Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert bei Prüfungsanordnung; Betriebsprüfung bei dem Initiator einer Ersterwerbergemeinschaft

 

Leitsatz (NV)

1. Wird eine Betriebsprüfung angeordnet, sind bei der zu prüfenden Gesellschaft selbst keine Mehrsteuern zu erwarten und gibt es auch keine anderen Anhaltspunkte für die Bezifferung des Streitwertes, ist von einem Streitwert von 4 000 DM auszugehen (entsprechende Anwendung von § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).

2. Eine Betriebsprüfung kann angeordnet werden, wenn eine Gesellschaft den Anschein erweckt hat, ,,in einer steuerliche Auskunftspflichten auslösenden Funktion tätig geworden zu sein".

 

Normenkette

AO 1977 §§ 33-35, 180 Abs. 2; FGO § 155; ZPO § 3; GKG § 13 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Das beklagte Finanzamt - FA - hatte am 27. Februar 1980 gegen sechs verschiedene Ersterwerbergemeinschaften ,,zHd A GmbH & Co. KG, B-Str. 3 in C" Außenprüfungen angeordnet.

Gegen die Prüfungsanordnungen legte die Klägerin am 3. März 1980 im eigenen Namen Beschwerde ein. Am 26. November 1982 wies die OFD die Beschwerde als unzulässig zurück. Das FG wies die Klage ab.

Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin rügt, das FG-Urteil verstoße gegen §§ 40 Abs. 2 und 41 Abs. 1 FGO sowie gegen §§ 193 Abs. 1, 122, 124, 34, 80 AO 1977.

Die Klägerin beantragt, die Prüfungsanordnungen vom 27. Februar 1980 sowie die Beschwerdeentscheidung der OFD Münster vom 26. November 1982 und das Urteil des FG ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig. Der Wert des Streitgegenstandes beträgt (6 x 4 000 DM) 24 000 DM.

Nach § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ist die Revision - abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen der zulassungsfreien Revision (§ 116 FGO) und der besonders zugelassenen Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) - nur dann statthaft, wenn der Wert des Streitgegenstandes zehntausend Deutsche Mark übersteigt. Soweit der Gegenstand des Verfahrens beziffert oder bezifferbar ist, richtet sich der Wert des Streitgegenstandes im Rahmen der gestellten Anträge nach dem finanziellen Interesse der Beteiligten an dem Ausgang des Verfahrens (§§ 3 ff. ZPO i.V.m. § 155 FGO). Grundlage für die Bemessung des Streitwertes ist dann regelmäßig der Steuerbetrag, um den jeweils unmittelbar gestritten wird.

Fehlt indessen ein bezifferter oder bezifferbarer Gegenstand des Rechtsstreits, so ist der Wert des Streitgegenstandes entsprechend dem dem Gericht gemäß § 3 ZPO eingeräumten freien Ermessen zu bestimmen. Ermangelt es in einem solchen Fall jeglicher Anhaltspunkte für eine Wertbestimmung, so ist der Streitwert grundsätzlich unter Berücksichtigung der sich aus dem Antrag des Betroffenen ergebenden Bedeutung der Sache entsprechend § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG mit 4 000 DM anzunehmen (vgl. Zöller/Schneider, Zivilprozeßordnung, 14. Aufl., 1984, § 3 Anm. V ,,Schätzung").

Bei der Klägerin sind keine Mehrsteuern zu erwarten, denn die Anordnungen der Außenprüfungen bezwecken, die steuerlichen Verhältnisse der ,,Ersterwerbergemeinschaften" aufzuklären. Mangels anderer Anhaltspunkte ist in entsprechender Anwendung von § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG von einem Streitwert von 4 000 DM auszugehen. Wie sich aus dem FG-Urteil und den in ihm in Bezug genommenen Prüfungsanordnungen sowie der Beschwerdeentscheidung der OFD ergibt, liegen sechs Prüfungsanordnungen vor. Der Streitwert beträgt somit 24 000 DM.

2. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Beschwerdeentscheidung der OFD (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

a) Die Vorinstanz hat die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage der Klägerin zu Unrecht verneint. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die Klägerin befugt, die Außenprüfungsanordnungen anzufechten (§ 40 Abs. 2 FGO).

Der Senat legt die Prüfungsanordnungen dahin aus, daß sich das FA damit an die Klägerin als Betroffene wendet. Die Prüfungsanordnungen lassen den Willen des FA erkennen, die Unterlagen der Klägerin beschränkt auf ihr Verhältnis zu der jeweiligen ,,Ersterwerbergemeinschaft" zu prüfen. Die Bezeichnung im Anschriftenfeld ist zwar unklar und ließe auch die Deutung zu, als sollten jeweils die ,,Ersterwerbergemeinschaften" geprüft werden, hinsichtlich deren umstritten ist, ob es sie gibt oder gegeben hat. Aus den gesamten Umständen, insbesondere aber aus dem Text, der den Prüfungszweck bezeichnet (Überprüfung von Vorsteuern, Werbungskosten und Anschaffungskosten, die mit dem Erwerb von Wohneigentum bezüglich des jeweils bezeichneten Objekts durch Ersterwerber im Zusammenhang stehen) ergibt sich aber - auch für die Klägerin erkennbar -, daß das FA die Klägerin als zu Prüfende in Anspruch nehmen wollte, und zwar beschränkt auf die Verhältnisse der jeweils genannten ,,Ersterwerbergemeinschaft", weil die Klägerin den Rechtsschein erweckt hatte, in einer steuerliche Auskunftspflichten auslösenden Funktion tätig geworden zu sein. An diesem aus dem Verwaltungsakt entnommenen Willen muß sich das FA auch festhalten lassen. Die Rechtsauffassungen, die das FA zeitlich nach der Übersendung von Prüfungsanordnungen mit wechselndem Inhalt geäußert hat, haben bei der Auslegung des Inhalts der vom FA erlassenen Verwaltungsakte außer Betracht zu bleiben. Die Entscheidungsgründe des FG - und ihnen vorausgehend die der Beschwerdeentscheidung der OFD - ergeben somit eine Rechtsverletzung. Die Beschwerdeentscheidung stellt sich auch nicht etwa aus anderen Gründen als richtig dar. Denn sie enthält keine Ausführungen darüber, ob bei der Inanspruchnahme der Klägerin Ermessenserwägungen angestellt worden sind, und demzufolge auch keine Aussagen, welche Gründe die Ermessensentscheidung, die zu treffen gewesen wäre, hätten tragen sollen. Die Vorentscheidung und die Beschwerdeentscheidung der OFD waren daher aufzuheben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. April 1983 IV R 255/82, BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621). Im Hinblick auf die Auffassungen der Klägerin gibt der Senat für eine erneute Beschwerdeentscheidung durch die OFD zu bedenken:

Es gehört zu den Amtspflichten des FA, die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse aufzuklären und die Besteuerung durchzuführen.

Das FA ist befugt zu prüfen, ob jeweils eine ,,Ersterwerbergemeinschaft" besteht oder nicht besteht, ob eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen in bezug auf die etwaig bestehende Ersterwerbergemeinschaft durchgeführt werden kann (§ 180 Abs. 2 AO 1977) und ob in bezug auf das Vermögensobjekt die Klägerin Vermögensverwalterin i. S. von § 34 Abs. 3 AO 1977 - ggf. Verfügungsberechtigte (§ 35 AO 1977) - ist. Es genügt für die Befugnis des FA, eine Außenprüfung anzuordnen, daß die Klägerin durch ihr Auftreten im Rechtsverkehr den Anschein erweckt hat, es beständen ,,Ersterwerbergemeinschaften" und sie - die Klägerin - trete als deren Vermögensverwalterin oder in einer anderen vertretungs- oder handlungsbefugten Funktion auf.

Die Befugnis zur Aufklärung der vorerwähnten Fragen ist nicht davon abhängig, daß nach der Rechtsauffassung der Klägerin ,,Ersterwerbergemeinschaften" nicht bestehen, daß eine Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 180 Abs. 2 AO 1977 nicht vorgenommen werden könne und daß sie keine Funktion i. S. der §§ 33, 34, 35 AO 1977 ausübe.

Anders als im Fall des BFH-Urteils vom 27. April 1982 VIII R 131/80 (BFHE 136, 42, BStBl II 1982, 636) gibt es bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft Gemeinschaftseigentum. Dieses Gemeinschaftseigentum ist ein Gegenstand, der zum Gegenstand der Einkunftserzielung gehört. Am Gemeinschaftseigentum sind mehrere Personen beteiligt. Eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen i. S. von § 180 Abs. 2 AO 1977 kann demzufolge teilweise möglich sein. Insofern kann dem FA nicht vorgeworfen werden, eine abwegige Rechtsauffassung diene ihm dazu, ermessensmißbräuchlich eine Prüfungsbefugnis in Anspruch zu nehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413910

BFH/NV 1986, 10

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