Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzrente wegen Tötung des Ehegatten unterliegt nicht der Einkommensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Schadensersatzrente nach § 844 Abs. 2 BGB, die den durch den Tod des Ehegatten eingetretenen materiellen Unterhaltsschaden ausgleicht, unterliegt nicht der Einkommensteuerpflicht nach § 22 Nr. 1 EStG.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 1, § 2 Abs. 1; BGB § 844 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 05.07.2007; Aktenzeichen 4 K 1535/05; EFG 2007, 1496)

 

Tatbestand

I. Der Ehemann der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ist an den Folgen eines ärztlichen Fehlers im April 1998 verstorben. Die Versicherung des Arbeitgebers des behandelnden Arztes zahlte der Klägerin aufgrund eines im Oktober 1999 geschlossenen Vergleichs ab dem Todestag des Ehemannes eine Schadensersatzrente nach § 844 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Höhe von 2 000 DM (= 1 022,58 €). Von der monatlichen Zahlung entfiel ein Betrag in Höhe von 1 300 DM (= 664,68 €) auf den materiellen Unterhaltsschaden und 700 DM (= 357,90 €) auf den Haushaltsführungsschaden.

Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2003 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Schadensersatzrente in voller Höhe (= 12 270 €) als steuerpflichtige sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1496 veröffentlichtem Urteil statt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gäbe es keine Regel, nach der wiederkehrende Bezüge allein wegen der Wiederkehr der Leistungen der Einkommensteuer zu unterwerfen seien. Demzufolge sei die Erfassung von Schadensersatzrenten nach § 22 Nr. 1 EStG auf Fälle zu beschränken, in denen Ersatz für weggefallene steuerbare Einkünfte geleistet werde. Nach der normativen Grundaussage des § 2 Abs. 1 EStG, die auch bei der Auslegung des § 22 Nr. 1 EStG zu beachten sei, werde grundsätzlich nur die "erwirtschaftete" finanzielle Leistungsfähigkeit von der Einkommensteuer erfasst. Da Schadensersatzleistungen als Einmalbetrag nicht der Einkommensteuer unterlägen, sondern die nicht steuerbare Vermögensebene beträfen, müsse das Gleiche für Schadensersatzleistungen in der Form wiederkehrender Bezüge gelten. Die Steuerbarkeit werde auch verneint, wenn eine Schadensersatzrente durch eine Kapitalabfindung abgelöst werde. Eine Besteuerung nur wegen der äußeren Form der Bezüge, also allein wegen ihrer Wiederholung, stünde im Widerspruch zu dem das Einkommensteuerrecht rechtfertigenden Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Eine zeitlich gestreckte Auszahlung einer Schadensersatzrente könne grundsätzlich nicht anders besteuert werden als der in einer Summe ausbezahlte Betrag, soweit nicht in den einzelnen Zahlungen Zinsanteile als Erträge enthalten seien.

Im während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom 15. Oktober 2007 ging das FA davon aus, dass die Schadensersatzrente nach § 844 Abs. 2 BGB nur insoweit der Besteuerung unterliegt, als sie den Verlust von Unterhaltsansprüchen in Höhe von monatlich 664,68 € ausgleicht. Es erkannte an, dass der Ersatz des Haushaltsführungsschadens in Höhe von monatlich 357,90 € zu nicht steuerbaren Bezügen führt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Der die Einkommensteuer rechtfertigende, bestimmende und von Verfassungs wegen begrenzende Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit schließe die Steuerbarkeit einer Unterhaltsrente i.S. des § 844 Abs. 2 BGB nicht aus. Soweit die Schadensersatzrente auf den materiellen Unterhaltsschaden entfalle, unterliege sie der Einkommensbesteuerung nach § 22 Nr. 1 EStG.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 15. Oktober 2007 an die Stelle der Einkommensteuerfestsetzung vom 26. Juli 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. März 2005 getreten ist. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

Der Bescheid vom 15. Oktober 2007 wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da die vom FG festgestellten tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts unberührt geblieben sind, (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 127 Rz 2, m.w.N. aus der Rechtsprechung), bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

2. Der Senat entscheidet in der Sache selbst.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Zu Recht hat das FG erkannt, dass die Schadensersatzrente, die der Klägerin nach § 844 Abs. 2 BGB für den Verlust von Unterhaltsansprüchen gewährt wird, zu keinen steuerbaren Bezügen i.S. des § 22 Nr. 1 EStG führt (so auch P. Fischer, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 22 Rz B 408; P. Fischer, Wiederkehrende Bezüge und Leistungen, Rz 456; Beiser, Der Betrieb --DB-- 2001, 1900, 1902; Stöcker in Bordewin/Brandt, § 22 EStG Rz 92; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 27. Aufl., § 22 Rz 50; Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 22 EStG Rz 122; Jansen/Myßen/Risthaus, Renten Raten Dauernde Lasten, 13. Aufl., Rz 60 und 2371 ff.; a.A. H 22.1 des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs 2006; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 8. November 1995, BStBl I 1995, 705; Blümich/Stuhrmann, § 22 EStG Rz 59; Söhn, Finanz-Rundschau 1996, 81; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 24 Rz 18).

a) Bei der Anwendung und Auslegung des § 22 Nr. 1 EStG sind die normativen Grundaussagen des § 2 Abs. 1 EStG zu beachten (Senatsurteil vom 26. November 1992 X R 187/87, BFHE 170, 98, 101, BStBl II 1993, 298). Diese Vorschrift gestaltet das Objekt "Einkommen" in der Weise aus, dass die Erwerbsgrundlage unvermindert erhalten bleibt; erfasst wird von der Einkommensteuer grundsätzlich nur ein "erzielter" Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (vgl. z.B. Senatsurteile in BFHE 170, 98, 101, BStBl II 1993, 298; vom 14. Dezember 1994 X R 106/92, BFHE 176, 402, BStBl II 1995, 410, jeweils m.w.N.). Der Besteuerungstatbestand des § 22 Nr. 1 EStG ist deshalb regelmäßig nur dann erfüllt, wenn die Leistungen andere steuerbare Einnahmen ersetzen, im Falle der Korrespondenz (Realsplittung, dauernde Last) unabhängig von der Geltung eines allgemeinen Prinzips, sowie in Fällen, in denen die Zahlungen einen Zinsanteil enthalten. Eine Steuerbarkeit wegen der äußeren Form kennt das Einkommensteuerrecht nicht. Ist eine Leistung als Einmalzahlung nicht steuerbar, wird sie es nicht dadurch, dass sie als zeitlich gestreckt vereinbart wird (Senatsurteil vom 31. Juli 2002 X R 39/01, BFH/NV 2002, 1575).

b) Der VIII. Senat des BFH hat im Urteil vom 25. Oktober 1994 VIII R 79/91 (BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121) im Hinblick auf die Mehrbedarfsrente nach § 843 Abs. 1 BGB seine zur Steuerbarkeit von Schadensersatzrenten vertretene Rechtsprechung auf die Fälle eingeschränkt, in denen Ersatz für andere, steuerbare Einkünfte geleistet wird. Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsauffassung. Die Unterhaltsrente nach § 844 Abs. 2 BGB ist nicht steuerbar, da sie lediglich den durch das schädigende Ereignis entfallenden, nicht steuerbaren Unterhaltsanspruch ausgleicht und nicht Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S. der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG genannten Einkunftsarten gewährt (vgl. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG).

aa) Anspruchsberechtigt nach § 844 Abs. 2 BGB ist derjenige, dem der Getötete Unterhalt kraft Gesetzes schulden würde (sog. Unterhaltsrente). Die Rente gemäß § 844 Abs. 2 BGB ist ihrer Rechtsnatur nach kein Unterhalt, sondern Schadensersatz (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 23. April 1974 VI ZR 188/72, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1974, 1373). Diese Anspruchsqualität führt dazu, dass die Verhältnisse des Ersatzpflichtigen ohne Bedeutung sind; nur der tatsächliche Ausfall an Unterhalt ist zu ersetzen (Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 844 Rz 8). Zudem sind die für den Unterhaltsanspruch geltenden speziellen Vorschriften nicht anwendbar (BGH-Beschluss vom 3. Februar 2004 VI ZR 119/03, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2004, 526). War der Getötete zum Barunterhalt verpflichtet, hat der Ersatzverpflichtete den gesetzlich geschuldeten fiktiven Unterhalt auszugleichen (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 4. November 2003 VI ZR 346/02, NJW 2004, 358). Soweit der Getötete im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung den Haushalt geführt oder im Beruf bzw. Geschäft des anderen Ehegatten mitgearbeitet hat (sog. Naturalunterhalt), ist auch dies bei der Berechnung des Unterhaltsschadens zu beachten.

bb) Auch wenn die Rente nach § 844 Abs. 2 BGB ihrer Rechtsnatur nach kein Unterhalts-, sondern ein Schadensersatzanspruch ist, stützt sich der Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB aus Sicht der Klägerin als Geschädigter unmittelbar auf unterhaltsgesetzliche Regeln (§§ 1360 ff. BGB). Die Unterhaltsrente nach § 844 Abs. 2 BGB gleicht keine steuerbaren Einnahmen, sondern den vom Getöteten geschuldeten fiktiven Unterhalt aus. Anders als bei der vom FA angeführten Witwenpension richtet sich die Höhe der Unterhaltsrente nach § 844 Abs. 2 BGB danach, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltsverpflichteten bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt haben würden. Alle vorhersehbaren Veränderungen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der (hypothetischen) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wäre er noch am Leben, sind bei der Bemessung der Unterhaltsrente einzubeziehen (BGH-Urteil in NJW 2004, 358). Deshalb greift ertragsteuerlich die Nichtsteuerbarkeit der Unterhaltsleistungen nach § 2 i.V.m. §§ 13 ff. EStG und insbesondere nach § 22 Nr. 1 EStG, wonach "Bezüge … an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person" in der Regel nicht steuerpflichtig sind. Der Bezug von Unterhalt und damit auch die Unterhaltsrente i.S. von § 844 Abs. 2 BGB sind mangels marktwirtschaftlicher Betätigung zur Einkunftserzielung nicht einkommensteuerbar (so auch Beiser, DB 2001, 1900, 1902). Schadensersatzleistungen nach § 844 Abs. 2 BGB erhöhen --gleichgültig, ob sie den Bar- oder Naturalunterhalt ausgleichen-- nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Empfängers (a.A. BMF-Schreiben in BStBl I 1995, 705). Sie dienen ausschließlich dazu, die durch das Schadensereignis entfallene wirtschaftliche Absicherung des Empfängers wiederherzustellen. Es fehlt die Absicht, Überschüsse zu erzielen (P. Fischer, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 22 Rz B 408).

c) Auch das sog. Korrespondenzprinzip gebietet nicht die Steuerbarkeit einer Unterhaltsrente; aus dem EStG lässt sich die generelle Geltung eines solchen Prinzips für die wiederkehrenden Bezüge nicht entnehmen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 12. Mai 2003 GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95; BFH-Urteil in BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121; a.A. BMF-Schreiben in BStBl I 1995, 705). Die Abziehbarkeit beim Leistenden und die Besteuerung des Geleisteten beim Empfänger sind zwei verschiedene, voneinander unabhängige Vorgänge. Da die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit das die Einkommensbesteuerung rechtfertigende, bestimmende und von Verfassungs wegen begrenzende Prinzip ist, sind Schadensersatzleistungen beim Verpflichteten abziehbar, wenn sie betrieblich oder beruflich veranlasst sind und seine Leistungsfähigkeit mindern. Ob der Empfänger der Leistungen diese versteuern muss, ist unerheblich.

d) In den einzelnen Rentenleistungen ist kein steuerpflichtiger Zinsanteil enthalten. Wird ein Vermögensanspruch in wiederkehrenden Leistungen erfüllt, umfassen diese zwar grundsätzlich von Beginn an einen --steuerbaren-- Zinsanteil (Senatsurteil in BFHE 170, 98, BStBl II 1993, 298, 299). Insoweit sind dieselben Grundsätze wie bei langfristiger Stundung eines Zahlungsanspruchs anwendbar; dort beinhaltet die jeweilige Teilleistung einen Zinsanteil (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1974 VIII R 131/70, BFHE 114, 79, BStBl II 1975, 173, 174). Dies ist indessen nicht auf Unterhaltsrenten nach § 844 Abs. 2 BGB übertragbar. Ansprüche auf die einzelnen Leistungen entstehen von Gesetzes wegen sukzessiv (vgl. § 844 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BGB). Nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kann der Unterhaltsberechtigte vom Schädiger eine Abfindung in Kapital verlangen (§ 844 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 843 Abs. 3 BGB). Der Ersatzverpflichtete hat kein Recht, den unterhaltsberechtigten Dritten in Kapital abzufinden (Palandt/ Sprau, a.a.O., § 843 Rz 18). Daher ist die Vorstellung, die Schadensersatzrente enthalte wirtschaftliche Elemente einer darlehensähnlichen Überlassung von Kapital, verfehlt (P. Fischer, a.a.O., Rz 457). Mit dem Ertragsanteil steuerbar wäre nur die vertragliche Verrentung eines --und sei es aufgrund eines Vergleichs (§ 779 BGB)-- der Höhe nach feststehenden Schadensersatzanspruchs; durch die Vereinbarung einer zeitlichen Streckung überlässt der Gläubiger dem Schädiger Kapital zur Nutzung. Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nach den Feststellungen des FG nicht gegeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2102063

BFH/NV 2009, 470

BFH/PR 2009, 137

BStBl II 2009, 651

BFHE 2008, 471

BFHE 223, 471

DB 2009, 485

DStRE 2009, 205

HFR 2009, 257

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