Leitsatz (amtlich)

Die Beschäftigung eines Bewerbers um die Zulassung zur Steuerberaterprüfung als Justitiar und Referent in der Steuerabteilung einer Oberfinanzdirektion stellt eine --anrechenbare-- hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens dar.

 

Orientierungssatz

Der Begriff des Steuerwesens (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) beschränkt sich nicht auf das Steuerrecht, sondern er umfaßt alle damit zusammenhängenden Sachgebiete und insbesondere die Gebiete, auf die sich nach § 12 DVStB die Steuerberaterprüfung erstreckt. Die Zulassungsvoraussetzung "hauptberuflich" ist auch dann erfüllt, wenn das hauptberufliche Aufgabengebiet des Bewerbers zwar außerhalb des Steuerrechts liegt, mit diesem jedoch zusammenhängt und daher regelmäßig auch die Befassung mit Steuerfragen erfordert (vgl. Rechtsprechung: BFH, FG Hamburg).

 

Normenkette

StBerG § 36 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1975-11-04; DVStB §§ 7, 12

 

Tatbestand

I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) die in § 36 Abs.1 Nr.1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) für die Zulassung zur Prüfung als Steuerberater u.a. genannte Vorbildungsvoraussetzung einer dreijährigen hauptberuflichen Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens erfüllt. Der Kläger trat nach Abschluß der zweiten juristischen Staatsprüfung am 1.August 1985 in den höheren Dienst der Finanzverwaltung des Landes X ein. In der Zeit vom 1.August 1985 bis 31.Januar 1987 wurde er in die Aufgaben des höheren Dienstes in der Steuerverwaltung eingewiesen. Ab dem 1.Februar 1987 bis zu seinem Ausscheiden auf eigenen Antrag mit Ablauf des 31.Dezember 1987 war er bei der Oberfinanzdirektion (OFD) als Justitiar und Referent mit den Arbeitsgebieten Verwaltungsstreitsachen, Prozeßsachen in Personal- und Haushaltsangelegenheiten, verfahrensrechtliche Bestimmungen, Pfändungen (§ 829 der Zivilprozeßordnung --ZPO--, § 46 der Abgabenordnung --AO 1977--) und Bearbeitung von besonders zugeteilten Rechtsangelegenheiten tätig. In der Zeit vom 1.Januar 1988 bis zum 31.Juli 1988 übte der Kläger als Arbeitnehmer bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft unstreitig eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens aus. Seit dem 14.September 1988 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.

Der Zulassungsausschuß beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagten), dem Ministerium der Finanzen, erteilte dem Kläger auf seinen Antrag gemäß § 7 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) die Auskunft, daß er die in § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG geforderten Vorbildungsvoraussetzungen für eine Zulassung zur Steuerberaterprüfung nicht erfülle, weil eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens während der Zeit seiner Tätigkeit bei der OFD (1.Februar bis 31.Dezember 1987) nicht angenommen werden könne. Er sei während dieser Zeit nicht überwiegend mit steuerlichen Angelegenheiten beschäftigt gewesen.

Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, durch eine neue verbindliche Auskunft nach § 7 DVStB festzustellen, daß er bei Fortdauer der bisherigen Tätigkeit mit Ablauf des 31.Juli 1988 i.S. des § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG nach Abschluß des Studiums drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich praktisch tätig gewesen sei. Die Klage auf Erteilung der begehrten Auskunft gemäß § 7 DVStB blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des Klägers ist begründet.

Die Berufstätigkeit des Klägers als Justitiar und Referent bei der OFD während der Zeit vom 1.Februar 1987 bis zum 31.Dezember 1987 lag auf dem Gebiet des Steuerwesens. Es ist ihm daher als Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung antragsgemäß zu bescheinigen, daß er mit Ablauf des 31.Juli 1988 drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich praktisch tätig gewesen ist (§ 36 Abs.1 Nr.1 StBerG i.V.m. § 7 DVStB).

1. Die Zulassung zur Prüfung als Steuerberater setzt nach § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG voraus, daß der Bewerber ein rechtswissenschaftliches, wirtschaftswissenschaftliches oder anderes wissenschaftliches Hochschulstudium mit wirtschaftswissenschaftlicher Fachrichtung abgeschlossen hat und nach Abschluß des Studiums drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich praktisch tätig gewesen ist. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung die hier allein streitige Zulassungsvoraussetzung einer Tätigkeit auf dem Gebiet des "Steuerwesens" im Hinblick auf die nach Art.12 Abs.1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl weit ausgelegt (Urteile vom 17.Oktober 1978 VII R 30/78, BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27, 29, und vom 16.Dezember 1980 VII R 52/80, BFHE 132, 177, BStBl II 1981, 226, 227 mit weiteren Nachweisen).

Der Begriff "Steuerwesen" ist danach nicht beschränkt auf das Steuerrecht und auf die Steuersachen i.S. der §§ 1 ff. StBerG,d.h. die steuerlichen Angelegenheiten der Steuerpflichtigen. Er umfaßt vielmehr alles, was mit Steuern zusammenhängt, insbesondere auch die Randgebiet des Steuerrechts, die für die Steuerberaterprüfung in Betracht kommen (z.B. Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Wirtschaftsrecht, Berufsrecht gemäß § 12 Nr.3 DVStB), also auch Tätigkeiten, die nur mittelbar das Steuerrecht betreffen (vgl. Urteile des Senats vom 22.Februar 1978 VII R 86/77, BFHE 124, 474, BStBl II 1978, 393, 394, und BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27, 29). Eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens i.S. des § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG ist mithin auch dann gegeben, wenn das hauptberufliche Aufgabengebiet des Bewerbers zwar außerhalb des Steuerrechts liegt, jedoch mit diesem zusammenhängt und daher regelmäßig auch die Befassung mit Steuerfragen erfordert (BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27; Foerster, Die Zulassung zur Steuerberaterprüfung, Der Betrieb --DB-- Beilage Nr.11/84 S.3, 4). In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze hat der Senat z.B. die folgenden Berufstätigkeiten von Bewerbern als hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens anerkannt: Buchhalter in der Finanzkasse (Urteil vom 9.Februar 1965 VII 184/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1966, 89), Buchhalter bei einer Bank (Urteil vom 27.Juli 1966 VII 48/64, BFHE 86, 460, BStBl III 1966, 569), Verbandsprüfer im Genossenschaftswesen (Urteil vom 12.November 1974 VII R 112/73, BFHE 114, 310, BStBl II 1975, 313), Korrektur und Überarbeitung von Klausuren bei einem Repetitor für Steuerrecht (BFHE 124, 474, BStBl II 1978, 393), Tätigkeit eines Diplom-Kaufmanns im Rechnungswesen einer GmbH (BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27). Auch die Tätigkeit des Klägers als Justitiar und Referent in der Steuerabteilung der OFD erfüllt diese Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung.

2. a) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) umfaßte das Arbeitsgebiet des Klägers bei der OFD neben der Bearbeitung von Verwaltungsstreitsachen, Prozeßsachen in Personal- und Haushaltsangelegenheiten und besonders zugeteilten Rechtsangelegenheiten auch verfahrensrechtliche Bestimmungen, Pfändungen und Verfahren nach § 46 AO 1977. Die drei letztgenannten Aufgabengebiete sind zweifelsfrei dem Steuerrecht zuzuordnen, da sie entweder selbst das Steuerrecht betreffen oder mit diesem jedenfalls in Zusammenhang stehen. Das gilt auch für die verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die eine Finanzbehörde in ihrem Zuständigkeitsbereich anzuwenden hat, und die Pfändungen, die sie in Erfüllung ihrer Aufgaben (Beitreibung von Steuern) durchzuführen hat. Auch soweit der Kläger als Justitiar --wie sich aus dem Dienstzeugnis vom 4.März 1988 ergibt-- Schadensersatzprozesse aus Amtspflichtverletzung in steuerlichen Angelegenheiten zu führen hatte, war er mit der Bearbeitung steuerrechtlicher Fragen befaßt. Dasselbe gilt für die ihm im Schreiben der OFD vom 13.Mai 1988 bescheinigten 36 Fälle, in denen er zu prüfen hatte, ob wegen mündlicher oder schriftlicher Äußerungen oder wegen Tätlichkeiten von Steuerpflichtigen gegenüber Bediensteten der Finanzämter (FÄ) Strafantrag zu stellen war. Denn in diesen Fällen war regelmäßig auch zu prüfen, ob die angegriffenen Bediensteten (bei der Bearbeitung von Steuerangelegenheiten) sich rechtmäßig verhalten hatten. Auf Grund der vorgenannten Bescheinigung der OFD und der Aussage des Zeugen H hat auch das FG festgestellt, daß der Kläger während der Dauer seiner Beschäftigung bei der OFD in nicht unbeträchtlicher Zeit mit der Bearbeitung von steuerlich relevanten Fällen befaßt war. Wenn die Vorinstanz dennoch im Hinblick auf die von ihr festgestellte zeitlich überwiegende Beanspruchung des Klägers mit Arbeits- und Verwaltungsprozeßsachen zu dem Ergebnis gelangt ist, der Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers habe nicht auf dem Gebiet des Steuerwesens gelegen, so beruht dies auf einer fehlerhaften Auslegung des § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG.

Wie der Senat in BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27, 29 ausgeführt hat, besteht zwischen den Zulassungsvoraussetzungen, die in § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG genannt sind, ein sachlicher Zusammenhang der Art, daß die von dem Bewerber im Hochschulstudium erworbenen theoretischen rechts- oder wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse mit dem Steuerwesen zusammenhängen und auf dessen Gebiet praktisch verwertbar sind. Der Begriff des Steuerwesens beschränkt sich demnach nicht auf das Steuerrecht, sondern er umfaßt alle damit zusammenhängenden Sachgebiete und insbesondere die Gebiete, auf die sich nach § 12 DVStB die Steuerberaterprüfung erstreckt. Hierunter fallen nach § 12 Nr.3 DVStB u.a. auch die Grundzüge des bürgerlichen Rechts und des Handels- und Gesellschaftsrechts, während die Finanzgerichtsordnung (FGO) als Prüfungsgebiet in § 12 Nr.2 DVStB genannt ist. Der Senat folgert daraus, daß der Kläger auch mit der Bearbeitung von Arbeitsgerichts- und Verwaltungsprozeßsachen, die die Vorinstanz als schädlich angesehen hat, im wesentlichen eine Tätigkeit ausgeübt hat, die mit den prüfungsrelevanten Randgebieten des Steuerrechts im Zusammenhang steht. Denn auch hier waren die im rechtswissenschaftlichen Studium erworbenen Kenntnisse des bürgerlichen Rechts und des Prozeßrechts praktisch anzuwenden, wobei die für Verwaltungsgerichtsprozesse maßgebliche Verfahrensordnung (Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO--) weitgehend der FGO entspricht. Ob diese Prozeßtätigkeit des Klägers für sich allein betrachtet über § 12 DVStB uneingeschränkt dem Steuerwesen zugeordnet werden könnte, braucht im einzelnen nicht geprüft zu werden. Der Senat sieht unter Berücksichtigung der gemäß Art.12 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) gebotenen weiten Auslegung und im Hinblick auf die bereits vom FG festgestellte zeitlich nicht unerhebliche Beschäftigung des Klägers mit steuerlich relevanten Fällen dessen gesamte Tätigkeit als Justitiar und Referent bei der OFD als eine solche auf dem Gebiet des Steuerwesens an.

Er ist der Auffassung, daß diese einheitliche Tätigkeit nicht in einen innerhalb und einen außerhalb des Gebiets des Steuerwesens liegenden Bereich aufgegliedert und dann nach der zeitlich überwiegenden Beanspruchung beurteilt werden kann. Maßgeblich für die Beurteilung ist der dem Kläger insgesamt zugewiesene Tätigkeitsbereich, der hier auch wegen seiner organisatorischen Einordnung in die Steuerabteilung der OFD einheitlich dem "Steuerwesen" zugeordnet werden muß. Der Senat hat zwar im Urteil in BFHE 132, 177, BStBl II 1981, 226, 228 die einzelnen Berufstätigkeiten des Bewerbers gesondert betrachtet und der Tätigkeit insgesamt dann die Zulassungsvoraussetzung nach § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG abgesprochen, weil sie in nur unerheblichem Umfang mit dem Steuerwesen zu tun hatte. Der Urteilsfall unterscheidet sich aber vom Streitfall dadurch, daß der Bewerber dort zwei verschiedene Berufe ausgeübt hatte, von denen der eine als selbständiger Unternehmensberater als hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens deshalb ausschied, weil die Hilfe in Steuersachen dort unbefugt ausgeübt worden war.

b) Nach § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG muß der Bewerber auf dem Gebiet des Steuerwesens "hauptberuflich" praktisch tätig gewesen sein. Er muß also eine seine Arbeitszeit und Arbeitskraft überwiegend beanspruchende praktische Tätigkeit ausgeübt haben, die auf dem Gebiet des Steuerwesens lag. Wie der Senat in BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27, 30 entschieden hat, braucht aber der Schwerpunkt der praktischen Tätigkeit nicht das Steuerrecht zum Gegenstand zu haben; er kann auch in einem anderen Bereich des Steuerwesens liegen, also auch auf einem Sachgebiet, das mit dem Steuerrecht zusammenhängt. Der Bewerber braucht also --im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz-- nicht zeitlich überwiegend mit Steuerfragen oder steuerlich relevanten Fällen befaßt gewesen zu sein (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 26.April 1979 V 237/78, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1979, 516; Foerster, DB, Beilage Nr.11/84 S.4). Die hier streitige Zulassungsvoraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn das hauptberufliche Aufgabengebiet des Bewerbers zwar außerhalb des Steuerrechts liegt, mit diesem jedoch zusammenhängt und daher regelmäßig auch die Befassung mit Steuerfragen erfordert (Senat in BFHE 126, 107, BStBl II 1979, 27, 30; FG Hamburg, EFG 1979, 516). Die letztgenannte Voraussetzung ist im Falle des Klägers erfüllt. Wenn er auch --wie das FG festgestellt hat-- zeitlich überwiegend mit Arbeits- und Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten befaßt war, so mußte sich der Kläger doch während seiner Beschäftigung bei der OFD schon auf Grund seiner sonstigen Zuständigkeiten ständig und regelmäßig mit steuerlichen Fragen auseinandersetzen.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO). Mit der Anerkennung der 11-monatigen Beschäftigung als Justitiar und Referent bei der OFD (1.Februar bis 31.Dezember 1987) als hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens hat der Kläger --wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist-- mit Ablauf des 31.Juli 1988 die in § 36 Abs.1 Nr.1 StBerG vorgeschriebene dreijährige Berufspraxis erfüllt. Der Beklagte war zu verpflichten, dem Kläger die begehrte Auskunft gemäß § 7 DVStB zu erteilen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62686

BFH/NV 1989, 12

BStBl II 1989, 337

BFHE 156, 328

BFHE 1989, 328

BB 1989, 488-488 (L1)

DB 1989, 612 (K)

DStR 1989, 154 (K)

HFR 1989, 265 (LT)

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