Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablösung eines Wohnrechts als tarifbegünstigte Entschädigung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine die Anwendung des § 24 Nr.1 Buchst.a, § 34 Abs.1 und 2 EStG rechtfertigende neue Rechtsgrundlage ist nicht gegeben, wenn unter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ein Wohnrecht abgelöst wird.

 

Normenkette

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1-2

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Geschäftsführer bei den Milchwerken eG (MeG). Neben seinem Gehalt wurde ihm in dem Verwaltungsgebäude der Betriebsstätte "freie Wohnung, Beleuchtung und Heizung" gewährt. Der Kläger versteuerte den Sachbezug als laufenden Arbeitslohn.

Im Jahr 1985 wurde die Betriebsstätte stillgelegt. Hinsichtlich der Aufgabe des Wohnrechts trafen die MeG und der Kläger unter dem 28.Oktober 1985 folgende Vereinbarung:

"1. .....

Wegen der Stillegung des Betriebs und der beabsichtigten Veräußerung des Betriebsgrundstücks sind die Milchwerke gezwungen, das Wohnrecht aufzukündigen. Da eine andere, gleichwertige Wohnung nicht verfügbar ist, zahlen die Milchwerke Herrn S eine Barabfindung in Höhe von 100 000 DM netto. Die Milchwerke übernehmen für diese Zahlung die anfallenden Steuern. Herr S verpflichtet sich jedoch, ... die Steuervergünstigung gemäß § 34 i.V.m. § 24 EStG zu beantragen. Wenn ihm die Steuervergünstigung gewährt wird, wird er den Erstattungsbetrag unverzüglich an die Milchwerke abführen.

2. Endet das Einstellungsverhältnis des Herrn S vor Eintritt in den Ruhestand durch Kündigung, so ist der von den Milchwerken aufgewandte Bruttobetrag zeitanteilig den Milchwerken zurückzuerstatten."

Im Jahr 1986 räumte der Kläger die Betriebswohnung. Daraufhin zahlte die MeG die vereinbarte Abfindung, die brutto 255 859 DM betrug. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ab, berechnete in der Einspruchsentscheidung die Steuer aber gemäß § 34 Abs.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß die Abfindung nicht auf einer neuen Rechts- und Billigkeitsgrundlage beruhe. Vielmehr sei die bisherige vertragliche Basis bestehen geblieben; es hätten sich nur die Zahlungsmodalitäten geändert. An die Stelle des neben dem Anspruch auf Bargehalt vertraglich vereinbarten Anspruchs auf Sachbezug in Form freien Wohnens sei der Anspruch des Klägers auf Entrichtung einer im voraus zu leistenden einmaligen Geldzahlung getreten. Wer, wie der Kläger, Einnahmen, die ihm vertraglich zustünden, wenn auch in anderer Form tatsächlich erhalte, empfange damit keinen Ersatz für vertraglich zustehende Einnahmen, sondern lediglich die vertraglich geschuldete Leistung.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 24 Nr.1 Buchst.a, § 34 Abs.1 und 2 EStG. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.März 1974 VI R 371/70 (BFHE 112, 72, BStBl II 1974, 512) ziehe die falschen Schlußfolgerungen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kapitalisierung gehabt. An die Stelle des Nutzungsrechts sei aufgrund einer neuen vertraglichen Grundlage der Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung getreten. Ähnlichkeiten mit dem Streitfall weise das BFH-Urteil vom 22.Januar 1988 VI R 135/84 (BFHE 152, 461, BStBl II 1988, 525) auf. Der einzige Unterschied bestehe in der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch das zwischenzeitlich ergangene BFH-Urteil vom 27.November 1991 X R 10/91 (BFH/NV 1992, 455) führe zu keiner anderen Rechtsauffassung, da dieses Urteil zu einem Fall ergangen sei, in dem freiwillig auf Ansprüche aus einem Mietvertrag verzichtet worden sei. Schließlich habe der Bundesminister der Finanzen (BMF) in vergleichbaren Fällen Entschädigungen i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a, § 34 Abs.1 und 2 EStG angenommen.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidungen die Abfindung für das Wohnrecht gemäß § 34 Abs.1 EStG zu besteuern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Streitfall sei mit dem BFH-Urteil in BFHE 112, 72, BStBl II 1974, 512, vergleichbar. Im Vertrag vom 28.Oktober 1985 sei lediglich die bisherige Sachleistung "freie Wohnung" in der Weise geändert worden, daß diese Leistung nun nicht mehr in monatlichen Teilbeträgen, sondern in einer Einmalzahlung im voraus erbracht worden sei. Die ursprüngliche vertragliche Pflicht hätte auch in jeder anderen geeigneten Form (z.B. angemietete Wohnung) erbracht werden können. Deshalb sei auch unter Punkt 3 der Vereinbarung vom 28.Oktober 1985 eine zeitanteilige Rückzahlung des voraus gezahlten Betrags für den Fall des Ausscheidens des Klägers vor Eintritt in den Ruhestand vereinbart worden. Wer Einnahmen, die ihm vertraglich zustünden, --wenn auch in anderer Form-- erhalte, empfange keinen Ersatz für vertraglich zustehende Einnahmen, sondern lediglich die vertraglich geschuldete Leistung. Die Zahlung beruhe deshalb nicht auf einer neuen Rechtsgrundlage. Auch habe der Kläger keine wirtschaftlich andere Leistung erhalten. Im übrigen dürfe nicht unbeachtet bleiben, daß das Arbeitsverhältnis fortgeführt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zu Recht abgelehnt.

1. Gemäß § 24 Nr.1 Buchst.a EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs.1 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen eines Rechtsverhältnisses sind, gehören nicht zu den Entschädigungen; dementsprechend muß die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretende Ersatzleistung auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen (vgl. BFH-Urteile vom 27.Februar 1991 XI R 8/87, BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703, vom 10.Juli 1991 X R 79/90, BFHE 165, 75, und in BFH/NV 1992, 455; BFH-Beschluß vom 14.April 1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165).

Das BFH-Urteil in BFHE 112, 72, BStBl II 1974, 512 ist nahezu identisch mit dem Streitfall. Der VI.Senat vertrat die Auffassung, daß ein Schaden (Verlust von Einnahmen) nicht eingetreten sei. Der Kläger habe die (vertraglich geschuldeten) Einnahmen lediglich in anderer Form erhalten; der Arbeitgeber habe mit der Zahlung der Abfindungssumme einen Teil seiner vertraglichen Pflichten aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis im voraus erfüllt.

Der I.Senat qualifizierte in dem Urteil vom 28.April 1982 I R 151/78 (BFHE 135, 526, BStBl II 1982, 566) die Abfindung für die Aufgabe eines Pachtrechts als Schadensersatzleistung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG i.V.m. § 21 EStG. Der Kläger sei zur Aufgabe der Pachtverhältnisse durch den Erwerber der Grundstücke veranlaßt worden; damit sei die Möglichkeit entfallen, künftig Einnahmen aus der Weiterverpachtung zu erzielen.

Wird ein Wohnrecht in Zusammenhang mit der Kündigung eines Dienstverhältnisses abgelöst, so kann die Abfindung als Entschädigung nach § 24 Nr.1 Buchst.a EStG zu beurteilen sein (BFH-Urteil in BFHE 152, 461, BStBl II 1988, 525).

Nach dem BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 455 liegt im Bereich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG nicht vor, wenn und soweit die Ersatzleistung der Erfüllung oder dem Ausgleich des Interesses an der Erfüllung solcher Verträge dient, die im laufenden Geschäftsverkehr geschlossen worden sind und sich unmittelbar auf den Geschäftsgegenstand des Unternehmens beziehen. Dies gelte auch für die infolge Vertragsstörung im Rahmen des Erfüllungsinteresses geleisteten Zahlungen des Vertragsstörers, und zwar einschließlich der Zahlungen für den entgangenen Gewinn i.S. des § 252 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Nicht tatbestandsmäßig seien mithin Zahlungen, die bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen eines Rechtsverhältnisses seien.

Den aufgeführten Urteilen liegt übereinstimmend die Auffassung zugrunde, daß eine die Anwendung des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG rechtfertigende neue Rechtsgrundlage nicht gegeben ist, wenn unter Fortsetzung des Einkunftserzielungstatbestandes im Rahmen des bisherigen Rechtsverhältnisses ein bestehender Anspruch durch den Vertragspartner abgegolten wird, wobei die Ablösung ebenso auf einer Vertragsänderung wie auf einem vertragsrechtlichen Schadensersatzanspruch beruhen kann. Von weiteren Voraussetzungen abgesehen führt die Ablösung von Rechten nur zu einer Entschädigung i.S. der § 24 Nr.1 Buchst.a, § 34 Abs.1 und 2 EStG, wenn das zugrunde liegende Rechtsverhältnis beendet wird (vgl. dazu auch bereits BFH-Urteil vom 21.April 1993 XI R 62/92, BFH/NV 1993, 721).

Zwar trafen im Streitfall der Kläger und die MeG mit der Ablösung des Wohnrechts eine Regelung, die in dem ursprünglichen Dienstvertrag nicht vorgesehen war. Diese Regelung ist aber nicht als neue Rechtsgrundlage zu beurteilen, da sie die Abgeltung eines in dem Dienstvertrag vereinbarten Rechts betraf, mit dem bisherigen Rechtsverhältnis also in einem engen sachlichen Zusammenhang stand und das Dienstverhältnis fortgesetzt wurde. Die Ablösungsvereinbarung war danach nur eine andere "Modalität" im Rahmen des bestehenden und fortgesetzten Rechtsverhältnisses. Ob den vom Kläger zitierten Schreiben des BMF, insbesondere dem Schreiben vom 21.Januar 1987 IV B 4 - S 2258 - 4/87 (Steuererlasse in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 24 Nr.52) eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, kann dahinstehen; die dort erörterten Fälle sind mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Im übrigen können die genannten Schreiben den Senat nicht binden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64657

BFH/NV 1994, 18

BStBl II 1994, 185

BFHE 172, 427

BFHE 1994, 427

BB 1994, 132

BB 1994, 703

BB 1994, 703-704 (LT)

DB 1994, 194-195 (LT)

DStR 1994, 93 (KT)

DStZ 1994, 157 (KT)

HFR 1994, 207-208 (LT)

StE 1994, 29 (K)

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