Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des Ausbildungsfreibetrags für auswärtig untergebrachte, volljährige Kinder in den Jahren 1991 bis 1993: Anspruch auf Steuerfreiheit des Existenzminimums, Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, Sozialstaatsprinzip, Nettoprinzip, sozialhilferechtlicher Bedarf

 

Leitsatz (amtlich)

Die steuerliche Entlastung von Steuerpflichtigen mit auswärtig untergebrachten volljährigen Kindern durch einen Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs.2 Satz 3 Nr.2 EStG 1990 war in den Jahren 1991 bis 1993 nicht verfassungswidrig zu gering (vgl. Beschluß des BVerfG vom 26. Januar 1994 1 BvL 12/86, BVerfGE 89, 346, BStBl II 1994, 307).

 

Orientierungssatz

Ausführungen mit Rechtsprechungshinweisen zum Gestaltungsspielraum des Steuergesetzgebers im Rahmen seiner Verpflichtung, das Existenzminimum der Bürger sicherzustellen, insbesondere bei Berücksichtigung zivilrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen zur Verwirklichung des sog. privaten Nettoprinzips sowie zu den sich aus dem Gebot der Steuergerechtigkeit, dem Sozialstaatsprinzip und aus Art.6 GG ergebenden Ansprüchen von Eltern mit Kindern.

 

Normenkette

EStG 1990 § 33a Abs. 2 S. 3 Nr. 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.11.1995; Aktenzeichen 5 K 1955/95)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) machten in ihren Einkommensteuererklärungen 1991 bis 1993 (Streitjahre) die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen geltend, die ihnen für die Ausbildung ihrer beiden Kinder entstanden waren, die in Paris bzw. in Trier studierten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte jedoch nur die Ausbildungsfreibeträge nach § 33a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Insoweit wurde die Steuerfestsetzung für 1992 zunächst für vorläufig erklärt. Später änderte das FA die Steuerfestsetzung 1992 und erklärte den Bescheid dabei hinsichtlich der Höhe der Ausbildungsfreibeträge für endgültig. Mit zwei weiteren Bescheiden änderte das FA auch seinen Einkommensteuerbescheid 1991 zu Lasten der Kläger und veranlagte sie zur Einkommensteuer 1993 ohne Vorläufigkeitsvermerk bezüglich des Ausbildungsfreibetrages. Die Einsprüche gegen die die Kläger belastenden Änderungsbescheide 1991 und 1992 wies es als unbegründet zurück, den betreffs 1993 wegen der Ausbildungsfreibeträge erst bei einer späteren Änderung des Einkommensteuerbescheids 1993 zugunsten der Kläger erhobenen Einspruch verwarf das FA als unzulässig.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 593 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Kläger, zu deren Begründung im wesentlichen folgendes ausgeführt wird:

Die dem Einkommensteueränderungsbescheid 1992 beigefügte Anlage, in der es heiße, ein Einspruch wegen der Ausbildungsaufwendungen sei "nicht mehr erforderlich", habe bei den Klägern den Eindruck erwecken müssen, daß diese sich zukünftig um einen Einspruch hinsichtlich der Behandlung der Ausbildungsfreibeträge nicht mehr kümmern müßten und insoweit keine Fristen zu beachten hätten. Deshalb sei auch der 1993 betreffende Einspruch zulässig gewesen.

§ 33a Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 EStG verletze Art. 3, Art. 20 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 sowie Art. 6 des Grundgesetzes (GG). Der Ausbildungsfreibetrag von maximal 4 200 DM vermöge auch bei Berücksichtigung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes das Existenzminimum der in Ausbildung befindlichen und auswärtig untergebrachten Kinder der Kläger nicht zu decken. Der Staat müsse aber den Unterhaltsanspruch von Kindern in dem Umfang steuerlich außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind. Das gelte auch bei zur Ausbildung auswärtig untergebrachten Kindern. Die diesbezüglichen Aufwendungen seien ebenso zwangsläufig wie die Unterhaltsleistungen für nicht in Ausbildung befindliche und nicht auswärtig untergebrachte Kinder. Der gegenläufige Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. Januar 1994 1 BvL 12/86 (BVerfGE 89, 346, BStBl II 1994, 307) könne nicht überzeugen.

Das BVerfG stelle die Berufsausbildung der Existenzsicherung im engeren Sinne gegenüber; es handle sich also bei beidem um Existenzsicherung. Es könne auch tatsächlich nicht zweifelhaft sein, daß eine (ggf. auswärtige) Berufsausbildung der Existenzsicherung, nämlich den künftigen Erwerbsmöglichkeiten des einzelnen diene. Allerdings fahre das BVerfG fort, Aufwendungen für die Berufsausbildung unterschieden sich von Unterhaltsleistungen, die der Sicherung des Existenzminimums dienten, und entstünden nicht mit der gleichen Zwangsläufigkeit. Das erste Argument enthalte einen logischen Bruch, das zweite sei unverständlich, weil eine Aufwendung nur zwangsläufig oder nicht zwangsläufig sein könne. Tatsächlich könne an der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für die Ausbildung kein Zweifel bestehen. Denn nach § 1610 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hätten die Kinder auf sie einen Anspruch. Daraus folge, daß die Aufwendungen von der Besteuerung ausgenommen werden müßten. Das werde durch die Aussage des BVerfG in dem Beschluß vom 29. Mai 1990 1 BvL 20, 26/84 und 4/86 (BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653) gestützt, daß Kosten für einen besonderen Bedarf --wie etwa eine Ausbildung-- eine punktuelle Erleichterung forderten.

Die Auffassung des BVerfG, Ausbildungsaufwendungen kämen der Familie als ganzer zugute, sei nicht nachzuvollziehen. Ausbildungsaufwendungen kämen vielmehr den Kindern zugute, die möglicherweise ein höheres Einkommen erwirtschaften würden, woran der Staat durch Befreiung von seiner subsidiären Unterhaltspflicht gegenüber den Eltern, durch Einkommensteuer und ggf. Schenkungsteuer teilhabe. Das weitere Argument des BVerfG, der Staat beteilige sich durch Bereithaltung des öffentlichen Bildungswesens an den Kosten, stehe in Widerspruch zu der Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1990, 653, 658 und spreche nicht gegen die Zwangsläufigkeit der anfallenden Unterhaltsaufwendungen, die durch öffentliche Leistungen lediglich vermindert würden.

Die Höhe der Unterhaltsaufwendungen könne im übrigen nicht mit den Sätzen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG), die nicht am Existenzminimum orientiert seien, oder den Sozialhilfesätzen verglichen werden, die dieses zwar abdecken sollten, woraus jedoch nicht zu schließen sei, daß sie es auch täten. Eher zum Vergleich geeignet seien die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Unterhaltszahlen. Danach betrage der Unterhaltsbedarf eines Studierenden, der nicht bei den Eltern wohnt, in der Regel monatlich 950 DM zuzüglich 70 DM Krankenversicherung, so daß das Existenzminimum für auswärtig untergebrachte Studierende von 12 240 DM im Jahr durch den gesetzlichen Ausbildungsfreibetrag nicht annähernd abgedeckt werde.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und im Streitjahr 1991 weitere ... DM Ausbildungskosten, im Streitjahr 1992 ... DM und im Streitjahr 1993 ... DM zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für die Berufsausbildung eines Kindes, wird --unter weiteren hier nicht interessierenden Voraussetzungen-- für ein Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat und auswärtig untergebracht ist, auf Antrag ein Ausbildungsfreibetrag in Höhe von 4 200 DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen (§ 33a Abs. 2 Satz 1, Satz 3 Nr. 2 EStG 1990, insoweit gleichlautend § 33a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG der jetzt geltenden Fassung). Für die diesbezüglichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen kann eine weitere Ermäßigung nach § 33 EStG gemäß § 33a Abs. 5 EStG nicht in Anspruch genommen werden. Diese pauschalierende Berücksichtigung von Ausbildungskosten ist entgegen der Ansicht der Revision verfassungsgemäß; der Abzug lediglich des genannten Ausbildungsfreibetrages bewirkt für die Streitjahre keine aus verfassungsrechtlichen Gründen zu geringe steuerliche Entlastung von Steuerpflichtigen mit auswärtig untergebrachten volljährigen Kindern in Ausbildung. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

a) Der Staat, der die Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG als oberstes Gut anerkennt, ist verpflichtet, seinen Bürgern die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Das BVerfG hat hieraus in seinem Beschluß in BVerfGE 82, 60, 85, BStBl II 1990, 653 gefolgert, bis zu dem zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigten Betrag, den das BVerfG als das Existenzminimum bezeichnet, dürfe der Steuergesetzgeber dem Bürger sein selbsterzieltes Einkommen nicht entziehen. Das BVerfG hat ferner aus diesem verfassungsrechtlichen Verbot und aus Art. 6 Abs. 1 GG, der die Familie dem besonderen Schutz des Staates unterstellt, hergeleitet, der Staat, der es in verfassungsgemäßer Weise dem Bürger --in der Regel den Eltern-- überläßt, unterhaltsbedürftige Familienmitglieder in entsprechender Höhe zu unterhalten und zu unterstützen, müsse in gleicher Weise wie das Existenzminimum des Steuerpflichtigen selbst das Existenzminimum der Familienmitglieder steuerfrei lassen, für welches er, täte er das nicht, sonst selbst einstehen müßte.

Nicht, wie die Revision offenbar meint, in Abkehr, sondern in Fortführung dieser in dem Urteil in BStBl II 1990, 653 aufgestellten Rechtsgrundsätze hat das BVerfG in seinem Beschluß in BStBl II 1994, 307 erkannt, daß Unterhaltsleistungen, die einem Kind eine berufliche Ausbildung mit einer auswärtigen Unterbringung ermöglichen sollen, nicht zum (Familien-)Existenzminimum gehören, weil sie nicht der Existenzsicherung im engeren Sinn, d.h. der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins, dienen. Das Verbot des steuerlichen Zugriffs auf die zur Sicherung des eigenen Existenzminimums des Steuerpflichtigen und des Existenzminimums seiner Familie benötigten Mittel gilt deshalb für diesbezügliche Unterhaltsleistungen nicht.

b) Die von der Revision an diesem Ausgangspunkt und den weiteren Folgerungen der vorgenannten Entscheidung des BVerfG geübte Kritik ist nicht gerechtfertigt. Sie vermag dem erkennenden Senat keinen Anlaß zu geben, § 33a Abs. 2 Satz 1, Satz 3 Nr. 2 EStG 1990 verfassungsrechtlich zu beanstanden und die dort getroffene Regelung erneut dem BVerfG nach Art. 100 GG vorzulegen.

aa) Aufwendungen für die Berufsausbildung eines Kindes dienen nicht der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins, sondern sie sind dazu bestimmt, dem Kind besondere, über die pure Existenzsicherung hinausgehende Chancen einer beruflichen und damit u.a. auch wirtschaftlichen Entfaltung zu verschaffen. Das gilt in der Regel in besonderem Maße bei einem Kind, das das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat --also ein Alter erreicht hat, in dem viele Gleichaltrige bereits selbst erwerbstätig und daher auf elterlichen Unterhalt nicht mehr angewiesen sind-- und das auswärtig untergebracht werden soll. Solche Aufwendungen in vollem Umfang bei der Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehen, ist auch nicht deshalb verfassungsrechtlich geboten, weil der Steuerpflichtige nach bürgerlichem Unterhaltsrecht (§ 1610 BGB) verpflichtet ist, seinen Kindern eine ihrer Neigung und Eignung entsprechende, möglicherweise besonders qualifizierte Ausbildung zu einem Beruf zu verschaffen und weil er ihnen deshalb unter Umständen eine auswärtige Unterbringung oder sogar ein Auslandsstudium ermöglichen muß. Denn es ist kein Gebot des Grundgesetzes, daß das Einkommensteuerrecht das bürgerliche Unterhaltsrecht in dem Sinne "abbildet" (vgl. indes Tipke/Lang, Steuerrecht, 15. Aufl. 1996, § 9 Rdnr. 74), daß bürgerlich-rechtlich bestehende Unterhaltsverpflichtungen von den Einkünften vorab abgezogen werden können und erst auf das danach verbleibende "Nettoeinkommen"

Steuern erhoben werden, statt daß umgekehrt, abgesehen von dem steuerfreien Familienexistenzminimum, grundsätzlich nur der Teil des Familieneinkommens unter den Mitgliedern der Familie nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts verteilt wird, der nach Abzug der Einkommensteuer verbleibt. Es besteht also von Verfassungs wegen keine Verpflichtung des Steuergesetzgebers, die für Unterhaltszahlungen der Eltern an ihre Kinder benötigten Mittel auch insofern steuerfrei zu lassen, als sie über deren Existenzminimum hinausgehen. Der besondere Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) verlangt zwar nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG u.a., die Familie in ihrem wirtschaftlichen Zusammenhalt zu fördern (vgl. u.a. Entscheidungen vom 17. Januar 1957 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, und vom 24. Januar 1962 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331, 347). Daraus folgt jedoch nicht, daß der Staat verpflichtet wäre, jegliche die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Mai 1968 1 BvR 133/67, BVerfGE 23, 258, 264, und vom 20. Mai 1987 1 BvR 762/85, BVerfGE 75, 348, 360). Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es nicht, Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die seinen Kindern zugute kommen, bei der Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage (Nettoeinkommen) ungeachtet der Tatsache in vollem Umfang als Negativposten anzusetzen, daß es sich dabei um private Einkommensverwendung handelt, die besonderen Nutzen für die Familie des Steuerpflichtigen verspricht und insofern mit nach § 33 EStG steuermindernd zu berücksichtigenden Aufwendungen im privaten Bereich, wie z.B. Krankheitskosten, nicht auf eine Stufe gestellt werden kann.

Allerdings hat das BVerfG für die Kinderbetreuungskosten Alleinerziehender in der Entscheidung vom 3. November 1982 1 BvR 620/78 u.a. (BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717; vgl. auch Entscheidung vom 17. Oktober 1984 1 BvR 527/80 u.a., BVerfGE 68, 143) und hinsichtlich des Unterhalts für die Eltern und den geschiedenen Ehegatten des Steuerpflichtigen (Beschlüsse vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, und vom 4. Oktober 1984 1 BvR 789/79, BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 22) verlangt, zwangsläufig entstehende Aufwendungen für Unterhaltsleistungen steuerlich zu berücksichtigen. Diesen Entscheidungen, in denen das BVerfG von den Überlegungen in seinem Beschluß vom 23. November 1976 1 BvR 150/75 (BVerfGE 43, 108, BStBl II 1977, 135) nicht abgerückt ist, ist indes nicht zu entnehmen, daß das BVerfG den Steuergesetzgeber zur Verwirklichung des sog. privaten Nettoprinzips für verpflichtet hält (vgl. dazu Arndt/Schumacher, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1994, 961). Die Überprüfung des Unterhaltsfreibetrages nach § 33a Abs. 1 EStG an dem sozialhilferechtlichen Bedarf in den Beschlüssen in BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 22 und in BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357 läßt vielmehr deutlich werden (vgl. insoweit auch die Beschlüsse vom 13. Dezember 1996 1 BvR 1474/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1997, 251, und vom 19. Dezember 1996 1 BvR 1522/88, HFR 1997, 252), daß auch diese Entscheidungen nach ihrem Sinnzusammenhang nur die zur Bestreitung des Existenzminimums des Unterhaltsbedürftigen notwendigen und in diesem Sinne unabweisbaren Aufwendungen betreffen, um welche die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage zu mindern ist. Das geschieht bei Aufwendungen für Kinder durch Gewährung von Kinderfreibeträgen und von Kindergeld (vgl. jetzt § 31 Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996, BGBl I 1995, 1250); die Sicherung des Existenzminimums in diesem Sinne ist hingegen nicht Aufgabe der hier maßgeblichen Vorschriften über die steuerliche Berücksichtigung von Ausbildungskosten.

bb) Den Gesetzgeber trifft auch nicht deshalb eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, Ausbildungskosten von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehen, weil anderenfalls das eigene Existenzminimum der Eltern der Auszubildenden bzw. sonstiger zur Gewährung des Unterhalts während der Ausbildung bürgerlich-rechtlich verpflichteter Dritter bei Erfüllung ihrer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht gefährdet wäre. Denn das Existenzminimum der Eltern ist durch den steuerlichen Zugriff auf ihr Einkommen ungeachtet etwaiger Unterhaltsverpflichtungen schon deshalb nicht bedroht, weil sie nach Maßgabe des § 1603 BGB von ihrer Unterhaltspflicht frei wären, sofern die Besteuerung sie außerstande setzen würde, ohne Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts --d.h. ohne Gefährdung der für ihr eigenes menschenwürdiges Leben erforderlichen Mittel-- ihren Kindern Unterhalt zu gewähren (Beschluß des erkennenden Senats vom 18. Dezember 1996 III B 71/95, BFH/NV 1997, 398). Die Steuerfreiheit des zur Gewährung angemessenen Unterhalts i.S. des § 1610 BGB benötigten Teils des Einkommens verschöbe lediglich zugunsten der Kinder die durch § 1603 Abs. 1 BGB der Unterhaltspflicht gezogenen Grenzen. Daß es kein Verfassungsgebot sein kann, das Einkommen des Steuerpflichtigen im Umfang der sich aus § 1610 BGB ergebenden, u.a. von der wirtschaftlichen Situation der Familie abhängigen Höhe des angemessenen Unterhalts des Unterhaltsberechtigten steuerfrei zu lassen, wie die Revision anzunehmen scheint, zeigt sich im übrigen auch daran, daß anderenfalls die Entlastung des Steuerpflichtigen über die bei einem progressiven Einkommensteuertarif ohnehin eintretende unterschiedliche Entlastungswirkung hinaus im Vergleich mit anderen Unterhaltsverpflichteten um so größer wäre, je besser seine wirtschaftliche Situation ist, was kein Gebot der Steuergerechtigkeit ist.

cc) Die wirtschaftliche Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern ist allerdings ein besonderer, die Leistungsfähigkeit der Eltern beeinträchtigender Umstand, wie das BVerfG bereits in seiner Entscheidung in BVerfGE 43, 108, BStBl II 1977, 135 anerkannt hat; deshalb dürfe der Gesetzgeber daraus entstehende Sonderbelastungen ohne Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit nicht "außer acht lassen". Beträge, die der Steuerpflichtige aufwenden möchte und unter Umständen nach bürgerlichem Unterhaltsrecht (§ 1610 BGB) aufwenden muß, um seinen Kindern eine ihrer Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung zu einem Beruf zu ermöglichen, stellen Lasten dar, deren steuerliche Behandlung deshalb nach dem Beschluß des BVerfG in BStBl II 1994, 307 nicht vollständig in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt ist; sie stehen nicht mit beliebigen anderen privaten Aufwendungen auf einer Stufe und dürfen steuerrechtlich nicht schlechthin unbeachtet gelassen werden. Das Gleichheitsgebot und das ihm zu entnehmende Gebot der Steuergerechtigkeit lassen dem Gesetzgeber jedoch Gestaltungsfreiheit, wie der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit insofern Rechnung zu tragen ist. In welchem Umfang insbesondere eine besonders qualifizierte und aufwendige Ausbildung auf Kosten der Allgemeinheit vom Staat dadurch gefördert werden soll, daß dieser auf Steuereinnahmen verzichtet und es so den Eltern erleichtert, eine solche Ausbildung zu finanzieren, hat das BVerfG in der Entscheidung in BStBl II 1994, 307 nach Auffassung des erkennenden Senats mit Recht in das --weite-- Ermessen des Gesetzgebers gestellt. Denn ein Gebot, die diesbezüglichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen in vollem Umfang von seinem Einkommen abzuziehen, folgt aus dem Grundgesetz, wie dargelegt, nicht.

dd) Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ergeben sich indes nicht nur daraus, daß Eltern sich Unterhaltsleistungen --auch zum Zwecke einer Berufsausbildung ihrer bereits volljährigen Kinder und einer auswärtigen Unterbringung-- wegen des bürgerlichen Unterhaltsrechts, aber auch diesbezüglichen sittlichen Verpflichtungen nicht beliebig entziehen können (vgl. dazu schon die Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1977, 135). Das BVerfG hat darüber hinaus darauf abgestellt, daß es mindestens ebenso wie im Interesse der Familie im Interesse der Allgemeinheit liegt, daß möglichst viele Heranwachsende eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Aus diesem Grunde sei der Staat von Verfassungs wegen verpflichtet, einen gewissen Anteil der Ausbildungskosten entweder unmittelbar zu übernehmen oder ihn doch wenigstens bei der Besteuerung der Eltern als Minderung ihrer Leistungsfähigkeit anzuerkennen.

Diese Darlegungen erfaßt die Revision nicht, wenn sie meint, der Umfang der staatlichen Investitionen im Bildungsbereich mindere allenfalls den Unterhaltsbedarf der Auszubildenden, habe aber im übrigen keine steuerrechtliche Bedeutung. Staatliche Investitionen in Bildungseinrichtungen --die nach dem Ausbildungssystem der Bundesrepublik Deutschland etwa Aufwendungen für privat finanzierte Schulen und Hochschulen weitgehend erübrigen--, staatliche Ausbildungsförderung --wie Leistungen nach dem BAföG-- und die steuerliche Entlastung der Aufwendungen von Steuerpflichtigen, die aus ihren eigenen Mitteln der heranwachsenden Generation eine qualifizierte Ausbildung ermöglichen, ergänzen nämlich einander: je mehr es an dem einen fehlt, um so dringender verlangt das Interesse der nachfolgenden Generation an einer möglichst qualifizierten Ausbildung nach dem anderen. Dem muß der Gesetzgeber wegen seiner sozialstaatlichen Verpflichtung, die eignungs- und neigungsgerechte Ausbildung der Jugend im Rahmen seiner Möglichkeiten zu fördern, Rechnung tragen. So wenig allerdings ein Heranwachsender einen verfassungsunmittelbaren Rechtsanspruch auf Gewährung entsprechender Ausbildungsförderung in dem Fall hätte, daß seine Eltern nicht imstande sind, eine entsprechende Ausbildung zu finanzieren, so wenig besteht von Verfassungs wegen ein Anspruch darauf, daß der Steuergesetzgeber Aufwendungen der Eltern, die an die Stelle entsprechender staatlicher Aufwendungen treten oder diese ergänzen, von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abzuziehen gestattet und die private Finanzierung der Ausbildung dadurch erleichtert. Es ist vielmehr Aufgabe politischer Gestaltung, das Sozialstaatsgebot insoweit zu konkretisieren und zu verwirklichen, indem Ausbildungsförderung gewährt, kostenlose staatliche Bildungsangebote bereitgehalten oder diese staatlichen Leistungen ergänzende oder ersetzende private Aufwendungen steuerlich begünstigt werden. Je mehr der Staat die Kosten einer qualifizierten Ausbildung der nachfolgenden Generation unmittelbar selbst übernimmt und z.B. Schulen und Hochschulen einrichtet und deren kostenlose Benutzung gestattet und je mehr der Staat dadurch seiner sozialstaatlichen Verantwortung nachkommt, um so eher ist er deshalb von Verfassungs wegen berechtigt, nicht zusätzlich Steuerverzicht mit Rücksicht auf private Ausbildungsinvestitionen zu üben, und umgekehrt. Dabei hängt es von einer weitgehend politischen Bewertung ab, in welchem Umfang das Volkseinkommen steuerlich abgeschöpft und für staatliche Bildungseinrichtungen, Ausbildungsförderung etc. eingesetzt oder seine Verwendung für Ausbildungszwecke durch steuermindernde Berücksichtigung entsprechender privater Aufwendungen bewirkt werden soll und auf welchem dieser einander korrespondierenden Wege am besten gewährleistet werden kann, daß möglichst viele eine möglichst qualifizierte Ausbildung erhalten.

ee) Bei der Ermittlung der Grenze, die dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der steuerlichen Behandlung von Unterhaltszahlungen zum Zwecke der Ausbildung insbesondere durch das Sozialstaatsgebot und die Grundsätze der Steuergerechtigkeit gezogen wird und bei deren Überschreiten die einkommensteuerliche Behandlung von Ausbildungsaufwendungen zu beanstanden wäre, sind die hohen Aufwendungen der öffentlichen Haushalte für den Bildungsbereich zu berücksichtigen, aufgrund derer den Eltern ihre finanzielle Verantwortung für die Ausbildung ihrer Kinder bereits weitgehend zu Lasten der Allgemeinheit abgenommen ist. Daß die Kläger das nicht in Anspruch genommen, sondern ihre Kinder (zeitweise) im Ausland haben studieren lassen, muß der Steuergesetzgeber nicht eigens berücksichtigen, zumal für ein Auslandsstudium besondere Förderungsinstrumente bereitstehen. Zum anderen ist in Betracht zu ziehen, daß die für viele Steuerpflichtige von vornherein nicht zu finanzierende Ausbildung eines volljährigen, auswärtig untergebrachten Kindes diesem besonderen persönlichen, auch wirtschaftlichen Nutzen bringen soll, so daß es von dem Steuerpflichtigen um so weniger als Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit beanstandet werden kann, wenn die Allgemeinheit ihm seine Aufwendungen dafür nur zum Teil abnimmt.

c) Nach der Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1994, 307 wird der gesetzliche Gestaltungsspielraum bei der steuerlichen Behandlung von Unterhaltsaufwendungen der hier fraglichen Art jedenfalls dann noch nicht überschritten, wenn der Gesetzgeber die Absetzbarkeit auf die Hälfte der üblicherweise anfallenden Kosten begrenzt. Dagegen ist nach Auffassung des erkennenden Senats verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Der Streitfall erfordert auch keine genauere Festlegung. Denn die ausbildungsbedingten Mehrkosten bei auswärtiger Unterbringung erreichten in den Streitjahren nicht das Doppelte des maßgeblichen gesetzlichen Ausbildungsfreibetrages.

Nach Maßgabe des Beschlusses des BVerfG in BStBl II 1994, 307, von dem abzuweichen das diesbezügliche Vorbringen der Revision dem erkennenden Senat keinen Anlaß gibt, ist der steuerliche Ausbildungsfreibetrag in erster Linie mit der Differenz zwischen der nach dem BAföG zu gewährenden Ausbildungsförderung und dem eigentlichen Unterhaltsbedarf, der dem sozialhilferechtlichen Bedarf eines Kindes entspricht, das bei den Eltern wohnt, und in zweiter Linie mit der Differenz zwischen dem sozialhilferechtlichen Bedarf eines Alleinstehenden und dem vorgenannten Bedarf eines Kindes zu vergleichen. Dabei wird offenkundig, daß der Ausbildungsfreibetrag deutlich mehr als die Hälfte des ausbildungsbedingten zusätzlichen Bedarfs abdeckt. Das ergibt sich aus folgenden Berechnungen: Die Bedarfssätze des BAföG betrugen beim Besuch einer Hochschule mit auswärtiger Unterbringung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 BAföG in den Streitjahren 750 DM zuzüglich 65 DM Krankenversicherung bzw. nach ihrer Erhöhung durch das Fünfzehnte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 19. Juni 1992 (BGBl I 1992, 1062) 795 DM zuzüglich 70 DM Krankenversicherung, was im Jahr Beträge von 9 780 DM bzw. 10 380 DM ergibt; der sozialhilferechtliche Bedarf eines zum Haushalt der Eltern gehörenden Kindes lag noch 1994 bei rund 6 250 DM p.a. (vgl. wegen der Berechnung im einzelnen Herden, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1994, 385, 387) und war in den Streitjahren der allgemeinen Preisentwicklung entsprechend etwas niedriger. Die Differenz der genannten Beträge erreicht folglich mit 3 530 DM bzw. 4 130 DM nicht einmal den Ausbildungsfreibetrag selbst. Stellt man die vom BVerfG in Betracht gezogene Alternativrechnung an, die nach den Ausführungen in dem Beschluß in BStBl II 1994, 307 für 1984 einen noch geringeren ausbildungsbedingten Zusatzbedarf ergab, läßt dies ungeachtet einer bis in die Einzelheiten durchgeführten Berechnung ebenfalls schon bei überschlägiger Betrachtung eindeutig erkennen, daß der Freibetrag von 4 200 DM nicht zu niedrig war; denn der durchschnittliche Bedarf im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt (im früheren Bundesgebiet) lag einschließlich des seit 1991 pauschaliert gewährten Wohngeldes 1992 bei 10 405 bzw. 12 407 DM --ohne Mehrbedarfszuschlag für Erwerbstätige-- (vgl. Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Der Lohn- und Einkommensteuertarif 1996, Wiesbaden 1994, S. 33); die Hälfte der vorbezeichneten Differenz betrug also lediglich 2 078 bzw. 3 079 DM.

Selbst wenn aber nicht von diesen Berechnungen, sondern, wie es die Revision für richtig hält, von dem Unterhaltsbedarf nach der sog. Düsseldorfer Tabelle ausgegangen würde, welchen die Revision auf 12 240 DM pro Kind beziffert, würde sich der für die Streitjahre festgesetzte Ausbildungsfreibetrag von 4 200 DM noch innerhalb der vorbezeichneten Grenzen gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit halten. Denn nicht der gesamte vorgenannte Bedarf, sondern lediglich der ausbildungsbedingte Mehrbedarf soll durch den Ausbildungsfreibetrag steuerlich berücksichtigt werden. Der ausbildungsunabhängige allgemeine Lebensbedarf eines Kindes wird hingegen im Wege der durch den Kinderfreibetrag hergestellten zusätzlichen steuerlichen Entlastung und durch das Kindergeld abgegolten, die deshalb nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschlüsse in BStBl II 1994, 307, und vom 12. Juni 1990 1 BvL 72/86, BVerfGE 82, 198) bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Besteuerung Unterhaltsverpflichteter mit zu berücksichtigen sind und in ihrer vom FA gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig angesetzten Höhe von der Revision nicht beanstandet werden.

2. Da die Revision bereits aus diesen materiell-rechtlichen Gründen erfolglos bleiben muß, bedarf die verfahrensrechtliche Frage keiner Erörterung, ob die Kläger mit Rechtsbehelfen gegen den zu ihren Gunsten ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid 1993 eine Berücksichtigung höherer Ausbildungsaufwendungen ungeachtet des § 351 Abs. 1 AO 1977 erreichen könnten oder ob sie den geänderten Einkommensteuerbescheid trotz Ablaufs der Einspruchsfrist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben noch mit Rechtsbehelfen angreifen konnten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66341

BFH/NV 1997, 414

BStBl II 1997, 720

BFHE 183, 165

BFHE 1998, 165

BB 1997, 1834 (Leitsatz)

DB 1997, 2259 (Leitsatz)

DStRE 1997, 806-810 (Leitsatz und Gründe)

DStZ 1998, 52 (Leitsatz)

HFR 1997, 827-830 (Leitsatz und Gründe)

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