist nicht erkennbar. Rechtsstaatliche Grundsätze verwehren ihm nicht, solche Begriffe zu verwenden. Deren Ausfüllung ist eine herkömmliche und anerkannte Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane (vgl. BVerfGE 13, 153 ≪161≫; 21, 73 ≪82≫).

2. Sind somit die Einwände gegen den Maßstab der Vermögens- und Einkommensverhältnisse für die Streitwertfestsetzung nicht stichhaltig, gilt das erst recht, soweit sich der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit und damit die Anwaltsgebühren nach diesem Gesichtspunkt bemessen. Das vorlegende Gericht rügt, daß sich zugleich und vor allem die Rechtsanwaltskosten über § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nach den Kriterien des § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG richten. Eine nähere Darlegung, warum die strengen Anforderungen, die das Gericht aus abgabenrechtlicher Sicht an den Streitwert und die daraus resultierenden Gerichtskosten stellt, auch für das privatrechtliche Entgelt des Anwalts gelten sollen, fehlt aber.

Bei den Rechtsanwaltsgebühren haben das Äquivalenz- und das Kostendeckungsprinzip weitgehend zurückzutreten, weil der Rechtsanwalt aus seinem Gebührenaufkommen nicht nur seinen Kostenaufwand, sondern darüber hinaus seinen Lebensunterhalt bestreiten muß. Auf der anderen Seite erleichtert die gebührenrechtliche Regelung der Anwaltskosten auch wirtschaftlich Schwächeren den Zugang zu den Gerichten über die Anwaltschaft. Im übrigen hat der Bundesminister der Justiz zutreffend darauf hingewiesen, daß die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten dem Anwaltsgebührenrecht nicht fremd sei (vgl. etwa § 12 Abs. 1, § 113 Abs. 2 BRAGO). Von Verfassungs wegen ist dagegen nichts einzuwenden.

 

Unterschriften

Herzog, Niemeyer, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich

 

Fundstellen

Haufe-Index 1134532

BVerfGE, 103

NJW 1989, 1985

JZ 1989, 740

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