Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Wegfall der Nutzungswertbesteuerung unwiderruflich - Gesetzesauslegung gegen den Wortlaut - Beschwer bei zu niedriger Steuerfestsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Antrag auf Wegfall der Nutzungswertbesteuerung gemäß § 52 Abs. 21 Satz 3 EStG ist mit Zugang beim FA wirksam und von diesem Zeitpunkt an unwiderruflich.

 

Orientierungssatz

1. § 52 Abs. 21 Satz 3 EStG ist nicht gegen den Wortlaut dahin auszulegen, daß der wirksam gestellte Antrag noch bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung widerrufen werden kann. Den Interessen der Steuerpflichtigen, vor Stellen eines solchen Antrags die sich hieraus ergebenden Folgen abzuwägen, wird das Gesetz gerecht, indem der Antrag bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gestellt werden kann. Hat der Steuerpflichtige aber den Antrag gestellt, ist er daran endgültig gebunden.

2. Die Auslegung eines Gesetzes gegen den Wortlaut ist nur ausnahmsweise möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (vgl. BFH-Rechtsprechung).

3. Ein Steuerpflichtiger kann auch durch die Festsetzung einer zu niedrigen Steuer in seinen Rechten verletzt sein, wenn sich die Festsetzung in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann (vgl. BFH-Urteil vom 10.12.1992 IV R 17/92).

 

Normenkette

EStG 1987 § 21 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 21 S. 3; BGB § 130; FGO § 40 Abs. 2; AO 1977 §§ 4, 350

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, sind Eigentümer eines Zweifamilienhauses. Bis zum Veranlagungszeitraum 1986 ermittelten sie den Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung gemäß § 21 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Ansatz eines Mietwertes und Abzug der Werbungskosten. Im Streitjahr 1987 erklärten die Kläger nur die auf die vermietete Wohnung entfallende Miete und Werbungskosten. Gleichzeitig beantragten sie in der Anlage V zur Einkommensteuererklärung "unwiderruflich" den Wegfall der Nutzungswertbesteuerung ab 1. Januar 1987. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß fest.

Einspruch und Klage, mit denen die Kläger begehrten, für die selbstgenutzte Wohnung einen Nutzungswert anzusetzen und die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Haus auf 1 583 DM zu erhöhen, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) bejahte zwar das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger für den Antrag, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erhöhen; werde der Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung im Streitjahr und in den folgenden Jahren besteuert, sei dies für die Kläger wegen zu erwartender hoher Werbungskosten insgesamt günstiger. In der Sache könnten die Kläger aber keinen Erfolg haben. Der Antrag, den Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung nicht mehr zu besteuern, sei unwiderruflich.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 52 Abs. 21 Satz 3 EStG. Der Antrag, den Nutzungswert nicht mehr zu besteuern, könne bis zur Bestandskraft des Steuerbescheids widerrufen werden.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für das Streitjahr den als Überschuß des Mietwerts über die Werbungskosten ermittelten Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Revision ist zulässig.

Die Vorentscheidung beschwert die Kläger, obwohl sie für das Streitjahr die Festsetzung einer höheren Steuer begehren.

Ein Steuerpflichtiger kann auch durch die Festsetzung einer zu niedrigen Steuer in seinen Rechten verletzt sein, wenn sich die Festsetzung in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Dezember 1992 IV R 17/92, BFHE 170, 145, BStBl II 1993, 344, unter I., m.w.N.).

Dies trifft im Streitfall zu. Die Kläger erstreben den Ansatz eines positiven Nutzungswerts der selbstgenutzten Wohnung für das Streitjahr, um in den folgenden Veranlagungszeiträumen die Nutzungswertbesteuerung nach § 52 Abs. 21 Sätze 2, 3 EStG fortführen und dadurch Werbungskostenüberschüsse erzielen zu können.

II.

Die zulässige Revision ist aber unbegründet.

Wie das FG zu Recht entschieden hat, ist für das Streitjahr bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Kläger kein Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung mehr zu berücksichtigen. Die Kläger haben bereits mit ihrem Antrag in der Einkommensteuererklärung 1987 unwiderruflich auf die Nutzungswertbesteuerung verzichtet.

1. Ein Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung im eigenen Haus nach § 21 Abs. 2 und § 21a EStG ist grundsätzlich letztmals für den Veranlagungszeitraum 1986 anzusetzen (§ 52 Abs. 21 Satz 1 EStG). Haben bei einer Wohnung im eigenen Haus bei dem Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum 1986 die Voraussetzungen für die Ermittlung des Nutzungswerts als Überschuß des Mietwerts über die Werbungskosten oder die Betriebsausgaben vorgelegen, so ist § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG für die folgenden Veranlagungszeiträume, in denen diese Voraussetzungen vorliegen, bis einschließlich Veranlagungszeitraum 1998 weiter anzuwenden (§ 52 Abs. 21 Satz 2 Halbsatz 1 EStG). Der Steuerpflichtige kann aber für einen Veranlagungszeitraum nach dem Veranlagungszeitraum 1986 unwiderruflich beantragen, daß § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG ab diesem Veranlagungszeitraum nicht mehr angewendet wird (§ 52 Abs. 21 Satz 3 EStG).

Der Antrag, den Nutzungswert der selbstgenutzten Wohnung nicht mehr zu besteuern, wird --als Willenserklärung-- in entsprechender Anwendung des § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit dem Zugang beim FA wirksam (vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., Vor § 149 AO 1977 Tz.3 f.). Von diesem Zeitpunkt an ist er unwiderruflich. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 52 Abs. 21 Satz 3 EStG. Die Vorschrift unterscheidet sich dadurch von Regelungen wie z.B. dem Wahlrecht zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung (§§ 26a, 26b EStG) und Bilanzierungswahlrechten, deren Ausübung das Gesetz nicht für unwiderruflich erklärt (vgl. BFH-Urteile vom 25. Juni 1993 III R 32/91, BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824, zum Veranlagungswahlrecht; vom 9. August 1989 X R 110/87, BFHE 158, 520, BStBl II 1990, 195 zu Bilanzierungswahlrechten).

§ 52 Abs. 21 Satz 3 EStG ist nicht gegen den Wortlaut dahin auszulegen, daß der wirksam gestellte Antrag noch bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung widerrufen werden kann. Die Auslegung eines Gesetzes gegen den Wortlaut ist nur ausnahmsweise möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. August 1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357, BStBl II 1975, 12, und vom 2. August 1983 VIII R 190/80, BFHE 139, 123, BStBl II 1984, 4). Hierfür ergibt sich im Streitfall kein Anhaltspunkt. Den Gesetzesmaterialien (vgl. BTDrucks 10/3633) läßt sich --entgegen der Auffassung der Kläger-- nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber entgegen dem Wortlaut des § 52 Abs. 21 Satz 3 EStG den Widerruf des Antrags bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung zulassen wollte. Die bei Zugang des Antrags auf Wegfall der Nutzungswertbesteuerung beim FA eintretende Bindung des Steuerpflichtigen führt auch nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen. Sie dient vielmehr der Rechtssicherheit und sichert den zügigen Fortgang des Veranlagungsverfahrens.

Den berechtigten Interessen der Steuerpflichtigen, vor Stellen eines Antrags nach § 52 Abs. 21 Satz 3 EStG die sich hieraus ergebenden finanziellen Folgen abzuwägen, wird das Gesetz gerecht, indem der Antrag bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gestellt werden kann (vgl. Abschn. II. 4. des Schreibens des Bundesministers der Finanzen vom 19. September 1986, BStBl I 1986, 480). Der Steuerpflichtige kann sich die Entscheidung, ob er den Antrag stellen will, bis zu diesem Zeitpunkt offenhalten. Hat er aber den Antrag wirksam gestellt, ist er daran endgültig gebunden.

Die Auffassung des Senats entspricht der einhelligen Meinung in der Rechtsprechung der FG und in der Literatur: Urteile des FG Bremen vom 23. Februar 1990 I 115/89 K (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1990, 528); des Hessischen FG vom 19. Juni 1991 2 K 3188/90 (EFG 1991, 736); des FG Baden-Württemberg vom 7. Oktober 1992 5 K 303/91 (EFG 1993, 387); Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 21 EStG Rz. 251; Bordewin in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 21 Anm. 206 c; Gänger in Hartmann/Böttcher/ Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 21 Rz. 263; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 13. Aufl., § 10e Anm. 3 a cc; Stephan in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 21 EStG Rn.586, 586 a, und in Der Betrieb 1989, 2304.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65735

BFH/NV 1995, 43

BStBl II 1995, 410

BFHE 177, 58

BFHE 1996, 58

BB 1995, 1173

BB 1995, 1173-1174 (LT)

DB 1995, 1009-1010 (LT)

DStR 1995, 846 (KT)

DStZ 1995, 409-410 (KT)

HFR 1995, 457-458 (LT)

StE 1995, 280 (K)

WPg 1995, 519 (L)

StRK, R.80 (LT)

FR 1995, 512-513 (KT)

Information StW 1995, 538 (KT)

GStB 1995, Beilage zur Nr 5 (L)

KFR, 3/95, 189, (H 7/1995) (KT)

NWB, Fach 3 9539-9540 (41/1995) (LT)

Grundeigentum 1995, 1219 (LT)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Hartz, ABC-Führer Lohnsteuer (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge