Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG - Höhe der Anrechnung schweizerischer Verrechnungssteuer

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG ist nicht anwendbar, wenn die Einkünfte aus einem ausländischen Staat stammen, mit dem ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht (§ 34c Abs. 6 Satz 1 EStG).

2. Auf die deutsche Steuer von Dividenden aus der Schweiz kann nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz auch dann nur die abkommensrechtlich auf 15 % begrenzte schweizerische Quellensteuer angerechnet werden (Art. 10 Abs. 2 Buchst. d DBA-Schweiz), wenn eine darüber hinausgehende schweizerische Steuer wegen Ablaufs der Erstattungsfrist nicht mehr erstattet werden kann.

 

Normenkette

EStG § 34c Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1; DBA CHE Art. 10 Abs. 2 Buchst. d, Art. 24 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 34c Abs. 6 Sätze 3, 2

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) für die Streitjahre 1985 bis 1988 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.

Mit Schreiben vom 1. und 4. März 1991 erklärte der Kläger gegenüber dem FA bisher nicht deklarierte Einnahmen aus Kapitalvermögen aus den Jahren 1985 bis 1988. Es handelte sich um Dividenden aus einer Beteiligung des Klägers an der schweizerischen X-AG (AG) in Höhe von insgesamt 38 886 DM.

Die Höhe der Kapitalerträge und die darauf einbehaltene schweizerische Quellensteuer in Höhe von 35 v.H. wies der Kläger durch eine Bescheinigung der AG nach. Das FA erließ daraufhin Einkommensteuer-Änderungsbescheide für die Streitjahre und rechnete auf die Einkommensteuer für diese Dividenden die schweizerische Verrechnungssteuer jeweils in Höhe von 15 v.H. der Dividenden an. Die Kläger fochten diese Bescheide mit Einsprüchen an. Sie trugen vor, in der Schweiz bestehe wegen Verjährung kein Anspruch auf Steuererstattung mehr. Deshalb sei die gesamte in der Schweiz einbehaltene Verrechnungssteuer anzurechnen.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt.

Das FA stützt seine Revision auf Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entgegen der Auffassung des FG können die Kläger eine Anrechnung der schweizerischen Quellensteuer nur bis zur Höhe von 15 v.H. der ihnen zugeflossenen Kapitalerträge beanspruchen.

1. Das FG hat seine Entscheidung auf § 34c Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützt. § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG sieht eine Anrechnung der "festgesetzten und gezahlten und keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegenden ausländischen Steuern" vor. Das FG hat den Begriff der "keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegenden ausländischen Steuern" vertretbar in dem Sinne ausgelegt, daß auch eine dem Grunde nach erstattungsfähige ausländische Steuer "keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliege", wenn die Erstattungsfrist abgelaufen sei.

2. Die Vorschrift ist jedoch im Streitfall nicht anwendbar. Gemäß § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG sind die Absätze 1 bis 3 des § 34c EStG nicht anzuwenden, wenn die ausländischen Einkünfte aus einem Staat stammen, mit dem ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) besteht. Diese Voraussetzung ist gegeben, da mit der Schweiz in den Streitjahren 1985 bis 1988 das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 --DBA-Schweiz-- (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 30. November 1978 (BGBl II 1980, 751, BStBl I 1980, 399) bestand. Die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit des § 34c Abs. 1 EStG bei Bestehen eines DBA wird zwar durch die Sätze 2 und 3 des § 34c Abs. 6 EStG eingeschränkt. Danach sind die Sätze 2 und 3 des § 34c Abs. 1 EStG entsprechend auf eine nach einem Abkommen anzurechnende ausländische Steuer anzuwenden, soweit ein DBA die Anrechnung einer ausländischen Steuer auf die deutsche Einkommensteuer vorsieht. Diese Verweisung führt jedoch nicht zur Anwendbarkeit des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG.

Das ergibt sich aus dem Wortlaut und aus Sinn und Zweck der Vorschrift.

§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG schreibt eine "entsprechende Anwendung" nur der Sätze 2 und 3 des § 34c Abs. 1 EStG und nur auf die "nach den Abkommen anzurechnende ausländische Steuer" vor. Damit wird erreicht, daß bei Anrechnung ausländischer Steuern auf der Grundlage eines DBA zwei Anrechnungsobergrenzen zu beachten sind. Zum einen ist die Anrechnung durch die auf die ausländischen Einkünfte entfallende deutsche Steuer begrenzt (§ 34c Abs. 1 Sätze 2 und 3 i.V.m. § 34c Abs. 6 EStG) und zum anderen kann nicht mehr angerechnet werden als die dem Quellenstaat abkommensrechtlich zustehende und deshalb anzurechnende Steuer.

Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 34c EStG geht von einem Vorrang der abkommensrechtlichen Regelungen aus. Das ergibt sich aus dem Ausschluß des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG in Absatz 6 der Vorschrift. Lediglich für die Berechnung des Vergleichsbetrages der auf die ausländischen Einkünfte entfallenden deutschen Steuer sollten die Sätze 2 und 3 des § 34c Abs. 1 EStG in die Gesamtberechnung einbezogen werden. Der grundsätzliche Vorrang der Abkommensbestimmungen wird dadurch jedoch nicht berührt. Nach der Regierungsbegründung zu § 34c EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung (BRDrucks 511/79 S.21) sind die Regelungen des Einkommensteuerrechts nur insoweit zu beachten, als sie mit dem Abkommensmechanismus zu vereinbaren sind. Die Anrechnung soll nicht auf Steuerbeträge erweitert werden, die dem Quellenstaat nach den Zuteilungsnormen des Abkommens nicht zustehen. Das ist auch sinnvoll. Ohne eine solche Zweifachbegrenzung in Abkommensfällen könnte der inländische Einkunftsbezieher durch absichtliche oder versehentliche Versäumung der im Quellenstaat geltenden Erstattungsfristen eine dem Abkommen zuwiderlaufende Anrechnung zu Lasten des inländischen Fiskus erreichen. Das widerspräche der im Abkommen vereinbarten Steueraufteilung. Die gleiche Auffassung vertritt auch die herrschende Meinung im steuerlichen Schrifttum (vgl. Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, Systematik Abschnitt II C Rz. 62, 63; Flick/Wassermeyer/Wingert/ Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz, Art. 24 Rz. 200; im Ergebnis wohl auch Flick/Wassermeyer/Becker, Kommentar zum Außensteuerrecht, § 34c EStG Rz. 83 c, die ebenfalls vom Vorrang des jeweiligen DBA ausgehen).

3. Im Streitfall ergibt sich die "nach dem Abkommen anzurechnende ausländische Steuer" (§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG) aus Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz. Nach dieser Vorschrift ist anzurechnen "die in Übereinstimmung mit diesem Abkommen erhobene und nicht zu erstattende schweizerische Steuer". Hierunter ist nur die der Schweiz nach Art. 10 DBA-Schweiz verbleibende und nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz in Deutschland anrechenbare 15 %ige Quellensteuer zu verstehen. Der abkommensrechtliche Begriff der "in Übereinstimmung mit diesem Abkommen erhobenen und nicht zu erstattenden schweizerischen Steuer" (Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz) ist im Sinne der nach dem Abkommen der Schweiz dem Grunde nach verbleibenden Quellensteuer zu verstehen. DBA enthalten im wesentlichen Vorschriften über die Aufteilung der Besteuerungsrechte und andere Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Beide Normengruppen sind aufeinander abgestimmt. Soweit die Doppelbesteuerung nicht bereits durch ausschließliche Besteuerungsrechte eines Vertragsstaats vermieden wird, wird sie jedenfalls im Regelfall durch die anderen Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgeräumt (vgl. Art. 24 DBA-Schweiz). Auf dieser Grundlage kann sich das Anrechnungsgebot des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz nur auf den Teil der in der Schweiz erhobenen Quellensteuer beziehen, für den die Doppelbesteuerung nicht durch Art. 10 DBA-Schweiz ausgeräumt wurde (ebenso: Flick/ Wassermeyer/Wingert/Kempermann, a.a.O., Art. 24 Rz. 202; Korn/Debatin, a.a.O., DBA-Schweiz, S.738 a). Das ist der dem Quellenstaat Schweiz vorbehaltene Steueranteil von 15 v.H. der Dividenden. Nur diese Steuer ist in "Übereinstimmung mit dem Abkommen erhoben und nicht zu erstatten". Diese Auslegung wird bestätigt durch die Botschaft des schweizerischen Bundesrats zum DBA-Schweiz, wonach Deutschland die Doppelbesteuerung in Anrechnungsfällen nur durch Anrechnung "der nach dem Abkommen geschuldeten schweizerischen Steuern" vermeidet. Nach dem Abkommen wird dem Quellenstaat Schweiz jedoch nur eine Steuer in Höhe von 15 v.H. der Dividenden geschuldet.

4. Der Senat verkennt nicht, daß die Kläger durch die Nichtanwendbarkeit des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG bei Bestehen eines Abkommens ungünstiger gestellt sein können als ohne Abkommen. Eine Anwendung des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG könnte zumindest nach der Auslegung der Vorschrift durch das FG zu einer Anrechnung von 35 v.H. und damit zu einer für die Kläger geringeren steuerlichen Belastung führen. Daraus ist jedoch keine vom Gesetzeswortlaut des § 34c Abs. 6 EStG abweichende Anwendbarkeit des § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG abzuleiten. Die Kläger verkennen, daß ihnen ohne Bestehen eines Abkommens auch kein Erstattungsanspruch in der Schweiz zustünde. Begrenzt hingegen das Abkommen die Besteuerungsmöglichkeiten des Quellenstaats und räumt es dem inländischen Bezieher der Einkünfte einen Erstattungsanspruch gegen den Quellenstaat ein, dann geht es auch von einer Geltendmachung dieses Anspruchs zu Lasten des Quellenstaats und nicht zu Lasten des Wohnsitzstaats aus. Dementsprechend bestätigt die Regierungsbegründung zu § 34c EStG die Möglichkeit eines ungünstigeren Ergebnisses für den einzelnen Steuerpflichtigen infolge eines Abkommens (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zu § 34c EStG, BRDrucks 511/79 S.21). Die gleiche Auffassung vertreten auch Korn/Debatin, (a.a.O., Rz. 63).

5. Die Kläger können eine über 15 v.H. hinausgehende Anrechnung schließlich auch nicht auf § 34c Abs. 6 Satz 3 EStG stützen. Nach dieser Vorschrift sind die Absätze 1 und 2 des § 34c EStG auch bei Bestehen eines Abkommens anzuwenden, wenn die Doppelbesteuerung nach den Vorschriften des Abkommens nicht beseitigt wird. Dieser Fall ist jedoch nicht gegeben, da die Doppelbesteuerung nach den Vorschriften des DBA-Schweiz in vollem Umfang beseitigt wird. Die maßgeblichen Vorschriften der Art. 10 Abs. 2 Buchst. d und Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz beseitigen für Dividenden im Streubesitz die Doppelbesteuerung in vollem Umfang durch Anrechnung der nach dem Abkommen der Schweiz verbleibenden Quellensteuer. Entscheidend sind insoweit die abstrakten Abkommensvorschriften und nicht eine im Einzelfall durch versäumte Fristen möglicherweise verbleibende Doppelbesteuerung. Wird für die betreffenden Einkünfte durch eine Kombination von Steuererstattungsmöglichkeit und Anrechnung die Doppelbesteuerung abstrakt beseitigt, sind die Voraussetzungen des § 34c Abs. 6 Satz 3 EStG nicht gegeben (vgl. auch die in der Begründung zum Regierungsentwurf zu § 34c EStG genannten Beispiele, BRDrucks 511/79 S.21, 22; vgl. ferner: Korn/Debatin, a.a.O., Rz. 65; ebenso: Flick/Wassermeyer/Wingert/Kempermann, a.a.O., Art. 24 Rz. 253).

 

Fundstellen

Haufe-Index 65478

BFH/NV 1995, 60

BStBl II 1995, 580

BFHE 177, 269

BFHE 1996, 269

BB 1995, 1282 (L)

DB 1995, 1445 (L)

DStR 1995, 977 (K)

DStZ 1995, 538-539 (KT)

HFR 1995, 461-462 (LT)

StE 1995, 394 (K)

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