Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte

 

Leitsatz (NV)

Ein Bezirksschornsteinfeger unterhält in seinem Wohnhaus regelmäßig keine Betriebsstätte (Anschluß an das BFH-Urteil vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208).

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4

 

Verfahrensgang

FG Bremen

 

Tatbestand

I. 1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Für das Streitjahr 1991 begehren sie die Berücksichtigung von Aufwendungen des Klägers als Bezirksschornsteinfegermeister für Fahrten vom gemeinsamen Wohnhaus zu seinem Kehrbezirk in voller Höhe als Betriebsausgaben.

An das von den Klägern bewohnte Haus ist auf einer Seite ein Büroraum, auf der anderen Seite ein Werkstatt- und Sozialraum mit Duschgelegenheit und Besprechungsecke angebaut. Im Büroraum erledigt der Kläger einen Teil seiner betrieblichen Tätigkeit, insbesondere das Führen des Kehrbuches, die Vor- und Nachbereitung der im Kehrbezirk durchgeführten Arbeiten und die Planung des Einsatzes seines Mitarbeiters. Darüber hinaus führt er dort die für seinen Kehrbezirk anfallenden Berechnungen durch und arbeitet Begutachtungen in feuertechnischen Fragen aus. Im Werkstatt- und Sozialraum werden die anstehenden Kehr- und Meßaufträge und die erledigten Arbeiten besprochen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) behandelte alle Fahrten des Klägers vom Wohnhaus zu seinem Kehrbezirk als solche zwischen Wohnung und Betriebsstätte i. S. des §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und ließ dementsprechend die Fahrtkosten nur mit den sich aus §9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ergebenden Höchstbeträgen zum Abzug als Betriebsausgaben zu. Die Kläger sind der Meinung, daß es sich jedenfalls bei den Fahrten, die der Kläger von seinen betrieblich genutzten Räumen aus angetreten habe, um Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten handele.

2. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, zwar fordere die mit der Begrenzung des Fahrtkostenabzugs in §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angestrebte Gleichbehandlung des Werbungskostenabzugs bei Arbeitnehmern und des Betriebsausgabenabzugs bei Selbständigen eine deutliche Grenzziehung zwischen dem privaten Bereich des Wohnens und dem der beruflich/betrieblichen Betätigung. Dies folge bereits aus dem generellen Abzugsverbot für die Kosten der Lebensführung (§12 EStG). Das FG folge jedoch nicht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach Räumlichkeiten, die einen Teil der Wohnung oder des Wohnhauses bildeten, ungeachtet ihrer beruflich/betrieblichen Nutzung nicht als Betriebsstätten i. S. des §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu qualifizieren seien (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208). Die Anordnung einer Arbeitsstätte innerhalb der Wohnung, die als nahezu ausschließlich beruflich/betrieblich genutzt anzusehen sei, könne insoweit keinen sachgerechten Aspekt darstellen. Im Streitfall handele es sich um Anbauten, die vom Wohnbereich räumlich nicht getrennt werden könnten. Unbestritten seien sie aber nahezu ausschließlich beruflich im Sinne einer Stätte der Geschäftsleitung genutzt worden; sie hätten die "Basisstation" des Klägers als Ausgangs- und Endpunkt seiner Fahrten gebildet und seien für die Verrichtung seiner Arbeit nicht hinwegzudenken. Eine solche Basisstation sei Betriebsstätte, ohne daß es dabei auf die weiteren Indizien im Sinne der Rechtsprechung des BFH, insbesondere die Größe und Anordnung des Arbeitsplatzes ankomme. Für die Frage, ob ein Steuerpflichtiger in seiner Wohnung eine Arbeits-/Betriebsstätte unterhalte, sei entscheidend auf die Art der Betätigung abzustellen. Wenn sich die häusliche Betätigung als notwendige Vor- oder Nacharbeit für die "Außenbetätigung" darstelle, oder wenn sie einen weiteren Zweig, ein wesentliches Element dieser Betätigung bilde, sei auch im Wohnbereich eine Arbeits-/Betriebsstätte anzunehmen. Dies gelte sowohl für selbständig Tätige als auch für nichtselbständig Beschäftigte.

Bei einem Bezirksschornsteinfegermeister wie im Streitfall seien diese Voraussetzungen gegeben. Nach den einschlägigen Bestimmungen über das Schornsteinfegerwesen habe er sowohl handwerkliche als auch schriftliche Aufgaben zu erfüllen. Bei dieser "Zweigleisigkeit"sei nicht entscheidend, in welchem Verhältnis diese Arbeiten zeitlich und umfänglich zueinander stünden. Beide seien notwendige Bestandteile des Berufs des Klägers. Im einzelnen wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 98 veröffentlichten Entscheidungsgründe verwiesen.

3. Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, im wesentlichen mit den Gründen der Vorentscheidung, die Revision zurückzuweisen. Zudem machen sie geltend, daß der in §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG verwendete Begriff mit dem Begriff der Betriebsstätte i. S. des §12 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) identisch sei und daher nicht abweichend interpretiert werden dürfe. Für die Annahme einer Betriebsstätte in diesem Sinne reiche daher ein räumlich abgegrenzter und angemessen ausgestatteter Bereich aus. Eine Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs stünde auch nicht mit §4 Abs. 4 EStG im Einklang. Danach seien die wirtschaftlichen Erfordernisse der jeweiligen Tätigkeit ausschlaggebend. Der Kläger treffe in seinen betrieblich genutzten Räumen sämtliche für die Leistung des Kehrbezirks erforderlichen Entscheidungen. In seinem eigentlichen Kehrbezirk sei ihm dies nicht möglich.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Zu Unrecht hat das FG die Fahrten des Klägers zwischen seinem Wohnhaus und seinem Kehrbezirk als Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten angesehen. Bei zutreffender rechtlicher Würdigung handelt es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i. S. von §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG, die (unbeschadet ihrer Berücksichtigung als betriebliche Aufwendungen gemäß §4 Abs. 4 EStG) nur mit den in §9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG genannten Beträgen als Betriebsausgaben abzugsfähig sind. Diese Beurteilung entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH.

Wie auch das FG ausführt, verlangt die mit der Begrenzung des Fahrtkostenabzugs in §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angestrebte Gleichbehandlung des Werbungskostenabzugs bei Arbeitnehmern und des Betriebsausgabenabzugs bei Selbständigen eine deutliche Grenzziehung zwischen dem privaten Bereich des Wohnens und dem der beruflichen oder betrieblichen Betätigung. Räumlichkeiten, die -- wie üblicherweise ein häusliches Arbeitszimmer -- nur einen Teil der Wohnung oder des Wohnhauses bilden, also in den Wohnbereich und damit in die private Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden bleiben, können somit nicht als Betriebsstätte i. S. des §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG qualifiziert werden. Dies gilt entgegen der Auffassung des FG ungeachtet der Art und des Umfangs ihrer beruflichen oder betrieblichen Nutzung (BFH-Urteile vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83, BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744; vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421; vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23; in BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208; vom 27. Oktober 1993 I R 99/92, BFH/NV 1994, 701; BFH-Beschluß vom 20. Dezember 1994 I B 102/94, BFH/NV 1995, 870; BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, BFH/NV 1997, 279). Ein Steuerpflichtiger unterhält daher im Wohnbereich regelmäßig auch dann keine Betriebsstätte i. S. des §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG, wenn sich die häusliche Betätigung als notwendige Vor- oder Nacharbeit für die "Außenbetätigung" darstellt. Die gegenteilige Auffassung des FG steht vor allem mit dem mit dieser Vorschrift verfolgten Zweck der Gleichbehandlung des Werbungskostenabzugs bei Arbeitnehmern und des Betriebsausgabenabzugs bei Selbständigen nicht im Einklang. Sie würde, worauf das FA zu Recht hinweist, dazu führen, daß der Abzug der Fahrtkosten als Betriebsausgaben vielfach in das Belieben der selbständig tätigen Steuerpflichtigen gestellt wäre, die im Gegensatz zu Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit das äußere Bild ihrer Tätigkeit und damit den Ort der Vor- und Nacharbeiten weitgehend selbst bestimmen können. Dies gilt um so mehr, als das FG dem jeweiligen Verhältnis von "Außen- und Innenbetätigung" der Zeit und dem Umfang nach keine entscheidende Bedeutung zumessen will. Soweit es um die steuerliche Behandlung von Fahrtkosten zur jeweiligen Beschäftigungsstelle, also im Rahmen der "Außenbetätigung" geht, kann entgegen der Vorentscheidung auch nicht von Bedeutung sein, ob der Steuerpflichtige im Wohnbereich noch andere sich aus seiner Funktion ergebende Aufgaben im Sinne eines weiteren Zweiges seiner Tätigkeit (etwa die Erstellung von Gutachten) erledigt.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Rechtsprechung eine im Rahmen von §4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG modifizierte Anwendung des sonst in §12 AO 1977 definierten Betriebsstättenbegriffs nicht verwehrt (BFH-Urteile in BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23; in BFH/NV 1997, 279). Einer besonderen gesetzlichen Regelung bedarf es dazu nicht.

Nach den Feststellungen des FG ist im Streitfall ein gesonderter betrieblicher Bereich des Klägers nicht erkennbar. Sowohl Büro als auch Werkstatt- und Sozialraum gehören räumlich zum Wohnbereich. Sie bilden auch untereinander keine Einheit, die dem Wohngebäude teilweise den Charakter des Privaten nähme. Die Wohnung war somit Ausgangspunkt und Endpunkt der Fahrten des Klägers zu seinem Kehrbezirk als seiner Betriebsstätte unabhängig davon, welchen Raum er jeweils unmittelbar davor und danach als ersten aufgesucht hat (vgl. auch Senatsurteil vom 22. April 1998 XI R 59/97).

 

Fundstellen

Haufe-Index 302785

BFH/NV 1999, 41

DStRE 1998, 827

DStZ 1999, 99

HFR 1999, 93

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