Leitsatz (amtlich)

Bei einem Großhandelsunternehmen spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß es in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird.

Der Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn das FA die ernsthafte Möglichkeit darlegt, daß im konkreten Einzelfall nicht das Streben nach einem Totalgewinn, sondern persönliche Gründe für die Fortführung des Unternehmens bestimmend waren.

 

Orientierungssatz

1. Über die Frage, ob sich das FG eigene Sachkunde zutraut oder ob es das Gutachten eines Sachverständigen einholt, entscheidet es nach pflichtgemäßem Ermessen. Richter der Finanzgerichtsbarkeit sind jedenfalls in Fällen, in denen besondere Branchenkenntnisse nicht erforderlich sind, grundsätzlich in der Lage, anhand der Bilanzen und anderer Erkenntnisquellen zu beurteilen, ob ein Betrieb bei einer bestimmten Bewirtschaftungsart auf die Dauer gesehen Gewinne erzielen kann. Entscheidet das FG in diesen Fällen aus eigener Sachkunde, so liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung oder die Pflicht zur Sachaufklärung nicht vor.

2. Verstöße des FG gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze bei der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzurechnen. Sie sind deshalb nicht geeignet, eine Verfahrensrüge zu begründen (Lit.).

3. Es gibt keinen Grundsatz, der es gebietet, eine von der bisherigen Rechtsauffassung der Steuergerichte abweichende Rechtsprechung nur auf künftige Fälle, nicht aber auf zeitlich zurückliegende Sachverhalte anzuwenden. Ein solcher Grundsatz würde dem System der FGO widersprechen, die nur gerichtliche Entscheidungen über die Besteuerung bereits verwirklichter, nicht aber künftiger Sachverhalte zuläßt (vgl. BFH-Urteil vom 27.1.1982 II R 148/70).

4. Das BVerfG hat die Aufgabe und Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung stets bejaht. Die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung werden nur dann überschritten, wenn die Rechtsprechung in Widerspruch zum möglichen Wortsinn der gesetzlichen Regelung steht, an die sie anknüpft. Die Rechtsprechung des RFH und des BFH zur sog. Liebhaberei verstößt nicht gegen die Bindung des Richters an das Gesetz.

5. Betrieb eines Getränkegroßhandels als einkommensteuerrechtlich unbeachtliche Tätigkeit (Liebhaberei): Gewinnerzielungsabsicht in den Streitjahren 1971 bis 1973 verneint, weil der Betrieb seit Gründung im Jahre 1952 bis zur Liquidation im Jahre 1981 ausschließlich Verluste erzielte und persönliche Gründe für die Fortführung des Betriebs (Erhaltung des Betriebs für den Sohn des Betriebsinhabers, Erhaltung von Arbeitsplätzen) maßgebend waren. Einbeziehung des abgelaufenen Zeitraums sowie der künftigen Entwicklung des Betriebs in die Beweiswürdigung für die Streitjahre. Ausführungen zur Gewinnerzielungsabsicht im Sinne des BFH-Beschlusses vom 25.6.1984 GrS 4/82, zur Feststellung der Gewinnabsicht anhand äußerer Merkmale, zur objektiven Beweislast (Feststellungslast), wenn das FA den Anscheinsbeweis der Gewinnabsicht entkräftet. Die Bemerkung des Großen Senats im Beschluß vom 25.6.1984 GrS 4/82 unter C IV 3 c bb zur objektiven Beweislast ist dahin zu verstehen, daß das FA dann (und nur dann) die objektive Beweislast für das Vorliegen der Gewinnabsicht trägt, wenn es daraus Rechtsfolgen zu seinen Gunsten ableiten will.

 

Normenkette

EStG 1971 § 15 Nr. 1; FGO §§ 76, 96 Abs. 1, § 118 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 25.10.1982; Aktenzeichen VII 437/78)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 18.11.1986; Aktenzeichen 1 BvR 330/86)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Der Ehemann (Kläger) betrieb von 1952 bis 1981 in H einen Großhandel mit Getränken (Bier, Mineralwasser, Heilbrunnen, Obstsäfte usw.). Seine Abnehmer waren Restaurants, Apotheken, Drogerien, Kantinen sowie sämtliche Krankenhäuser des Bezirks H. Der Kläger erzielte aus dem Getränkegroßhandel folgende Verluste:

DM

--

1952 3 230,80

1953 12 470,14

1954 8 988,54

1955 10 229,--

1956 6 892,17

1957 9 617,48

1958 19 193,30

1959 26 282,39

1960 37 165,75

1961 27 465,12

1962 20 373,36

1963 32 091,66

1964 59 769,45

1965 45 340,75

1966 38 774,62

1967 47 209,10

1968 22 362,18

1969 30 310,61

1970 51 776,53

1971 178 953,67

1972 119 088,61

1973 131 378,60

1974 98 379,--

1975 64 630,--

1976 57 751,--

1977 65 977,--

1978 74 861,--

1979 92 537,--

1980 77 453,--

1981 38 419,--

------------

1 508 970,83.

============

Der Abwicklungsgewinn des Jahres 1981 betrug 133 797 DM.

Im Anschluß an eine Außenprüfung bei dem Kläger ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die in den Streitjahren 1971 bis 1973 erzielten Verluste aus dem Getränkegroßhandel nicht mehr zum Ausgleich mit den positiven Einkünften der Kläger zu.

Das FA erließ entsprechend berichtigte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 350 veröffentlicht ist, folgte der Auffassung des FA, daß der Kläger den Getränkegroßhandel in den Streitjahren nicht mehr mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben habe und daß die Verluste aus diesem Unternehmen nicht als Verluste aus Gewerbebetrieb anerkannt werden könnten.

Der Kläger habe mit dem Getränkegroßhandel seit der Eröffnung des Betriebs im Jahre 1952 ausschließlich Verluste erwirtschaftet. Nach einem Verlustzeitraum von 19 Jahren habe im Jahre 1971 festgestanden, daß es sich bei den in diesem Zeitraum erzielten Verlusten nicht mehr um Anlaufverluste gehandelt haben könne. Auch besondere Verhältnisse, die die in den Streitjahren erzielten Verluste als künftig überwindbar erscheinen lassen könnten, seien nicht ersichtlich.

Selbst wenn man in den Streitjahren außergewöhnliche Verlustursachen (Forderungsausfälle, Leergut-Verluste) unberücksichtigt lasse, beliefen sich die Verluste noch auf 76 336 DM (1971), 82 165 DM (1972) und 102 280 DM (1973).

Da der Kläger den Betrieb in stets gleichbleibender Art bewirtschaftet, d.h. trotz der anhaltenden Verluste keine innerbetrieblichen Maßnahmen zur Verbesserung der Ergebnisse getroffen, insbesondere keine Anstrengungen zur Erhöhung des Umsatzes unternommen habe, habe er bei objektiver Beurteilung in den Streitjahren nicht mehr mit der Erzielung von Gewinnen rechnen können.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragen, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und den zusammengefaßten geänderten Einkommensteuerbescheid für die Streitjahre dahingehend zu ändern, daß die Einkommensteuer, der Stabilitätszuschlag und die Ergänzungsabgabe nach folgenden zu versteuernden Einkommen festgesetzt werden:

1971 140 457 DM

1972 180 094 DM

1973 136 786 DM.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrügen der Kläger greifen nicht durch. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) oder die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) ist nicht deshalb anzunehmen, weil das FG aus eigener Sachkunde festgestellt hat, der Betrieb des Klägers sei nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung nicht geeignet, nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften. Über die Frage, ob sich das FG eigene Sachkunde zutraut oder ob es das Gutachten eines Sachverständigen einholt, entscheidet es nach pflichtgemäßem Ermessen. Diese Ermessensentscheidung ist im Streitfall nicht zu beanstanden. Richter der Finanzgerichtsbarkeit sind nach ihrer Ausbildung und Berufstätigkeit grundsätzlich in der Lage, anhand der Bilanzen und anderer Erkenntnisquellen zu beurteilen, ob ein Betrieb bei einer bestimmten Bewirtschaftungsart auf die Dauer gesehen Gewinne erzielen kann. Das gilt jedenfalls in Fällen, bei denen besondere Branchenkenntnisse nicht erforderlich sind. Im Streitfall hatte der Kläger aus dem Getränkegroßhandel während der gesamten Zeit seines Bestehens ausschließlich Verluste erzielt. Es bedurfte bei dieser Sachlage keines Sachverständigen um festzustellen, daß das Unternehmen bei gleichbleibender Art der Bewirtschaftung objektiv ungeeignet war, nachhaltig mit Gewinn zu arbeiten.

Die Kläger rügen zu Unrecht, das FG habe Verfahrensrecht dadurch verletzt, daß es in seine Beweiswürdigung Tatsachen einbezogen habe, die erst nach Ablauf der streitigen Veranlagungszeiträume eingetreten seien; maßgeblich für die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht des Klägers in den Jahren 1971 bis 1973 könnten nur die in diesen Jahren bekannten Verhältnisse sein. Die Kläger machen damit sinngemäß geltend, die Beweiswürdigung des FG sei mit den Denkgesetzen unvereinbar. Verstöße gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze sind jedoch revisionsrechtlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzurechnen. Sie sind deshalb nicht geeignet, eine Verfahrensrüge zu begründen (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm.13, m.w.N.).

2. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Verluste aus dem Getränkegroßhandel in den Streitjahren nicht mit anderen positiven Einkünften der Kläger ausgeglichen werden können, weil es sich dabei um die Ergebnisse einer einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Tätigkeit handelt.

a) Der Einkommensteuer unterliegen nur solche positiven oder negativen Einkünfte, die unter eine der in § 2 Abs.3 Nr.1 bis 7 des Einkommensteuergesetzes 1971 (EStG) aufgeführten Einkunftsarten fallen. Wird --wie im Streitfall-- die Anerkennung von Verlusten aus gewerblicher Tätigkeit beantragt, so setzt dies voraus, daß der Steuerpflichtige einen Gewerbebetrieb i.S. des § 15 Nr.1 EStG unterhalten hat. Ein Gewerbebetrieb im Sinne dieser Vorschrift ist nur gegeben, wenn die gewerbliche Betätigung in der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird (§ 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung --GewStDV--).

Für das geltende Recht ergibt sich das nunmehr aus der Legaldefinition des Gewerbebetriebs in § 15 Abs.2 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1984 vom 22.Dezember 1983 (BGBl I 1983, 1583, BStBl I 1984, 14) --EStG 1984--. Aber auch außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Vorschrift war die Gewinnerzielungsabsicht bereits Tatbestandsmerkmal des Gewerbebetriebs. Die Vorschrift des § 15 Abs.2 EStG 1984 hat insoweit nur klarstellende Bedeutung. Der erkennende Senat nimmt wegen der Begründung Bezug auf die Ausführungen im Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25.Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, 427, 434, BStBl II 1984, 751, 756).

Gewinnerzielungsabsicht als Merkmal des gewerblichen Unternehmens ist, wie der Große Senat im Beschluß in BFHE 141, 405, 427, 434, BStBl II 1984, 751, 756 ausgeführt hat, das Streben nach Betriebsvermögensmehrung in Gestalt eines Totalgewinns. Dabei ist unter dem Begriff "Totalgewinn" das positive Gesamtergebnis des Betriebs von der Gründung bis zur Veräußerung, Aufgabe oder Liquidation zu verstehen.

b) Ob der Steuerpflichtige in diesem Sinne eine Gewinnerzielungsabsicht hatte, kann nicht aus seinen Absichtserklärungen, sondern nur anhand äußerer Merkmale festgestellt werden. Es muß deshalb im Einzelfall aufgrund objektiver Umstände auf das Vorliegen oder Fehlen dieser Absicht geschlossen werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die objektive Eignung des Betriebs zur Erzielung eines Totalgewinns entscheidend ist. Die objektiven Verhältnisse (Wesensart des Betriebs, Art der Betriebsführung, Ertragsaussichten) sind lediglich Beweisanzeichen für die subjektiven Vorstellungen des Steuerpflichtigen in dem zu beurteilenden Veranlagungszeitraum. Maßgebend ist immer, wie sich die Verhältnisse aus der Sicht des an objektiven Gegebenheiten orientierten Steuerpflichtigen dargestellt haben (vgl. Groh in Der Betrieb --DB-- 1984, 2424, 2426; derselbe in Die Wirtschaftsprüfung --WpG-- 1984, 655, 658; Woerner in Betriebs-Berater --BB-- 1985, 908).

Gewinnerzielungsabsicht kann deshalb auch dann gegeben sein, wenn ein Betrieb aus der Sicht eines objektiven, sachkundigen Beobachters nach seiner Wesensart oder der Art seiner Betriebsführung keinen Totalgewinn erzielen kann. In einem solchen Fall wird der Steuerpflichtige allerdings substantiiert Umstände darlegen und glaubhaft machen müssen, die ihn --aus seiner Sicht-- zu der Annahme berechtigten, die in der Vergangenheit angefallenen Verluste im Laufe der weiteren Entwicklung des Betriebs durch spätere Gewinne ausgleichen und ein positives Gesamtergebnis erzielen zu können.

c) Bei einem Großhandelsunternehmen, wie es hier zu beurteilen ist, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß es in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird. Denn Unternehmen dieser Art sind nach der Lebenserfahrung typischerweise nicht dazu bestimmt und geeignet, der Befriedigung persönlicher Neigungen des Steuerpflichtigen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkommenssphäre zu dienen.

Dieser Anscheinsbeweis kann vom FA entkräftet werden. Er entfällt bereits dann, wenn das FA die ernsthafte Möglichkeit darlegt, daß im konkreten Einzelfall nicht das Streben nach einem Totalgewinn, sondern persönliche Motive des Steuerpflichtigen für die Fortführung des Unternehmens bestimmend waren (vgl. BFH-Beschluß vom 12.Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, 527, BStBl II 1978, 620, und Urteil vom 13.November 1979 VIII R 93/73, BFHE 129, 53, BStBl II 1980, 69).

Wenn dauernde Verluste auf das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht hindeuten, reicht dies allein für die Entkräftung des Anscheinsbeweises nicht aus. Bei längeren Verlustperioden müssen weitere Umstände hinzukommen, die es als ernsthaft möglich erscheinen lassen, daß der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Die ernsthafte Möglichkeit, daß ein jahrelang ausschließlich mit Verlusten arbeitender Betrieb nicht in der Absicht der Gewinnerzielung geführt wird, ist jedenfalls dann gegeben, wenn feststeht, daß der Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung auf die Dauer gesehen nicht nachhaltig mit Gewinn arbeiten kann.

Gelingt dem FA die Widerlegung des Anscheinsbeweises, so hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob der Kläger das Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben hat. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht trägt derjenige, der sich zur Ableitung bestimmter Rechtsfolgen auf das Vorhandensein eines Gewerbebetriebs beruft (BFH-Urteile vom 28.April 1977 IV R 98/73, BFHE 122, 462, BStBl II 1977, 728, und vom 24.Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562). Im Streitfall trifft die objektive Beweislast für das Vorhandensein der Gewinnabsicht die Kläger, da sie positive Einkünfte mit den Verlusten aus dem Getränkegroßhandel ausgleichen wollen. Aus dem Beschluß in BFHE 141, 405, 427, 434, BStBl II 1984, 751, 756 ergibt sich nichts anderes. Die Bemerkung des Großen Senats unter C IV 3 c bb zur objektiven Beweislast ist --wie sich aus der Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 13.November 1979 VIII R 93/73 (BFHE 129, 53, BStBl II 1980, 69) ergibt-- dahin zu verstehen, daß das FA dann (und nur dann) die objektive Beweislast für das Vorliegen der Gewinnabsicht trägt, wenn es --wie im Urteil in BFHE 129, 53, BStBl II 1980, 69-- daraus Rechtsfolgen zu seinen Gunsten ableiten will.

d) Im Streitfall hat das FG festgestellt, daß der Kläger aus dem Getränkegroßhandel von der Gründung des Betriebs im Jahre 1952 bis zu seiner Liquidation im Jahre 1981 ausschließlich Verluste erzielt hat. Es hat daraus und aus der Tatsache, daß außergewöhnliche Verlustursachen nicht ersichtlich waren, den Schluß gezogen, daß der Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung zur nachhaltigen Gewinnerzielung nicht geeignet war.

An diese Feststellung ist der erkennende Senat gebunden, da sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen (s. oben unter 1.) und nicht durch Denkfehler oder Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt ist (§ 118 Abs.2 FGO). Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, daß das FG in seine Beweiswürdigung die Entwicklung des Betriebs in den Jahren 1974 bis 1981 einbezogen hat. Die Beantwortung der Frage, ob ein Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Betriebsführung auf die Dauer gesehen dazu geeignet ist, mit Gewinn zu arbeiten, erfordert eine in die Zukunft gerichtete Beurteilung, für die die Verhältnisse eines bereits abgelaufenen Zeitraums wichtige Anhaltspunkte bieten können (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht nur zulässig, sondern geboten, daß das FG aus der Tatsache, daß der Betrieb des Klägers fast drei Jahrzehnte lang ausschließlich Verluste erwirtschaftet hat, seine Schlüsse zog (BFH-Urteil vom 18.März 1976 IV R 113/73, BFHE 118, 447, BStBl II 1976, 485). Der Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht ist deshalb als entkräftet anzusehen.

Die Feststellung, daß der Betrieb des Klägers bei objektiver Beurteilung nicht geeignet war, nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften, läßt allerdings noch nicht den Schluß zu, daß der Kläger in den Streitjahren keine Gewinnerzielungsabsicht hatte. Es muß vielmehr aufgrund weiterer Beweisanzeichen die Schlußfolgerung möglich sein, daß der Kläger die verlustbringende Tätigkeit in den Streitjahren aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausgeübt hat (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; BFH-Urteile vom 21.Oktober 1980 VIII R 81/79, BFHE 132, 518, BStBl II 1981, 452, und vom 13.Dezember 1984 VIII R 59/82, BFHE 143, 58, BStBl II 1985, 455).

Die Beweiswürdigung des FG ist auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden.

Das FG hat eine Gewinnerzielungsabsicht des Klägers zwar in erster Linie deshalb verneint, weil dieser bei objektiver Beurteilung in den Streitjahren nicht mehr mit der Erzielung von Gewinnen habe rechnen können. Es hat bei seiner Würdigung aber auch Beweisanzeichen berücksichtigt, die einen Schluß auf die subjektiven Absichten und Vorstellungen des Klägers in den Streitjahren zulassen. Es hat insbesondere festgestellt, der Kläger habe den Getränkegroßhandel trotz der anhaltenden Verluste in stets gleichbleibender Form weiterbetrieben. Das FG hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, der Kläger habe keine innerbetrieblichen Strukturmaßnahmen zur Erzielung positiver Ergebnisse ergriffen und auch nicht dargetan, daß er aussichtsreiche Anstrengungen zu einer Steigerung des Umsatzes unternommen habe. Zu derartigen Darlegungen waren die Kläger, die die objektive Beweislast für das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht als Merkmal des Gewerbebetriebs trifft, verpflichtet. Es war ihre Aufgabe, Umstände vorzutragen, die nach ihrer Ansicht trotz der jahrelangen Verluste für eine Gewinnerzielungsabsicht sprechen, und diese Umstände --sofern nicht offensichtlich-- nachzuweisen oder glaubhaft zu machen (§§ 170, 171 der Reichsabgabenordnung --AO--, §§ 90, 93 der Abgabenordnung --AO 1977--; BFH-Urteil vom 18.November 1980 VIII R 194/78, BFHE 132, 522, BStBl II 1981, 510). Kann der Steuerpflichtige in einem solchen Fall nicht vortragen und ggf. nachweisen oder glaubhaft machen, daß er sich bemüht hat, die Verlustursachen zu ermitteln und ihnen mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen, so ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG hieraus den Schluß zieht, daß für die Fortführung der verlustbringenden Tätigkeit nicht das Streben nach einem Totalgewinn, sondern persönliche Gründe ursächlich waren. Das FG konnte deshalb auch nach den Grundsätzen des Beschlusses in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 zu der Schlußfolgerung gelangen, daß der Kläger den Getränkegroßhandel in den Streitjahren nicht mehr in der Absicht der Gewinnerzielung geführt hat.

Die Äußerung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem FG, er habe den Betrieb trotz der Verluste weitergeführt, weil er keine Arbeitnehmer habe entlassen wollen und weil er den Betrieb seinem Sohn habe erhalten wollen, spricht nicht gegen die vom FG gezogene Schlußfolgerung.

Der BFH hat wiederholt ausgesprochen, daß die Erwägung, einen Betrieb der Familie zu erhalten, nicht betrieblicher, sondern privater Natur ist (vgl. z.B. Urteil vom 30.November 1967 IV 1/65, BFHE 91, 81, BStBl II 1968, 263).

Richtig ist allerdings, daß die Auffassung der Vorinstanz, es handele sich bei der Absicht, Arbeitsplätze zu erhalten, um einen "mehr im privaten Bereich angesiedelten Beweggrund", bei isolierter Betrachtung zu Bedenken Anlaß geben könnte. Diese Äußerung ist jedoch im Zusammenhang mit den vorangegangenen Ausführungen des FG-Urteils zu sehen. Das FG meint offenbar nicht, daß die Absicht, Arbeitsplätze zu erhalten, grundsätzlich dem Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen sei, sondern daß es sich dabei nach den im Streitfall gegebenen Umständen um eine außerbetriebliche Erwägung handeln müsse. Versteht man die Äußerung des FG in diesem Sinne, so ist sie nicht zu beanstanden, weil es nicht ausgeschlossen ist, diesen Grund (Erhaltung von Arbeitsplätzen) der privaten Lebensführung zuzurechnen, wenn sich aus objektiven Beweisanzeichen ergibt, daß das Unternehmen zur Erzielung eines Totalgewinns nicht bestimmt und geeignet ist.

Auch die unstreitige Tatsache, daß der Kläger aus den ihm von seiner Ehefrau zur Verfügung gestellten Mitteln erhebliche Einlagen geleistet und viel Arbeit in den Betrieb investiert hat, spricht nicht gegen die Schlußfolgerung des FG. Denn auch eine ernsthafte Tätigkeit kann einkommensteuerrechtlich unbeachtlich sein, wenn sie zur Erzielung eines Totalgewinns weder bestimmt noch geeignet ist. Die Annahme einer einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Tätigkeit setzt nicht voraus, daß diese der persönlichen Lebenshaltung in Form von Erholung und Freizeitgestaltung dient (BFH-Urteil vom 22.Juli 1982 IV R 74/79, BFHE 136, 459, BStBl II 1983, 2). "Persönliche Gründe" im Sinne des Beschlusses in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 sind alle einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Motive.

3. Unbegründet ist schließlich der Einwand der Kläger, die angefochtene Entscheidung verletze Verfassungsrecht (Art.20 Abs.3 des Grundgesetzes).

Die Kläger machen zu Unrecht geltend, die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des BFH zur sog. Liebhaberei verstoße gegen die Bindung des Richters an das Gesetz.

Die Rechtsprechung, die den Ausgleich von Verlusten aus einer Tätigkeit versagt, die zur Erzielung eines Totalgewinns weder bestimmt noch geeignet ist, beruht auf einer Fortbildung des geltenden Einkommensteuerrechts durch die Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe und Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung stets bejaht (vgl. Beschlüsse vom 14.Februar 1975 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287 f., und vom 11.Oktober 1978 1 BvR 84/74, BVerfGE 49, 304, 318, m.w.N.). Die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung werden nur dann überschritten, wenn die Rechtsprechung in Widerspruch zum möglichen Wortsinn der gesetzlichen Regelung steht, an die sie anknüpft (vgl. Kruse in BB 1985, 1077, 1081, m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich das Erfordernis der Gewinnerzielungsabsicht als Merkmal des Gewerbebetriebs aus dem Gesetz (§ 15 EStG, § 2 Abs.1, § 1 GewStDV 1968). Das angefochtene Urteil beruht deshalb nicht auf einer unzulässigen gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung, sondern auf einer möglichen Auslegung einkommensteuerrechtlicher Vorschriften, hier des § 2 Abs.3 Nr.1 und § 15 EStG (Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 4.Aufl., § 2 Anm.8 c).

Es ist auch nicht richtig, daß das Urteil der Vorinstanz eine unzulässige rückwirkende Verschärfung der bisherigen Rechtsprechung bedeute.

Es trifft nicht zu, daß die Rechtsprechung des BFH die Grundsätze zur sog. Liebhaberei bisher nur auf land- und forstwirtschaftliche Betriebe angewendet hat. Der BFH hat bereits mit Urteil vom 17.März 1960 IV 193/58 U (BFHE 71, 197, BStBl III 1960, 324) entschieden, daß Verluste aus einer Vollblutzucht bei fehlender Gewinnerzielungsabsicht nicht als Verluste aus Gewerbebetrieb anerkannt werden können.

Selbst wenn man jedoch in der Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze zur sog. Liebhaberei auf ein Großhandelsgeschäft eine Verschärfung der bisherigen Rechtsprechung sehen würde, könnte dies die Versagung des Verlustausgleichs für zurückliegende Veranlagungszeiträume nicht hindern.

Es gibt keinen Grundsatz, der es gebietet, eine von der bisherigen Rechtsauffassung der Steuergerichte abweichende Rechtsprechung nur auf künftige Fälle, nicht aber auf zeitlich zurückliegende Sachverhalte anzuwenden. Ein solcher Grundsatz würde im übrigen dem System der FGO widersprechen, die nur gerichtliche Entscheidungen über die Besteuerung bereits verwirklichter, nicht aber künftiger Sachverhalte zuläßt (BFH-Urteil vom 27.Januar 1972 II R 148/70, BFHE 105, 68, BStBl II 1972, 431).

Auch § 176 Abs.1 Nr.3 AO 1977 geht davon aus, daß eine verschärfende Rechtsprechung des BFH auf die Vergangenheit zurückwirkt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60945

BStBl II 1986, 289

BFHE 145, 375

BFHE 1986, 375

DB 1986, 836-837 (ST)

DStR 1986, 271-272 (ST)

HFR 1986, 2355-236 (ST)

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