Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme einer rechtswidrigen Berechnung der Anlieferungs-Referenzmenge Milch

 

Leitsatz (NV)

1. Das HZA ist - gleichgültig, wem die Festsetzung der ARM zuzurechnen ist - für die Rücknahme der Festsetzung zuständig.

2. § 10 Abs. 1 2. Alternative MGV schreibt für die Neuberechnung der ARM kein zweistufiges Verfahren in dem Sinne vor, daß das HZA von einem selbständigen Tätigwerden ausgeschlossen wird. Die Vorschrift regelt auch nicht - abweichend von § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 VwVfG - die materiellen Voraussetzungen einer Rücknahme der dem Erzeuger günstigen Berechnung der ARM.

3. Zur Gewährung von Vertrauensschutz bei einer nach § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG zurückzunehmenden rechtswidrigen ARM-Berechnung.

 

Normenkette

MOG §§ 8, 10 Abs. 1 S. 1; VwVfG § 48 Abs. 2-4; MAVV § 12 Abs. 1, § 14; MGV §§ 2, 4, 10 Abs. 1, § 11

 

Tatbestand

Die Molkerei berechnete für den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) ab dem Milchwirtschaftsjahr 1984/85 eine Anlieferungsreferenzmenge (ARM), nachdem der Kläger eine Bescheinigung der zuständigen Behörde darüber vorgelegt hatte, daß das Kalenderjahr 1981 bei der Berechnung der Referenzmenge an die Stelle des Kalenderjahres 1983 tritt.

Auf seinen Antrag gewährte das Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft (BEF) dem Kläger eine Milchaufgabevergütung nach Maßgabe des Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt vom 17. Juli 1984 (BGBl I 942) und der dazu ergangenen Durchführungsverordnung (Milchaufgabevergütungsverordnung - MAVV -) vom 20. Juli 1984 (BGBl I, 1023, geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Milchaufgabevergütungsverordnung vom 16. April 1987, BGBl I, 1257).

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hat der Kläger lediglich in der Zeit ..., nicht aber am Stichtag, dem 2. April 1984, Milch an die Molkerei geliefert. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) hatte wegen dieser Tatsachen mit Bescheid vom ... die ARM für den Kläger rückwirkend ab 2. April 1984 auf 0 kg festgesetzt. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos geblieben.

Auf die Klage hob das FG den Bescheid und die Einspruchsentscheidung des HZA auf. Das FG führte im wesentlichen aus: Die rückwirkende Festsetzung der ARM auf 0 kg sei rechtswidrig. Der durch die stillschweigende Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei zustande gekommene Verwaltungsakt des HZA bei der erstmaligen Festsetzung der Referenzmenge im Jahre 1984 sei ein begünstigender Verwaltungsakt. Dessen Rücknahme ex tunc sei jedoch gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) i.V.m. § 48 Abs. 2 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) rechtswidrig, weil der Begünstigte auf den Bestand des Bescheides vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Denn der Kläger habe unwidersprochen vorgetragen, daß die empfangenen Leistungen verbraucht seien. Außerdem sei die fehlerhafte Berechnung der Anlieferungsreferenzmenge durch die Molkerei ohne Zutun des Klägers erfolgt. Diesen Umstand müsse sich die Verwaltung zurechnen lassen. Schließlich sei der Verwaltungsakt erst nach weit über fünf Jahren zurückgenommen worden. Demgegenüber seien keine überragenden Interessen des Gemeinwohls erkennbar. Denn infolge der dem Kläger gewährten Milchrente (Milchaufgabevergütung) sei die Referenzmenge freigesetzt worden, so daß sich aus ihr keine weitere Belastung des Milchmarktes ergebe.

Mit der Revision macht das HZA geltend: § 10 Abs. 1, 2. Alternative der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) i.d.F. der Dreizehnten Verordnung zur Änderung der MGV vom 6. Februar 1990 (BGBl I 1990, 200) stelle eine Spezialregelung gegenüber § 10 Abs. 1 MOG dar. Danach sei bei Fehlerhaftigkeit der Berechnung der ARM eine Neuberechnung der ARM durch den Käufer bzw. im Wege des Selbsteintritts durch das HZA vorzunehmen. Die Gewährung von Vertrauensschutz nach § 10 Abs. 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG komme danach nicht in Betracht. Falls diesem Gedankengang nicht gefolgt werden könne, müsse die durch § 10 Abs. 1, 2. Alternative MGV getroffene Regelung aber dahin verstanden werden, daß sie ein zweistufiges Korrekturverfahren vorschreibe. Danach habe zunächst der Käufer die ARM neu zu berechnen. Der Erzeuger könne dann die vom Käufer neu berechnete ARM durch das HZA überprüfen lassen (§ 10 Abs. 3 MGV). Das HZA müsse in diesem Fall nach § 10 Abs. 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG entscheiden.

Im übrigen sei die Zulässigkeit der Rücknahme des Bescheides über die Festsetzung der ARM im Jahre 1984 nicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 VwVfG, sondern nach § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 3 VwVfG zu beurteilen. Denn die Festsetzung einer Referenzmenge sei nicht - wie in § 48 Abs. 2 VwVfG geregelt - als rechtliche Voraussetzung für die Gewährung einer Geldleistung anzusehen. Die Festsetzung der ARM sei eine Maßnahme des EG-weiten Subventionsabbaus und habe primär marktordnungspolitische, aber keine fiskalische Bedeutung. Es komme im übrigen auch nicht darauf an, welche Rechtswirkungen der Verwaltungsakt im Zeitpunkt seiner Rücknahme habe. Entscheidend sei schon wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes (§ 37 Abs. 1 VwVfG), welche Rechtswirkungen der Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Ergehens habe. Die Festsetzung der ARM sei nur mittelbare Voraussetzung für die Gewährung der Milchrente, nicht der eigentliche Zweck der Festsetzung gewesen. Unmittelbare Voraussetzung für die Gewährung der Milchrente sei vielmehr der jeweilige Bewilligungsbescheid des BEF.

Ein Ermessensspielraum sei bei der Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG nicht gegeben; es müsse nur im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes entschieden werden, ob der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit oder nur mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen sei.

Für den Kläger sei im Rahmen der gebotenen gesonderten Betrachtungsweise kein Vertrauensschutz geboten, weil keine Abgaben nachzuerheben gewesen seien. Im übrigen müsse die Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und den Interessen des Erzeugers in der Regel zu Lasten des Erzeugers ausfallen; dem Gemeinschaftsinteresse an der Funktionsfähigkeit der Milchgarantiemengenregelung und der Begrenzung der Milchproduktion müsse in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist der Bescheid, mit dem das HZA die ARM für den Kläger mit Wirkung vom 2. April 1984 auf 0 kg festgesetzt hat, rechtswidrig.

1. In Übereinstimmung mit dem Senatsurteil vom 30. Oktober 1990 VII R 101/89 (BFHE 162, 156) ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei dem Bescheid des HZA um einen solchen handelt, dessen Rechtmäßigkeit nach den Grundsätzen des § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG zu beurteilen ist. Denn durch ihn nimmt das HZA einen rechtswidrigen begünstigenden Bescheid zurück, der im Rahmen einer Mengenregelung i.S. von § 8 MOG ergangen ist. Der Senat hat mehrfach entschieden, daß es sich bei der Festsetzung der ARM um einen Verwaltungsakt des HZA handelt (zuletzt in BFHE 162, 156 m.w.N.). Im Streitfall braucht er auf die Gegenmeinung, wonach die ARM nicht durch das HZA, sondern durch den Käufer (Molkerei) als beliehenen Unternehmer festgesetzt wird (Schrömbges, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1992, 101ff.), nicht einzugehen. Denn es kommt hier auf die Entscheidung dieser Streitfrage nicht an, weil das HZA - gleichgültig, wem die Festsetzung der ARM zuzurechnen ist - für die Rücknahme der Festsetzung zuständig ist. Selbst wenn die Festsetzung der ARM dem Käufer zuzurechnen wäre, könnte das HZA sie aufgrund seiner allgemeinen Zuständigkeit nach § 2 MGV vom 25. Mai 1984 (BGBl I 1984, 720) zurücknehmen.

§ 10 Abs. 1, 2. Alternative MGV steht dem nicht entgegen. Der Auffassung, daß darin für die Neuberechnung aus sonstigem Grunde ein zweistufiges Verfahren vorgeschrieben wurde, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr geht diese Regelung nur davon aus, daß auch der Käufer von sich aus - ohne Antrag des Erzeugers - eine Neuberechnung der ARM vornehmen kann. Ein selbständiges Tätigwerden des HZA wird dadurch aber nicht ausgeschlossen.

Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung läßt sich ferner nicht entnehmen, daß durch sie die materiellen Voraussetzungen für die Rücknahme einer dem Erzeuger günstigen ARM-Berechnung abweichend von § 10 Abs. 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG geregelt werden sollten. Denn darin kommt weder zum Ausdruck, daß eine fehlerhaft zu hoch berechnete ARM überhaupt zurückgenommen werden muß, noch daß dies - abweichend von § 10 Abs. 1 MOG - ohne Berücksichtigung des in § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG geregelten Vertrauensschutzes zu geschehen hat. § 10 Abs. 1, 2. Alternative MGV bestimmt vielmehr eindeutig nur, daß der Käufer eine aus sonstigem Grunde neu berechnete ARM dem HZA mitzuteilen hat.

2. Der ursprüngliche Bescheid, mit dem im Jahre 1984 eine ARM für den Kläger festgesetzt wurde, war rechtswidrig.

Das FG hat zwar keine besonderen Ausführungen zur Rechtmäßigkeit dieses Bescheides gemacht. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich aber aus der vom FG getroffenen Feststellung, der Kläger habe am Stichtag, dem 2. April 1984, keine Milch an die Molkerei geliefert. Denn gemäß § 4 Abs. 1 MGV durfte die Molkerei eine ARM nur für Erzeuger berechnen, die am 2. April 1984 (Inkrafttreten der MGV) Milch an sie lieferten. Da der Kläger aber nach den Feststellungen des FG - und im übrigen auch unstreitig - zu diesem Zeitpunkt keine Milch an die Molkerei geliefert hatte, durfte die Molkerei für den Kläger auch keine ARM berechnen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des Bescheids der zuständigen Landesbehörde. Denn über seinen Inhalt hinaus, nämlich, daß das Kalenderjahr 1981 statt des Kalenderjahres 1983 im Falle des Klägers der Berechnung der ARM zugrunde zu legen sei, war er nicht geeignet, dem Kläger eine weitergehende Rechtsposition einzuräumen. Aus ihm ergab sich insbesondere nicht, daß der Kläger - wie dieser meint - durch ihn so gestellt würde, als habe er am 2. April 1984 an die Molkerei Milch geliefert. Da keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß in bezug auf die Rechtswidrigkeit der Festsetzung der ARM in 1984 weitere Feststellungen erforderlich sein könnten, kann der Senat von der Rechtswidrigkeit der Festsetzung der ARM durch die Molkerei ausgehen.

3. Die Vorausetzungen für eine Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides über die Festsetzung der ARM liegen jedoch - wie das FG rechtsfehlerfrei erkannt hat - nicht vor.

a) Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 162, 156 entschieden, daß ein rechtswidriger begünstigender Bescheid nach § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG zurückzunehmen ist, ohne daß Raum für eine Ermessensbetätigung der Behörde besteht, wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG vorliegen. Darauf kommt es jedoch im vorliegenden Fall nicht an, weil schon die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG für eine Rücknahme nicht vorliegen.

b) Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 162, 156 (vgl. auch Dänzer-Vanotti, Anmerkung in ZfZ 1991, 149) - auch die in seinem Urteil vom 13. März 1990 VII R 47/88 (BFHE 164, 141, 145) noch offengelassene Frage - nach der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG - dahin entschieden, daß sich der Vertrauensschutz bei einer in Betracht kommenden Rücknahme der Festsetzung einer ARM nach dieser Vorschrift richtet. Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Revision und der zwischenzeitlich an dieser Entscheidung geübten Kritik (Schrömbges, ZfZ 1991, 130ff.) keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Insbesondere hält er das Argument, § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG erfordere in Fällen wie diesem zwingend die Anwendung von § 48 Abs. 3 VwVfG, nicht für überzeugend.

Der dort vorgebrachte Gesichtspunkt, daß nach § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG immer der Tatbestand des § 48 VwVfG anzuwenden sei, der die Rücknahme des Verwaltungsaktes erleichtere und sie nicht erschwere, überzeugt nicht. Diese Auffassung findet jedenfalls im Wortlaut des § 10 Abs. 1 MOG keine Stütze. Vielmehr erklärt § 10 Abs. 1 MOG die Vorschriften in § 48 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG ohne jede Präferenz für die eine oder andere Vorschrift für anwendbar. Die Entscheidung, welche der beiden Vorschriften anzuwenden ist, muß jeweils nach den Umständen des Einzelfalles getroffen werden. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß § 48 Abs. 2 VwVfG anzuwenden ist, weil die darin enthaltene Regelung die Festsetzung der ARM - wenn auch im Wortlaut nicht voll zutreffend - am besten trifft.

Es ist zwar richtig, daß die Festsetzung der ARM im Rahmen einer Produktionsregelung ergeht, deren Ziel die Drosselung der produzierten Milchmenge ist. Zur Erreichung dieses Ziels werden aber im Rahmen der Verordnungen (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L148/13) und Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 (ABlEG Nr. 90/13) allein fiskalische Mittel eingesetzt. Mit diesen Mitteln soll eine Überproduktion von Milch zwar verhindert werden; die Verordnungen verbieten sie aber nicht, sondern belasten sie nur mit einer Zusatzabgabe (Milchgarantiemengenabgabe), die dem Erzeuger bei Überschreiten der ARM von seinem Entgelt für die Lieferung der Milch abgezogen wird (§ 11 MGV). Hält er sich dagegen im Rahmen der festgesetzten ARM, so kann er die Milch ohne Abzug der Milchgarantiemengenabgabe liefern und hat demgemäß insoweit eine finanzielle Vergünstigung.

Darüber hinaus kommt der ARM eine weitere finanzielle Bedeutung dahin zu, daß sie als Berechnungsgrundlage für die Milchaufgabevergütung dient (§ 12 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 MAVV). Andere als diese rein fiskalischen Auswirkungen hat die Festsetzung der ARM auch dann nicht, wenn man der Erhebung der Abgabe Zwangsvollstreckungscharakter beimißt. Der Senat hat es in seinem Urteil in BFHE 164, 141 zwar noch dahingestellt sein lassen, ob der Festsetzung der ARM eine besondere staatsbezogene Qualität zukommt, die ihre Aufrechterhaltung, sofern sie rechtswidrig ist, schwer erträglich machen würde, ihre Rücknahme deshalb in jedem Fall erforderlich wäre und der Vertrauensschutz nur durch Ausgleich des Vermögensnachteils in Geld gewährt werden könnte. In seiner späteren Entscheidung in BFHE 162, 156 ist er jedoch im Ergebnis dazu gelangt, daß der fiskalische Aspekt der Festsetzung der ARM überwiegt und deshalb § 48 Abs. 2 VwVfg anzuwenden ist, woran der Senat auch im Streitfall festhält.

Anders wäre es nur, wenn mit der Festsetzung der ARM ein Verbot der Überproduktion verbunden wäre. Dann wäre die Rücknahme in der Tat nach § 48 Abs. 3 VwVfG zu beurteilen. Das Mittel des Verbots hat das Gemeinschaftsrecht aber nicht gewählt. Insoweit trifft der vom HZA in der mündlichen Verhandlung gezogene Vergleich der ARM-Berechnung mit einer Baugenehmigung, bei deren Rücknahme nur § 48 Abs. 3 VwVfG in Betracht komme, nicht zu. Denn anders als bei der Milchgarantiemengenregelung ist im Baurecht, soweit eine Genehmigung vorgeschrieben ist, das Bauen ohne Baugenehmigung verboten.

c) Der Senat folgt der Vorinstanz auch darin, daß im Streitfall der Schutz des Vertrauens des Klägers auf den Bestand der Festsetzung der ARM die Rücknahme dieses Bescheides verbietet.

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung dieses Vertrauensschutzes ist der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung über die Rücknahme getroffen wird. Dies ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 20. März 1990 BVerwG 9 C 12.89, BVerwGE 85, 79, 88).

Zwar hat der Kläger nur in geringem Umfang Milch geliefert und insoweit keine Milchgarantiemengenabgabe gezahlt, weil die Lieferung im Rahmen der festgesetzten ARM stattfand. Sein Interesse am Schutz seines Vertrauens in den Bestand der ARM geht daher in erster Linie dahin, nicht nachträglich noch die Milchgarantiemengenabgabe zahlen zu müssen. Da die ARM aber auch Grundlage für die Berechnung der Milchaufgabevergütung durch das BEF war, hat der Kläger auch insoweit ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der ARM.

Die Milchaufgabevergütung wird zwar nicht von der Bundeszollverwaltung, sondern vom BEF gewährt; die Rücknahme der Festsetzung der ARM hat auch nicht automatisch den Wegfall des Bescheids über die Gewährung der Milchaufgabevergütung zur Folge (vgl. dazu Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl., § 48 Anm. 52). Die ARM ist aber die Grundlage für die Berechnung und ein wesentliches Kriterium für die Gewährung der Milchaufgabevergütung. Ist keine ARM festgesetzt worden, so kommt die Gewährung einer Milchaufgabevergütung nicht in Betracht (§ 12 Abs. 1 MAVV). Wird eine ARM festgesetzt, so ist sie die bindende Grundlage für die Berechnung der Milchaufgabevergütung (§ 14 Abs. 1 MAVV). Deshalb ist der Vertrauensschutz auch insoweit zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, daß die Milchaufgabevergütung aufgrund eines besonderen Verwaltungsaktes durch eine andere Behörde gewährt wird (vgl. BVerwGE 85, 79, 88, 90).

d) Der Senat sieht keinen Anlaß, die Würdigung der von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen zu beanstanden, wonach das Vertrauen des Klägers in den Bestand der Festsetzung der ARM schutzwürdig ist. Insbesondere an die Feststellung der Vorinstanz, daß der Kläger auf den Bestand der Festsetzung der ARM vertraut und die empfangene Milchaufgabevergütung bereits verbraucht hat, ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Verfahrensrügen hat das HZA insoweit nicht geltend gemacht. Soweit sich das HZA gegen das Ergebnis der im Rahmen von § 48 Abs. 2 VwVfG vorgenommenen Abwägung zwischen dem Gemeinschaftsinteresse und dem Interesse des Klägers wendet, ist zu berücksichtigen, daß das HZA die berechnete ARM mit Wirkung ex tunc zurückgenommen hat und dies erst rd. 5 Jahre nach der ursprünglichen Berechnung der ARM geschehen ist.

Die vom HZA angeführten Entscheidungen (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 21. September 1983 Rs. 205 bis 215/82, EuGHE 1983, 2633, 2669, und Senatsurteil in BFHE 164, 141, 145) stehen der Gewährung von Vertrauensschutz im Streitfall nicht entgegen. Der EuGH hat ausgeführt, daß das Gemeinschaftsrecht bei Rückforderung von zu Unrecht gewährten Leistungen nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die auf einen Vertrauensschutz oder den Grundsatz des Wegfalls der ungerechtfertigten Bereicherung abstellen, soweit das Interesse der Gemeinschaft voll berücksichtigt wird. Daraus ist nicht der Schluß zu ziehen, daß das Gemeinschaftsinteresse immer Vorrang vor dem des Betroffenen haben müßte. Vielmehr ist unter den genannten Gesichtspunkten eine Abwägung zwischen den Interessen der Gemeinschaft und denen des Betroffenen durchaus möglich, weil andernfalls die Gewährung des vom EuGH anerkannten Vertrauensschutzes praktisch ausgeschlossen wäre.

Diese Abwägung hat auch der Senat in seiner zuvor genannten Entscheidung vorgenommen. Dabei hat er zwar in dem damals entschiedenen Fall dem Interesse der Gemeinschaft den Vorrang eingeräumt. Im Unterschied zum Streitfall ging es aber in jener Entscheidung um die Herabsetzung der ARM mit Wirkung im wesentlichen für die Zukunft, während die Aufhebung der ARM im Streitfall nur Wirkungen für die Vergangenheit hat. In diesem Fall ist das Vertrauen des Betroffenen unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG in der Regel schutzwürdig.

Demgegenüber hat das HZA im Streitfall kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Rücknahme der Festsetzung der ARM vorgetragen. Ein solches ist dem Senat auch nicht ersichtlich. Denn der Kläger hat auf die Milcherzeugung endgültig verzichtet. Soweit eine Rücknahme für die Vergangenheit in Rede steht, sind, wie bereits dargestellt, nur finanzielle Interessen der öffentlichen Hand (Milchgarantiemengenabgabe und Milchaufgabevergütung) betroffen, die gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zurückzutreten haben, wenn die finanziellen Vorteile - wie hier - durch den Kläger bereits verbraucht sind. Da auch keine Tatsachen vorgetragen worden sind, die eine Versagung des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG rechtfertigen, hat die Vorinstanz mit Recht die Rücknahme der Festsetzung der ARM durch das HZA versagt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419318

BFH/NV 1994, 137

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