Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung eines Kindes, das Rechtswissenschaft studiert und halbtags als Steuerinspektor im Finanzamt tätig ist

 

Leitsatz (NV)

Ein Kind wird auch dann i. S. des § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG für einen Beruf ausgebildet, wenn es Rechtswissenschaft studiert und neben dem Studium halbtags im Finanzamt als Steuerinspektor tätig ist.

 

Normenkette

EStG (für 1989 gültige Fassung): § 32 Abs. 4 Nr. 1; EStG (für 1989 gültige Fassung): § 32 Abs. 6

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der im Jahre 1965 geborene Sohn des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) studierte im Streitjahr 1989 Rechtswissenschaft und war als Steuerinspektor in einem Finanzamt tätig. Er arbeitete wöchentlich 19,5 Stunden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte es ab, den vom Kläger beantragten Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 4 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) zu berücksichtigen. Er begründete dies damit, daß der Sohn unter denselben Bedingungen wie andere einen Beruf ausgeübt habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab und führte aus: Zwar komme es bei der Gewährung eines Kinderfreibetrages nach dem Wortlaut des § 32 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung grundsätzlich nicht darauf an, ob das Kind während der Berufsausbildung einer Erwerbstätigkeit nachgehe und wie hoch die daraus erzielten Einkünfte seien. Etwas anderes gelte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aber dann, wenn das Kind während der Ausbildung bereits einen Beruf ausübe, wie er von vielen anderen Steuerpflichtigen als Dauerberuf ausgeübt werde (Urteile vom 11. Oktober 1984 VI R 69/83, BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91; vom 2. Juli 1993 III R 66/91, BFHE 172, 321, BStBl II 1994, 101). Diese Situation sei auch dann gegeben, wenn die Berufstätigkeit halbtags ausgeübt werde.

Der Kläger rügt mit der Revision fehlerhafte Auslegung des § 32 Abs. 6 i. V. m. Abs. 4 Nr. 1 EStG.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1989 vom 28. März 1990 und der Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 1991 einen zusätzlichen Kinderfreibetrag in Höhe von 2 484 DM einkommensmindernd zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Herabsetzung der Steuer in dem begehrten Umfang. Dem Kläger steht der begehrte Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 6 EStG) entgegen der Auffassung des FG zu.

1. Nach § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr 1989 gültigen Fassung wird ein Kind, das zu Beginn des Kalenderjahres das 16. Lebensjahr, aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Anders als in § 32 Abs. 4 Nr. 7 EStG ist nicht Voraussetzung für die Berücksichtigung, daß das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Die Vorschrift enthält in der für das Streitjahr gültigen Fassung auch keine Verweisung auf das Bundeskindergeldgesetz, so daß es nicht darauf ankommt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen nach diesem Gesetz eigene Einkünfte der Berücksichtigung des Kindes bei den Eltern entgegenstehen.

In Berufsausbildung befindet sich, wer seine Berufsziele noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (BFH-Urteile vom 8. November 1972 VI R 309/70, BFHE 107, 450, BStBl II 1973, 139, und in BFHE 172, 321, BStBl II 1994, 101). Der Sohn des Klägers wurde im Streitjahr für einen Beruf ausgebildet. Er studierte Rechtswissenschaft und zeigte damit, daß er mit der abgeschlossenen Ausbildung als Steuerinspektor sein Berufsziel noch nicht erreicht hatte. Studiert ein Steuerinspektor Rechtswissenschaft, so handelt es sich um eine Berufsausbildung i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG und nicht um eine berufliche Fortbildung (vgl. BFH-Urteil vom 17. April 1996 VI R 87/95, BFHE 180, 351, BStBl II 1996, 448).

Allerdings hat der BFH entschieden, daß sich in Berufsausbildung i. S. des § 32 EStG nicht befindet, wer weiterhin ein höher gestecktes Berufsziel anstrebt, dabei jedoch einen Beruf ausübt, wie er von vielen Steuerpflichtigen als Dauerberuf ausgeübt wird und werden kann (Urteile in BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91, 92; vom 2. Juli 1993 III R 81/91, BFHE 172, 59, BStBl II 1993, 870, und III R 79/92, BFHE 172, 62, BStBl II 1993, 871; in BFHE 172, 321, BStBl II 1994, 101; vom 2. Juli 1993 III R 70/92, BFHE 172, 411, BStBl II 1994, 102).

Die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen der BFH eine den Wortlaut des § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG bzw. der Vorgängervorschriften einschränkende Auslegung für gerechtfertigt gehalten hat, liegen im Streitfall nicht vor. Denn der BFH hat in den vorgenannten Urteilen als einen Dauerberuf, der der Gewährung des Kinderfreibetrages entgegensteht, nur sog. Ausbildungsdienst verhältnisse, in denen die Arbeitnehmer jedenfalls auch für die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen bezahlt werden, oder solche Beschäftigungen gewertet, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem angestrebten höheren Berufsziel gestanden haben. Dies ist bei der Nebenbeschäftigung eines Studenten der Rechtswissenschaft als Inspektor in einem Finanzamt nicht der Fall. Dieser unterscheidet sich nicht von anderen Studenten der Rechtswissenschaft, die neben ihrem Studium erwerbstätig sind.

2. Da die Vorentscheidung von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Es besteht kein Streit darüber, daß der Sohn des Klägers im Streitjahr tatsächlich seinem Studium nachgegangen ist und mithin für einen Beruf ausgebildet wurde. Dem Kläger ist daher der Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 6 EStG) zu gewähren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66168

BFH/NV 1997, 655

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