Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Steuerfreiheit von Existenzgründerbeihilfen, die über die Bedingungen des § 55a AFG a.F. hinausgehen

 

Leitsatz (NV)

Zuschüsse zur Förderung von Existenzgründern aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und aus Landesmitteln im Rahmen des Programms "Arbeit und Qualifizierung für Sachsen" sind weder in direkter noch analoger Anwendung des § 3 Nr. 2 EStG steuerfrei (Anschluss an BFH-Urteil vom 26. Juni 2002 IV R 39/01, BFH/NV 2002, 1389).

 

Normenkette

EStG 1996 § 3 Nr. 2; AFG § 55a

 

Verfahrensgang

Sächsisches FG (EFG 2001, 1486)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten, die für das Streitjahr 1996 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Die Klägerin bezog vom 1. Januar bis 13. April 1996 Krankengeld. Seit Mai 1996 ist sie als Unternehmensberaterin selbständig tätig. Die Zahlung von Überbrückungsgeld für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit gemäß § 55a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) i.d.F. des Streitjahres 1996 wurde der Klägerin vom zuständigen Arbeitsamt mit der Begründung versagt, sie habe nicht unmittelbar bis zur Aufnahme ihrer selbständigen Tätigkeit mindestens 4 Wochen Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen.

Der Klägerin wurde jedoch für die Zeit vom 2. Mai 1996 bis 1. Mai 1997 eine Zuwendung in Höhe von 26 000 DM als Existenzgründungszuschuss aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Landesmitteln (Zuschüsse für die Existenzgründung im Freistaat Sachsen) gewährt. Bei der Bemessung des Förderbetrages von 500 DM wöchentlich wurde berücksichtigt, dass die Klägerin keinen Zuschuss nach dem AFG erhalten hatte. Der Förderbetrag hätte sich bei der Gewährung eines solchen Zuschusses um dessen Höhe vermindert. Die Zuwendung beruhte auf dem Programm "Arbeit und Qualifizierung für Sachsen" (vgl. § 44 der Vorläufigen Haushaltsordnung des Freistaates Sachsen vom 19. Dezember 1990 ―SÄHO―, Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt ―SächsGVBl― 1990, 21; Richtlinien des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit für die Förderung von Maßnahmen, die aus dem Europäischen Sozialfonds mitfinanziert werden, vom 1. Juli 1996 ―RL über die Verwendung von Mitteln aus dem ESF―, Sächsisches Amtsblatt 1996, 810).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) erfasste diesen Zuschuss in Höhe des im Streitjahr 1996 zugeflossenen Teilbetrages von 17 500 DM in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid als steuerpflichtige Betriebseinnahme.

Mit der dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machten die Kläger geltend, die streitigen Zuwendungen seien als Ergänzungsbeihilfen i.S. von § 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1996 steuerfrei. Die zuständige Arbeitsbehörde habe den Antrag der Klägerin auf Überbrückungsgeld zu Unrecht abgelehnt.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2001, 1486, Leitsatz).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen (sinngemäß), die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das angefochtene Urteil verletzt § 3 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (EStG 1996).

1. Das FA hat den streitigen Existenzgründerzuschuss zutreffend als Betriebseinnahme der Klägerin erfasst. Zu den Betriebseinnahmen gehören alle ertragswirksamen Zugänge, die durch den Betrieb veranlasst sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. September 1995 VIII R 35/93, BFHE 179, 251, BStBl II 1996, 273, m.w.N.). Eine Einnahme ist betrieblich veranlasst, wenn ein sachlicher Zusammenhang mit dem Betrieb besteht (vgl. z.B. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 4 Rz. 460, "Zuschüsse, Zulagen", m.w.N.). Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor. Die Klägerin erhielt den streitigen Zuschuss im Zusammenhang mit der Gründung ihres Betriebs (vgl. auch BFH-Urteile vom 9. Oktober 1996 XI R 35/96, BFHE 181, 309, BStBl II 1997, 125, unter II. 1., und vom 26. Juni 2002 IV R 39/01, BFH/NV 2002, 1389, unter 1.).

2. Dem FG kann indes nicht darin gefolgt werden, dass es den streitigen Existenzgründerzuschuss in analoger Anwendung des § 3 Nr. 2 EStG 1996 als steuerfrei angesehen hat.

a) Nach § 3 Nr. 2 EStG 1996 in der hier maßgeblichen Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 (JStG 1997) vom 20. Dezember 1996 (BStBl I 1996, 1523, 1537 f.; zum zeitlichen Anwendungsbereich vgl. § 52 Abs. 2 b i.d.F. des JStG 1997, S. 1544) sind u.a. steuerfrei das Arbeitslosengeld, das Kurzarbeitergeld, das Schlechtwettergeld, das Winterausfallgeld, die Arbeitslosenhilfe, das Unterhaltsgeld und die übrigen Leistungen nach dem AFG und den entsprechenden Programmen des Bundes und der Länder, soweit sie Arbeitnehmern oder Arbeitsuchenden oder zur Förderung der Ausbildung oder Fortbildung der Empfänger gewährt werden, sowie Leistungen nach § 55a AFG und aus Landesmitteln ergänzte Leistungen aus dem ESF, wenn sie der Aufstockung der Leistungen nach § 55a AFG dienen.

b) Zu Recht ist das FG zunächst davon ausgegangen, dass eine direkte Anwendung des § 3 Nr. 2 EStG 1996 im Streitfall nicht in Betracht kommt. Selbst bei extensiver Auslegung dieser Befreiungsvorschrift bis zu den äußersten Grenzen deren Wortsinns wird der streitige Zuschuss vom Wortlaut der Norm nicht erfasst:

Ein Überbrückungsgeld im Sinne des für das Streitjahr noch anwendbaren § 55a AFG (vgl. nunmehr den ab Veranlagungszeitraum 1998 anwendbaren § 57 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch ―SGB III―) wurde der Klägerin nicht gewährt (vgl. Ablehnungsbescheid des zuständigen Arbeitsamts vom 7. Juni 1996). Dabei ist es für die Anwendung des § 3 Nr. 2 EStG 1996 unerheblich ―wie schon die Vorinstanz zutreffend entschieden hat―, ob der Klägerin die Gewährung eines solchen Überbrückungsgeldes von der zuständigen Arbeitsbehörde zu Recht oder zu Unrecht versagt wurde.

Bei der streitigen Zuwendung handelte es sich demnach nicht um eine aus Landesmitteln ergänzte Leistung aus dem ESF, die der Aufstockung der Leistungen nach § 55a AFG diente. In seinem Urteil in BFH/NV 2002, 1389 hat der IV. Senat des BFH zu einem ähnlich gelagerten, gleichermaßen einen Existenzgründerzuschuss aus Mitteln des ESF und des Freistaates Sachsen betreffenden Fall in Bezug auf die gleiche Rechtslage im Veranlagungszeitraum 1997 zutreffend Folgendes ausgeführt:

"Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Nr. 2 EStG müssen sich die Zuwendungen auf Leistungen nach § 55a AFG beziehen und diese ergänzen. Beihilfen, die eine über die Bedingungen des § 55a AFG hinausgehende Förderung von Existenzgründern bewirken, sind nicht nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfrei (…). Eine Aufstockung i.S. des Gesetzeswortlauts ist insbesondere anzunehmen, wenn die Beihilfe zu einer zeitlichen Verlängerung der im Rahmen der Voraussetzungen des § 55a AFG liegenden Zahlung oder zu einer Erhöhung des Überbrückungsgeldes führt (…).

Der Zuschuss nach dem Programm 'Arbeit und Qualifizierung für Sachsen' bezieht sich hingegen nicht auf eine Leistung nach § 55a AFG. Die Existenzgründungsbeihilfe wurde weder zur Verlängerung einer Zahlung noch zur Erhöhung eines bereits geleisteten Überbrückungsgeldes nach § 55a AFG gewährt. Vielmehr lässt sich aus dem Zuwendungsbescheid des Regierungspräsidiums und den Richtlinien über die Verwendung von Mitteln aus dem ESF erkennen, dass dem Kläger der Zuschuss unabhängig von einer Leistung der Bundesanstalt für Arbeit gewährt wurde."

Nicht anders liegt es auch im hier zu beurteilenden Streitfall.

c) Nicht zu folgen ist der Vorinstanz allerdings darin, dass der streitige Zuschuss in analoger Anwendung des § 3 Nr. 2 EStG 1996 steuerfrei sei. Insoweit fehlt es bereits an einer für einen Analogieschluss erforderlichen planwidrigen Gesetzeslücke (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1389; vgl. ferner BFH-Urteil in BFHE 181, 309, BStBl II 1997, 125, betreffend Existenzgründerzuschuss aus Mitteln des Landes Brandenburg).

Dabei kann der erkennende Senat ―wie der IV. Senat im Urteil in BFH/NV 2002, 1389― offen lassen, ob man im Streitfall von einer Gesetzeslücke ausgehen könnte. Selbst wenn das zu bejahen wäre, wäre diese Lücke jedenfalls nicht planwidrig. Auch insoweit schließt sich der erkennende Senat den zutreffenden Erwägungen des IV. Senats des BFH im Urteil in BFH/NV 2002, 1389 an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 856060

BFH/NV 2003, 43

HFR 2003, 13

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