Entscheidungsstichwort (Thema)

Offenbare Unrichtigkeit beim Übersehen von Angaben in der ESt-Erklärung

 

Leitsatz (NV)

Übersehen Sachbearbeiter und Sachgebietsleiter des FA bei der ESt-Veranlagung Angaben des Steuerpflichtigen über steuerpflichtigen Arbeitslohn, von dem kein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so kann hierin eine die Berichtigung eines bestandskräftigen ESt-Bescheids rechtfertigende offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO 1977 liegen.

 

Normenkette

AO 1977 § 129

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau hatten in der Anlage ,,N" ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1979 neben anderen Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in der Zeile 29 mit dem vorgedruckten Text ,,Steuerpflichtiger Arbeitslohn, von dem kein Steuerabzug vorgenommen worden ist" in der Spalte des Klägers eingetragen:

,,Leistung der X $ 9 000 DM 16 586".

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1980 war entsprechend vermerkt:

,,Leistung der X $ 16 792 DM 30 213".

Mit Bescheiden vom 18. Februar 1981 (für 1979) und vom 26. November 1981 (für 1980) veranlagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Kläger und seine Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer, wobei er den in den Zeilen 29 erklärten Arbeitslohn bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit nicht miterfaßte. Zuvor hatte das FA mit Schreiben vom 28. November 1980 und vom 28. September 1981 hinsichtlich anderer Angaben in den Steuererklärungen den Sachverhalt näher aufgeklärt. In den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1978 und 1981 waren an gleicher Stelle ebenfalls Leistungen der X als steuerpflichtiger Arbeitslohn angegeben worden; in diesen beiden Jahren hatte das FA die Einnahmen bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit miterfaßt.

Bei der Veranlagung für das Jahr 1981 bemerkte das FA seinen Fehler und rechnete nunmehr mit gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheiden vom 27. Juni 1983 (für 1979) bzw. vom 13. Juni 1983 (für 1980) die erklärten Leistungen der X den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit hinzu. Die gegen die Änderungsbescheide erhobenen Einsprüche blieben erfolglos.

Die Klage hatte dagegen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zum Ergebnis, daß das FA die ursprünglichen Bescheide nicht gemäß § 129 AO 1977 habe ändern dürfen, da eine offenbare Unrichtigkeit i. S. dieser Vorschrift nicht vorgelegen habe. Es führte hierzu im wesentlichen aus: Offenbar sei der Fehler nicht schon deshalb, weil das FA bei der den Streitjahren vorangehenden Veranlagung für das Jahr 1978 die entsprechend erklärten Einnahmen erfaßt habe. Denn daraus ergäbe sich nicht, warum der Fehler 1979 und 1980 gemacht worden sei. Im Streitfall komme es nicht darauf an, ob der Sachbearbeiter aus schlichter Unachtsamkeit die erklärten Leistungen übersehen und es deshalb unterlassen habe, sich mit ihnen rechtlich auseinanderzusetzen. Denn hier bestehe die Möglichkeit eines Rechtsirrtums des Sachbearbeiters über die Qualität dieser Zahlungen. Es handle sich um ausländische Bezüge, die der Kläger in der Steuererklärung in Dollar erklärt und selbst in DM umgerechnet habe. Solche Zahlungen könne ein Sachbearbeiter nicht einfach kritiklos und ohne weitere gedankliche Leistung in den Eingabewertbogen übernehmen. Er habe zu überlegen, ob diese Einkünfte eventuell von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) und Progressionsvorbehalten erfaßt würden. Bereits dabei könne es zu falschen rechtlichen Einordnungen kommen. Außerdem sei der Kurswert zu prüfen. Wenn der Steuerpflichtige, wie hier der Kläger, die Einkünfte als steuerpflichtigen Arbeitslohn bezeichne, sei damit noch nicht die Einkunftsart und die steuerliche Behandlung endgültig qualifiziert. Es könne sich hier auch um eine andere Einkunftsart handeln, so z. B. um Anteile an Einkünften aus Gewerbebetrieb oder um Kapitaleinkünfte. Es sei ferner nicht auszuschließen, daß der Bearbeiter u. U. diese Einnahmen fälschlicherweise als eine nach dem DBA Deutschland / Amerika in der Bundesrepublik Deutschland steuerfreie Einnahme angesehen habe. Daß kein Aktenvermerk über die rechtliche Einordnung dieser Einkünfte vorhanden sei, bedeute nicht, daß der Bearbeiter keine rechtlichen Überlegungen angestellt habe.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 129 AO 1977.

Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Nach § 129 AO 1977 können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie z. B. Ablese- oder Übertragungsfehler (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Oktober 1979 VIII R 226/77, BFHE 129, 5, BStBl II 1980, 62, und vom 29. März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569). Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder (Nicht-)Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung, die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. auf der Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, die Anwendung dieser Vorschrift aus (vgl. Urteil in BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569 m. w. N.). Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu prüfen (BFH-Urteil vom 1. April 1977 VI R 153/76, BFHE 123, 1, BStBl II 1977, 853, zur früheren Vorschrift des § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall war das FA berechtigt, die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit zu ändern.

Im Streitfall waren die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide unrichtig. Denn das FA hatte den erklärten steuerpflichtigen Arbeitslohn des Klägers von der Firma X, von dem kein Lohnsteuerabzug vorgenommen worden war, nicht berücksichtigt. Entgegen der Ansicht des FG handelt es sich im Streitfall auch um eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977. Denn der Fehler war für die Beteiligten ohne weiteres erkennbar.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Möglichkeit eines Rechtsirrtums des Sachbearbeiters über die steuerliche Behandlung der streitigen Einnahmen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ausschließen würde. Wie das FA zu Recht gerügt hat, würde ein derartiger Denkfehler aber voraussetzen, daß der Sachbearbeiter die entsprechende Angabe in den Steuererklärungen überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG zum Ablauf des Veranlagungsverfahrens und zum Akteninhalt ist jedoch davon auszugehen, daß der Sachbearbeiter die maßgebende Angabe in den Steuererklärungen schlicht übersehen hat, also ein durch keine Rechtsüberlegungen beeinflußter Flüchtigkeitsfehler vorliegt. Es ist theoretisch zwar vorstellbar, daß der Sachbearbeiter die Angabe der Kläger in den Steuererklärungen jeweils gesehen hat und den streitigen Arbeitslohn bewußt außer Ansatz lassen wollte. Diese Möglichkeit ist aber derart fernliegend, daß sie nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann. Denn zum einen waren die streitigen Einnahmen von den Klägern ausdrücklich als steuerpflichtiger Arbeitslohn erklärt worden. Zum anderen sind aus den Akten keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf eine Steuerfreiheit der Bezüge hätten schließen lassen können. Mit dem FA ist davon auszugehen, daß der Sachbearbeiter, wenn er die nicht unerheblichen Bezüge bewußt hätte außer Ansatz lassen wollen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Akten den Grund hierfür kenntlich gemacht hätte, zumal er hierzu verpflichtet gewesen wäre (vgl. § 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung für die Finanzämter - FAGO -, BStBl I 1985, 685, bzw. deren Vorläufer). Hierfür spricht auch, daß der Sachbearbeiter die entsprechenden Bezüge im Jahr 1978 erklärungsgemäß erfaßt hatte. Schließlich ist dem FA auch darin zuzustimmen, daß es sich bei der streitigen Eintragung am unteren Rand der Anlage ,,N" um eine vergleichsweise seltene Angabe handelt, über die der Routineblick hinweggehen kann.

Die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977 kann zwar - wie dargelegt - ausgeschlossen sein, wenn der Sachbearbeiter feststehende Tatsachen nicht berücksichtigt. Dabei muß es sich aber um Unrichtigkeiten handeln, die über ein mechanisches Versehen deshalb hinausgehen, weil sie nicht ,,mechanisch", also ohne weitere Prüfung, erkannt werden können und deshalb letztlich auf unzureichender Sachaufklärung beruhen (Urteil in BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569 m. w. N.). Hat die Nichtberücksichtigung einer Tatsache dagegen - wie hier - ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit und liegt sie offen zutage, so kann von einem auf mangelnder Sachaufklärung beruhenden Nichterkennen der Tatsache nicht gesprochen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416413

BFH/NV 1989, 619

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