Entscheidungsstichwort (Thema)

(Ermittlung des gezogenen Zinsvorteils bei der Verspätungszuschlagsfestsetzung: summarische oder einzelfallorientierte Ermittlung, durchschnittlicher oder fester Zinssatz, Überprüfung der Ermessensausübung des FA durch Finanzgericht)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags zu berücksichtigende gezogene Zinsvorteil kann summarisch ermittelt werden. Dabei ist jedoch der jeweilige Kapitalmarktzins zu berücksichtigen. Die Finanzverwaltung darf nicht stets von einem festen Zinssatz von 12 v.H. p.a. ausgehen.

2. Die Finanzverwaltung kann sich an dem Durchschnitt zwischen den Haben- und den Schuldzinsen orientieren. Sie kann den Zinsvorteil auch nach den Verhältnissen des Einzelfalles konkret ermitteln.

3. Der von dem Steuerpflichtigen aus der verspäteten Abgabe einer Steuererklärung gezogene Vorteil kann dadurch gemindert werden, daß er seinerseits bei der Körperschaftsteuer, Einkommensteuer oder Gewerbeertragsteuer erfaßt wird. Dieser Umstand ist ggf. zu berücksichtigen.

 

Orientierungssatz

1. Bei der Überprüfung eines festgesetzten Verspätungszuschlags als einer Ermessensentscheidung des FA darf das FG die allein maßgeblichen Verwaltungserwägungen nicht durch eigene Erwägungen ersetzen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Das FA kann --ohne hierzu verpflichtet zu sein-- bei der Berechnung des i.S. des § 152 Abs. 2 Satz 2 gezogenen Zinsvorteils anstelle eines summarischen Vorgehens auch detailliert ermitteln, ob der Steuerpflichtige Fremdkapital zu einem höheren als dem durchschnittlichen Zinssatz (im Jahr 1990: ca. 9%) aufnehmen hätte müssen und ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Steuernachzahlung --bei rechtzeitiger Festsetzung-- mit Kredit hätte finanziert werden müssen (keine Abweichung von den BFH-Urteilen vom 30.4.1987 IV R 42/85, BStBl II 1987, 543 bzw. 5.11.1987 IV R 83/84, BFH/NV 1989, 2 bzw. 9.4.1987 IV R 192/85).

 

Normenkette

AO 1977 § 152 Abs. 2 S. 2, Abs. 1 S. 1; FGO § 102; AO 1977 § 5

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 08.02.1993; Aktenzeichen 4 K 513/92)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, gab ihre Körperschaftsteuererklärung 1988 erst am 31. Mai 1990 ab, nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zuvor die Frist zur Abgabe der Erklärung nur bis zum 31. Dezember 1989 verlängert hatte. Die anschließend durchgeführte Veranlagung ergab die Festsetzung der Körperschaftsteuer 1988 auf 70 140 DM und eine Steuernachforderung von 44 383 DM.

Das FA setzte außerdem einen Verspätungszuschlag von 2 500 DM fest. Die Höhe des Verspätungszuschlags ermittelte es anhand eines Berechnungsbogens (Oberfinanzdirektion --OFD-- Frankfurt, Verfügung vom 2. Dezember 1991 S 0323 A - 2 - St II 40), in dem neben einem Grundverspätungszuschlag die Schwere des Verschuldens, der von der Klägerin gezogene Vorteil, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und besondere sonstige Gründe berücksichtigt wurden. Im Streitfall setzte das FA konkret für jeden angefangenen Monat, in dem die Erklärung nicht eingereicht worden war, einen Grundbetrag von 50 DM an. Es erhöhte den sich so ergebenden Betrag um 50 v.H. wegen wiederholt verspäteter Vorlage einer Steuererklärung. Außerdem addierte es einen Betrag von monatlich 1 v.H. von 44 383 DM für insgesamt fünf Monate verspätet eingereichter Erklärung hinzu.

Gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags legte die Klägerin Beschwerde ein, die jedoch erfolglos blieb. In der Beschwerdeentscheidung vom 6. Dezember 1991 ist zur Höhe des Verspätungszuschlags ausgeführt, daß neben dem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärungen anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsvorteils und die aus der verspäteten Abgabe gezogenen Vorteile im Rahmen einer Gesamtbeurteilung gegeneinander abgewogen worden seien. Unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 12 v.H. sei der finanzielle Vorteil aus der verspäteten Abgabe der Körperschaftsteuererklärung mit 2 200 DM zu bemessen. Um dem Zweck der Erziehungsmaßnahmen gerecht zu werden, sei der Verspätungszuschlag aber mit einem höheren Betrag als dem des erlangten Zinsvorteils anzusetzen.

Auf die Klage der Klägerin hob das Finanzgericht (FG) die Festsetzung des Verspätungszuschlags wegen Ermessensfehlgebrauchs auf und "wies die Klage im übrigen ab". Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 378 veröffentlicht.

Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts, nämlich die des § 152 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977).

Es beantragt, das Urteil des Hessischen FG vom 8. Februar 1993 4 K 513/92 teilweise aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sind bei der Bemessung eines Verspätungszuschlags neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung, die gemäß § 102 FGO von den FG nur auf Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch überprüft werden kann. Dabei darf das Gericht nicht die allein maßgeblichen Verwaltungserwägungen durch eigene Erwägungen ersetzen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1988 VII R 36/86, BFHE 152, 299, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1988, 240; Beschluß vom 25. April 1986 VI S 3/86, BFH/NV 1988, 518).

2. Unter diesem Gesichtspunkt ist es letztlich streitentscheidend, daß die Finanzverwaltung ihr Ermessen in bestimmter Weise ausgeübt hat. Danach setzt sich der im Streitfall festgesetzte Verspätungszuschlag aus einem Betrag von 250 DM zwecks Anhaltung der Klägerin zur rechtzeitigen Abgabe künftiger Erklärungen, aus einem weiteren Betrag von 125 DM wegen wiederholt verspäteter Abgabe von Erklärungen (Verschulden der Klägerin) und schließlich aus dem von der Klägerin gezogenen Zinsvorteil zusammen. Das FG hat in seinem der Klage voll zusprechenden Urteil zwar die Festsetzung des Verspätungszuschlags dem Grunde nach für Rechtens erklärt. Es hat zur Höhe des Verspätungszuschlags entsprechend entschieden, soweit in diesen Teilbeträge von 250 DM und 125 DM sowie der von der Klägerin gezogene Zinsvorteil eingegangen sind. Bei dieser Sachlage besteht der durch die Vorentscheidung beim FA entstandene Rechtsnachteil nur darin, daß das FG aus Gründen der Ermittlung des von der Klägerin gezogenen Zinsvorteils den festgesetzten Verspätungszuschlag insgesamt aufgehoben hat. Im Revisionsverfahren ist nur darüber zu entscheiden, ob die Auffassung des FG, die Finanzverwaltung habe bei der Berechnung des von der Klägerin gezogenen Vorteils den Zinssatz nicht sachgerecht ermittelt, Bundesrecht verletzt.

3. a) Der Senat pflichtet dem FG in dessen Auffassung bei, daß der ausnahmslose Ansatz eines Zinssatzes von 12 v.H. mit § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht in Einklang steht. Die Vorschrift gebietet die Berücksichtigung des von dem Steuerpflichtigen gezogenen Vorteils. Dieser Vorteil ist jedoch unterschiedlich hoch je nach dem, ob am Kapitalmarkt eine Hoch- oder Niedrigzinsphase besteht. Dieser Umstand muß von der Finanzverwaltung bei der Festsetzung von Verspätungszuschlägen berücksichtigt werden. Sie darf nicht stets von einem festen Zinssatz von 12 v.H ausgehen. Deshalb muß die Finanzverwaltung jedoch nicht für jeden Einzelfall ermitteln, ob der Steuerpflichtige Fremdkapital aufgenommen hat oder über genügend Eigenkapital verfügt. Sie muß auch keine Spekulationen darüber anstellen, mit welchen Mitteln der Steuerpflichtige eine Steuernachzahlung bei rechtzeitiger Festsetzung gezahlt haben würde. Die Finanzverwaltung kann den maßgebenden Zinssatz summarisch ermitteln. Dabei kann sie sich an dem Durchschnitt zwischen den Haben- und den Schuldzinsen orientieren. Sie kann ebenso konkrete Umstände des Einzelfalles in ihre Entscheidung einfließen lassen. Dies ergibt sich letztlich aus dem Sinn und Zweck des Verspätungszuschlags. Dieser knüpft zwar einerseits an den vom Steuerpflichtigen gezogenen Vorteil an. Gleichzeitig ist er jedoch zu einem Zeitraum festzusetzen, in dem der Finanzverwaltung regelmäßig noch keine Informationen über die Haben- und Schuldzinsen des Steuerpflichtigen vorliegen. Der Verspätungszuschlag ist eine steuerliche Nebenleistung (§ 1 Abs. 3 AO 1977). Seine Festsetzung ist dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen der Finanzverwaltung gestellt. Die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 genannten Bemessungsgrundlagen lassen die Ermittlung nur eines richtigen Betrages nicht zu. Deshalb muß angenommen werden, daß die Bemessungsgrundlagen auch summarisch ermittelt werden können. So gesehen sind der Finanzverwaltung zwar detaillierte Ermittlungen nicht untersagt. Sie sind jedoch nicht vorgeschrieben. Die Finanzverwaltung kann den vom Steuerpflichtigen gezogenen Vorteil zeitraumbezogen festlegen, wenn es dabei das durchschnittliche Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt ausreichend berücksichtigt. Aus § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 folgt nichts anderes, weil es an einem allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend fehlt, daß Erklärungen stets zur Vermeidung von Säumniszuschlägen verspätet abgegeben werden. §§ 235 und 238 Abs. 1 AO 1977 belegen, daß der Gesetzgeber von einem solchen Erfahrungssatz nicht einmal im Falle der Steuerhinterziehung ausgeht.

b) Auf den Streitfall bezogen bedeuten die Ausführungen zu II. 3. a), daß das FA die Festsetzung des Verspätungszuschlags einerseits an einem für das Jahr 1990 durchschnittlichen Zinssatz von rund 9 v.H. orientieren kann. Daraus ergäbe sich ein Verspätungszuschlag von rund 1 665 DM + 375 DM = 2 040 DM. Es könnte ebenso einen höheren Verspätungszuschlag festsetzen, wenn die Klägerin z.B. in 1990 Fremdkapital zu einem höheren Zinssatz aufgenommen hätte und eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß auch die rechtzeitig festgesetzte Steuernachzahlung mit Kredit hätte finanziert werden müssen. Die Festsetzung eines höheren Verspätungszuschlags könnte auch aus Gründen gerechtfertigt sein, die bisher noch nicht in die Ermessenentscheidung der Finanzverwaltung eingeflossen sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. November 1987 IV R 83/84, BFH/NV 1989, 2, am Ende). Die Ermessenserwägungen anzustellen ist jedoch die Aufgabe des FA und nicht die der FG. Deshalb hat das FG die Festsetzung des Verspätungszuschlags zu Recht aufgehoben.

c) Vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß der von einem Steuerpflichtigen aus der verspäteten Abgabe einer Steuererklärung gezogene Vorteil dadurch gemindert werden kann, daß von dem Vorteil wiederum Körperschaftsteuer, Einkommensteuer oder Gewerbeertragsteuer erhoben wird. Auch dieser Umstand muß in der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden.

d) Mit seiner Entscheidung weicht der Senat nicht von den BFH-Urteilen vom 30. April 1987 IV R 42/85 (BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543) und in BFH/NV 1989, 2 ab. Die Entscheidungen betreffen einen im Jahre 1983 erzielten Zinsvorteil. Außerdem hat sich der IV.Senat zur generellen Angemessenheit eines Zinssatzes von 12 v.H. nicht geäußert. Entsprechendes gilt auch für das BFH-Urteil vom 9. April 1987 IV R 192/85 (BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540).

4. Die Vorentscheidung verletzt im Ergebnis weder § 102 FGO noch § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Die gegen sie gerichtete Revision ist deshalb unbegründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65522

BFH/NV 1995, 81

BStBl II 1995, 680

BFHE 178, 1

BFHE 1996, 1

BB 1995, 2360

BB 1995, 2360-2362 (LT)

DB 1995, 1997-1998 (LT)

DStR 1995, 1387-1388 (KT)

DStZ 1995, 766-767 (KT)

HFR 1995, 704-705 (LT)

StE 1995, 563 (K)

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