Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufwendungen für eine Klimakur als außergewöhnliche Belastung

 

Leitsatz (NV)

Die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für eine Klimakur ist durch Vorlage eines vor Antritt der Kur erstellten amtsärztlichen Attestes zu belegen; in derartigen Fällen kann jedoch auf das weitere Erfordernis der ärztlichen Überwachung am Kurort verzichtet werden.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1973 ledig und bezog Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Wegen der Höhe dieser Einkünfte wurde er nach § 46 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1973 zur Einkommensteuer veranlagt.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 legte der Kläger Einspruch ein und machte u.a. erstmals Aufwendungen in Höhe von 5 090 DM zum Abzug als außergewöhnliche Belastung geltend, die anläßlich zweier jeweils dreiwöchiger Aufenthalte in M/Spanien im März 1973 und in A/Südfrankreich im Juli und August 1973 entstanden sind. Zur Begründung führte er aus, er habe diese Reisen zur Heilung und Linderung einer schweren Psoriasis (Schuppenflechte) unternommen, an der er seit Jahren leide.

Der inzwischen für den Kläger zuständig gewordene Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte den Abzug dieser Aufwendungen in seiner Einspruchsentscheidung ab, weil der Kläger weder ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amtsärztliches Zeugnis über die Notwendigkeit der Heilmaßnahme noch andere geeignete Nachweise vorgelegt habe.

Die dagegen gerichtete Klage zum Finanzgericht (FG) hatte Erfolg.

Das FG vertrat die Auffassung, aufgrund der vorgelegten Atteste, der zitierten ärztlichen Fachliteratur und der Anhörung in der mündlichen Verhandlung stehe fest, daß die beiden Reisen zur Heilung und Linderung der Krankheit des Klägers notwendig gewesen seien. Die für spätere Zeiträume vorgelegten amtsärztlichen Zeugnisse belegten die Notwendigkeit mehrwöchiger Kuraufenthalte am Mittelmeer, die durch Heilmaßnahmen im Inland gleichwertig nicht zu ersetzen seien. Zwar habe der Kläger diese amtsärztlichen Zeugnisse erst für die Jahre ab 1980 vorgelegt; das Krankheitsbild habe sich jedoch gegenüber dem Streitjahr nicht entscheidend geändert. Unter diesen Umständen erscheine es daher vertretbar, auf das grundsätzlich erforderliche, vor Reiseantritt erstellte amtsärztliche Attest zu verzichten. Im Streitfall sei schließlich auch der von der Rechtsprechung zu Recht geforderte Nachweis einer ärztlichen Kontrolle am Kurort verzichtbar.

Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision, mit der das FA die Verletzung des § 33 EStG und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Bedeutung besonderer Nachweiserfordernisse rügt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. a) Nach § 33 Abs. 1 EStG kann die Einkommensteuer ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

b) Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise (Kur) sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) als aus tatsächlichen Gründen zwangsläufige außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint (Urteile vom 26. Juli 1957 VI 155/55 U, BFHE 65, 298, BStBl III 1957, 347; vom 29. Juli 1960 VI 249/58, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 33, Rechtsspruch 154; vom 11. Dezember 1964 VI 228/64, StRK, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 33, Rechtsspruch 223; vom 4. Oktober 1968 IV R 59/68, BFHE 94, 442, BStBl II 1969, 179; vom 10. März 1972 VI R 256/69, BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534, und vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295).

aa) Zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Reise ist es regelmäßig erforderlich, daß der Steuerpflichtige ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis vorlegt und sich am Zielort einer unter ärztlicher Kontrolle stehenden Heilbehandlung unterzieht (Urteil in BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295).

bb) Von diesen strengen Nachweisanforderungen, die nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. Juli 1970 1 BvR 434/70 (StRK, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 33, Rechtspruch 281) nicht gegen das Willkürverbot in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, hat die Rechtsprechung in begründeten Einzelfällen Ausnahmen zugelassen. So kann etwa bei Kurreisen, für deren Heilerfolg allein der Klimawechsel entscheidend ist (sog. Klimakuren), auf das Erfordernis ständiger ärztlicher Überwachung am Kurort verzichtet werden (BFH-Urteil in StRK, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 33, Rechtsspruch 154). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. In einem derartigen Ausnahmefall ist die Vorlage eines vor Beginn der Heilbehandlung ausgestellten amtsärztlichen Attestes jedoch unerläßlich. Dies hat der Senat bereits für den Fall der Teilnahme an einer nicht unter ärztlicher Aufsicht stattfindenden Gruppentherapie entschieden (Urteil vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427); für nicht unter ärztlicher Kontrolle durchgeführte Kurreisen kann grundsätzlich nichts anderes gelten, wenn auch andere geeignete Nachweise zuzulassen sind, wie etwa die Bescheinigung einer Versicherungsanstalt oder die Bestätigung einer Behörde, daß die Notwendigkeit der Kur im Rahmen der Bewilligung von Zuschüssen oder Beihilfen geprüft und anerkannt worden ist (vgl. Urteil in BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295). In jedem Fall jedoch muß sich aus dem Attest oder der Bescheinigung zweifelsfrei ergeben, daß der Steuerpflichtige krank und der Aufenthalt in einem bestimmten Kurort für einen gewissen Zeitraum medizinisch angezeigt ist.

2. a) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall muß die Revision Erfolg haben. Zwar ist der Senat mit der Vorentscheidung der Auffassung, daß für eine Heilkur, deren Erfolg entscheidend von einem Klimawechsel abhängt, eine ärztliche Überwachung am Kurort nicht erforderlich ist. Der Senat kann dem FG jedoch nicht in dem Verzicht auf jeglichen Nachweis zur Zwangsläufigkeit der beiden im Streitjahr unternommenen Reisen folgen. Die Vorentscheidung stützt sich auf eine Bescheinigung der Hausärztin des Klägers vom 17. Oktober 1984, die ihn wegen seiner Krankheit seit 1959 betreut hat und in der dargelegt ist, daß der Kläger u.a. auch im Frühjahr und Sommer 1973 jeweils vor und nach den von ihm durchgeführten Reisen zur Besprechung von Behandlungsplänen, zur Kontrolle des Behandlungserfolgs und zum Empfang von Rezepturen in der Sprechstunde gewesen sei. Nach dieser und einer weiteren Bescheinigung vom 8. Juni 1984 ist für die Behandlung der Psoriasis, an der der Kläger leidet, eine Badekur am Mittelmeer besonders angezeigt. Nach Auffassung des Senats sind diese Bescheinigungen für sich genommen kein ausreichender Nachweis für die medizinische Notwendigkeit der beiden im Streitjahr durchgeführten Reisen.

b) Für den Senat nicht nachvollziehbar ist auch die Schlußfolgerung des FG, wonach die ab 1980 vorliegenden amtsärztlichen Zeugnisse die Zwangsläufigkeit der im Streitjahr 1973 durchgeführten Reisen belegen. Denn unabhängig davon, ob dem Kläger darin gefolgt werden kann, daß ihm die besonderen Nachweisanforderungen im Streitjahr nicht bekannt gewesen seien, fehlt es an anderen geeigneten Nachweisen, die die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen zeitnah belegen und deren Erforderlichkeit sich auch dem Kläger hätte aufdrängen müssen. Der Senat kann dem FG auch nicht darin zustimmen, daß die Zwangsläufigkeit der beiden Reisen u.a. dadurch belegt werde, daß der Kläger seinen Erholungsurlaub im Streitjahr räumlich, zeitlich und dem äußeren Ablauf nach getrennt und unabhängig von den beiden Aufenthalten am Mittelmeer durchgeführt habe. Der BFH hat in BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534 und BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295 dem Umstand, daß ein Steuerpflichtiger neben der sog. Kurreise in demselben Jahr noch mehrere Erholungsreisen unternommen hat, keine entscheidende Bedeutung beigemessen.

3. a) Da das FG von anderen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, damit der Kläger die erforderlichen Nachweise erbringt und das FG auf dieser Grundlage zweifelsfreie Feststellungen zur Zwangsläufigkeit der beiden im Streitjahr durchgeführten Kurreisen treffen kann. Nach den dargelegten Grundsätzen ist zwar die Vorlage eines vor Beginn der Kur ausgestellten amtsärztlichen Zeugnisses erforderlich. Da der BFH dieses Erfordernis erst 1980 im Urteil in BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295 erstmals ausdrücklich aufgestellt und bis zu dieser Entscheidung nur die ärztliche Kontrolle am Kurort gefordert hat (z. B. Urteil in BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534, m.w.N.), ist es im Streitfall vertretbar, ausnahmsweise ein nachträglich erstelltes amtsärztliches Zeugnis genügen zu lassen.

Dieses Attest müßte nicht nur belegen, daß die Krankheit des Klägers im Streitjahr 1973 die Durchführung zweier Kurreisen notwendig gemacht hat, sondern auch, daß gerade der Aufenthalt an den gewählten Zielorten in besonderer Weise und vor anderen Kurorten geeignet war, die Heilung und Linderung der Krankheit zu fördern. Ein solches Attest könnte möglicherweise aufgrund von Unterlagen und Stellungnahmen der Ärzte erstellt werden, die den Kläger vor und nach den beiden Reisen im Streitjahr behandelt haben.

b) Sollte die erneute Prüfung die Zwangsläufigkeit der beiden Kuraufenthalte des Klägers ergeben, so wird das FG auch Feststellungen zur Höhe der geltend gemachten Aufwendungen zu treffen haben. Dabei ist u.a. nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß die Aufwendungen zur Beseitigung von Schäden durch einen in M verursachten Autounfall durch die Heilbehandlung veranlaßt waren.

Da nach § 33 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG nur notwendige und angemessene Aufwendungen zu berücksichtigen sind, wird das FG weiter zu prüfen haben, ob bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels geringere Kosten entstanden wären (BFH-Urteile vom 30. Juni 1967 VI R 104/66, BFHE 89, 337, BStBl III 1967, 655, und in BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427). Zwar hat die Rechtsprechung ausnahmsweise auch die Kosten der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs zum Abzug zugelassen, wenn die besonderen Umstände, wie die Art der Erkrankung, dies erfordern (BFH-Urteil vom 19. Mai 1961 VI 223/60, StRK, Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 135). Die Art der Erkrankung des Klägers legt es jedoch eher nahe, daß sich der Kläger zweckmäßiger öffentlicher Verkehrsmittel für die Reise zum Kurort bedient hätte, weil er nach einem von ihm vorgelegten ärztlichen Zeugnis vom 1. August 1978 jede übermäßige körperliche und nervliche Beanspruchung meiden sollte, die bei Autofahrten über eine Entfernung von mehreren tausend Kilometern kaum zu verhindern ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415400

BFH/NV 1988, 149

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