Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Ablösung einer Versorgungszusage

 

Leitsatz (NV)

Bei Ablösung einer Versorgungszusage gegen eine einmalige Abfindung kommt die Tarifermäßigung nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige die Ablösung selbst herbeigeführt hat.

 

Normenkette

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Inhaber sämtlicher Anteile an einer GmbH und zugleich deren Geschäftsführer. Mit Vertrag vom 9. Juni 1983 veräußerte er die Anteile an das Ehepaar X mit Wirkung zum 30. Juni 1983. Wegen Differenzen in der Geschäftspolitik, die sich bereits bei den Verkaufsverhandlungen abgezeichnet hatten, vereinbarten der Kläger und die GmbH am 11. Juli 1983, daß das Anstellungsverhältnis zum 30. September 1983 ende, daß der Kläger für 1982 eine Tantieme in Höhe von 80000 DM und für 1983 in Höhe von 30000 DM erhalte, daß die Versorgungszusage mit einem Kapitalwert von 1020000 DM aufgehoben und daß dem Kläger zur Abgeltung aller Ansprüche neben seinem Gehalt bis zum September 1983 und den vereinbarten Tantiemen ein Betrag von insgesamt 895000 DM gezahlt werde.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) begünstigte die Zahlungen weder nach § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) noch nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 EStG. Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) sind die Tantiemezahlungen keine Abfindungen, sondern Erfüllungszahlungen, auf die der Kläger aufgrund seines Anstellungsvertrags einen Rechtsanspruch gehabt habe. Die Zahlung des Betrags von 895000 DM könne nicht als Entschädigung beurteilt werden, da sie als Gegenleistung für den Verzicht des Klägers zu werten sei; nach gefestigter Rechtsprechung fielen Gegenleistungen im Rahmen eines vertraglichen Leistungsaustausches nicht unter den Begriff der Entschädigung. Es könne offenbleiben, ob der Kläger bei der Aufhebung des Anstellungsvertrags unter einem erheblichen tatsächlichen Druck gestanden habe.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts und machen geltend:

1. Nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils stehe unstreitig fest, daß in der dem Kläger erteilten Versorgungszusage keine Abfindung von Versorgungsansprüchen durch Kapitalzahlung vereinbart gewesen sei. Der Abschluß einer Vereinbarung über die Abfindung von Ansprüchen aus einer Pensionsanwartschaft werde als eine neue Rechtsgrundlage angesehen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Juli 1992 XI R 5/91, BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27).

2. Das FG habe sich zu Unrecht auf die BFH-Urteile vom 27. Februar 1991 XI R 8/87 (BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703) und vom 24. April 1991 XI R 9/87 (BFHE 164, 279, BStBl II 1991, 723) berufen. Beide Urteile seien nicht einschlägig. In dem Fall des Urteils in BFHE 164, 243, BStBl II1991, 703 sei in der abgeschlossenen Versorgungszusage die Kapitalisierung und Abfindung vorgesehen gewesen, in dem Fall des Urteils in BFHE 164, 279, BStBl II 1991, 723 sei es darum gegangen, ob eine Entschädigung für unverfallbare Ansprüche aus einer Versorgungszusage als Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 EStG gewertet werden könne.

3. Das FG habe keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger bei Abschluß der Vereinbarung vom 11. Juli 1983 unter einem nicht unerheblichen Druck rechtlicher, wirtschaftlicher oder tatsächlicher Art gestanden habe. Die Erwerber hätten ganz andere Vorstellungen über die Fortführung des Unternehmens gehabt; sie hätten auf einer Bereinigung sämtlicher Rechtsbeziehungen zum Kläger bestanden. Daß er unter Druck gestanden habe, ergebe sich schon allein aus der Tatsache, daß er für seinen Versorgungsanspruch mit einem Kapitalwert von 1020000 DM lediglich einen Betrag von 895000 DM erhalten habe.

4. Die Auffassung des FA, die Aufhebung des Anstellungsverhältnisses einschließlich der Versorgungszusage sei allein durch die Veräußerung der Anteile an der GmbH verursacht worden, treffe eindeutig nicht zu. Es sei keineswegs zwingend, daß mit der Veräußerung von Anteilen durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer auch das bestehende Anstellungsverhältnis aufgehoben werde. Abgesehen davon, daß es sich um verschiedene Rechtsverhältnisse handele, belege die Praxis, daß sehr oft eine weitere Mitarbeit des früheren Firmeninhabers, zumindest für eine Übergangszeit, vereinbart werde. Dies sei auch hier so gewesen, da das Anstellungsverhältnis erst zum 30. September 1983 aufgehoben worden sei, während die GmbH-Anteile zum 30. Juni 1983 veräußert worden seien. Als schadenstiftendes Ereignis könne deshalb nicht die Anteilsveräußerung angesehen werden, sondern nur der Abschluß der Vereinbarung über die Auflösung des bestehenden Anstellungsverhältnisses. Diese sei, wie sich aus der Vereinbarung vom 11. Juli 1983 selbst ergebe, durch die GmbH und deren neue Gesellschafter verursacht worden.

5. Nach dem BFH-Urteil vom 24. Oktober 1990 X R 161/88 (BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337) setze eine Entschädigung voraus, daß sie hinter dem vollen Ausgleich zurückbleibe. Auch diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt.

Das FA führt demgegenüber aus:

1. Wegen der Unverfallbarkeit der Pensionsanwartschaft habe der Kläger über eine gesicherte Rechtsposition verfügt, in die die Erwerber der GmbH-Anteile nicht hätten eingreifen können. Bei dieser Sachlage könne sich die Abfindung nicht als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen darstellen.

2. Selbst wenn man die Kapitalabfindung als Entschädigung ansehe, sei das Revisionsbegehren unbegründet, denn der Kläger sei bei Abänderung oder Aufhebung des Versorgungsvertrags keinem erheblichen Druck ausgesetzt gewesen. Grund der Aufhebung des Anstellungsverhältnisses einschließlich des Versorgungsvertrags sei einzig und allein der ohne Zwang aus freien Stücken gefaßte Entschluß gewesen, die GmbH-Beteiligung zu veräußern. Durch diesen Entschluß habe der Kläger in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette hinsichtlich sämtlicher ihn persönlich betreffender Rechtsbeziehungen in Gang gesetzt. Er habe sich zu diesem Zeitpunkt im 69. Lebensjahr befunden und offenbar die Beendigung seines gesamten beruflichen Engagements in der GmbH angestrebt, was auch in der noch im Veräußerungsjahr erfolgten Übersiedlung ins Ausland seine Bestätigung finde.

3. Aus der Sicht des FA unterscheide sich der Streitfall insoweit von dem im Urteil in BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27 zugrunde liegenden Sachverhalt, so daß sich eine Zurückverweisung erübrige. Streitig sei allein die Rechtsfrage, ob die Aufhebung des Anstellungsvertrags als Geschäftsführer einschließlich des Versorgungsvertrags ein vom Verkauf der GmbH-Anteile zu trennender und isoliert zu beurteilender Rechtsvorgang sei. Nur wenn man dies bejahe, eröffne sich Raum für die Argumentation des Klägers. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, daß ein Alleingesellschafter-Geschäftsführer eine uneingeschränkt beherrschende Arbeitgeberfunktion innehabe, die einen Interessenkonflikt, wie ihn die begünstigte Entschädigung voraussetze, nicht aufkommen lasse. Eine isolierte Betrachtung entspreche jedoch nicht dem Zweck des § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1 EStG, zusammengeballte Einnahmen nur dann ermäßigt zu besteuern, wenn der Steuerpflichtige sich in einer Zwangssituation befinde und sich dem zusammengeballten Zufluß nicht entziehen könne. Aus dem Umstand, daß die Kapitalabfindung hinter dem vollen Ausgleich des aufgegebenen Pensionsanspruchs zurückbleibe, könne nicht schon allein darauf geschlossen werden, daß der Kläger unter Druck gehandelt habe (BFH-Urteil in BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind.

Begrifflich setzt eine Entschädigung voraus, daß die Leistung als Ersatz an die Stelle eines ursprünglich vorhandenen und später entfallenden Anspruchs getreten ist; dies kann auch durch Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage in Gestalt einer Vertragsänderung geschehen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703, und in BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27).

Im Streitfall haben die Vertragsparteien den bisherigen Anspruch des Klägers aus der ihm erteilten Versorgungszusage in einen Anspruch auf Kapitalabfindung umgewandelt. Dieser Anspruch beruht auf einer neuen (Rechts-)Grundlage und ist daher als Ersatzleistung zu qualifizieren, nicht aber - wie das FG annimmt - als Erfüllungsleistung im Rahmen eines vertraglichen Leistungsaustausches.

Entgegen der Auffassung des FA widerspricht die Unverfallbarkeit der Versorgungszusage nicht der Beurteilung des Ablösungsbetrags als Entschädigung. Auch eine unverfallbare Versorgungszuage kann abgelöst werden. Dementsprechend wurde in dem Fall des vom FA zitierten Urteils in BFHE 164, 279, BStBl II 1991, 723 - wie sich aus dem Tatbestand des Urteils ergibt - § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG angewendet.

2. Nach der neueren Rechtsprechung kann eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zwar auch dann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige bei dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis selbst mitgewirkt hat. Ist dies der Fall, muß der Steuerpflichtige bei Aufgabe seiner Rechte aber unter erheblichem rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden und darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. BFH-Urteile in BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337, und in BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, daß die Steuerermäßigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluß der Einnahmen nicht entziehen kann.

Eine Zwangslage ist auch dann nicht anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr beläßt. Die Entwicklung der Ursachenkette muß sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte und die für ihn außerhalb seiner Vorstellung lagen, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen.

Anhand der vom FG getroffenen Feststellungen läßt sich nicht beurteilen, ob der Kläger die Änderung des Versorgungsvertrags selbst herbeigeführt und ihr aus freien Stücken zugestimmt hat. Das FG hat lediglich festgestellt, daß sich bereits im Zuge der Verkaufsverhandlungen abgezeichnet habe, daß das Anstellungsverhältnis beendet werden würde. Darüber hinaus hat das FG bewußt offengelassen, ob der Kläger erst nach dem Verkauf der GmbH-Anteile unter dem erheblichen Druck der neuen Gesellschafter in die Auflösung des Anstellungsverhältnisses und - zusätzlich - in die Ablösung der Versorgungszusage eingewilligt hat. Aus den vom FG getroffenen Feststellungen geht weder mit der gebotenen Deutlichkeit hervor, aus welchen Gründen es zur Auflösung des Anstellungsvertrags gekommen ist, noch was die Beteiligten dazu veranlaßt hat, die Versorgungszusage abzulösen, noch ob und welcher Zusammenhang zwischen den Vereinbarungen vom 9. Juni und 11. Juli 1983 besteht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419361

BFH/NV 1994, 165

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