Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausbildungskosten für zweiten Beruf können vorweggenommene Betriebsausgaben oder Werbungskosten sein

 

Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen eines Steuerpflichtigen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung für den Erwerb eines neuen Berufs sind vorweggenommene Betriebsausgaben oder Werbungskosten, wenn sie in einem hinreichend konkreten Zusammenhang mit erwarteten späteren Einnahmen aus dem neuen Beruf stehen und die Ausbildung für den neuen Beruf der Überwindung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit dient (Anschluss an BFH-Urteil vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 12 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Urteil vom 17.05.2001; Aktenzeichen 10 K 3721/98 E; EFG 2001, 1023)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute und machen bei der Einkommensteuerfestsetzung für die Streitjahre 1995 und 1996 vorweggenommene Betriebsausgaben für die selbständige Tätigkeit der Klägerin als Heilpraktikerin geltend. Die 1950 geborene Klägerin ist ausgebildete Bilanzbuchhalterin und war in diesem Beruf bis zum 30. April 1996 nichtselbständig tätig; anschließend war sie arbeitslos. Die Einkünfte aus der Beschäftigung als Bilanzbuchhalterin betrugen im Jahr 1995 insgesamt 145 150 DM.

Im Mai 1995 nahm die Klägerin eine Ausbildung zur Heilpraktikerin auf und belegte dafür Kurse bei einem Bildungsverband für Naturheilkunde. Im Februar 1998 legte die Klägerin die Heilpraktikerprüfung vor dem Gesundheitsamt ab. Seit Mai 1998 betreibt sie in drei Erdgeschossräumen ihres Wohnhauses eine Praxis für Naturheilverfahren. Durch die Ausbildung entstanden der Klägerin in den Streitjahren Kosten in Höhe von 9 804 DM (1995) bzw. 17 915 DM (1996), die in den Einkommensteuererklärungen als negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit erklärt wurden. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) erkannte von den Ausbildungskosten im Ergebnis nur 1 200 DM (1995) bzw. 2 400 DM (1996) als Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage trug die Klägerin vor, nach dem Tod eines Prokuristen des Unternehmens, in dem sie früher beschäftigt war, habe sich die dortige Personalpolitik verändert. Es sei vorherzusehen gewesen, dass sie angesichts ihres Alters und hohen Gehalts nicht mehr lange dort beschäftigt sein würde. Deshalb habe sie sich schon seit 1993 nach einer neuen Stelle umgesehen, aber nur Absagen erhalten. Von einer Heilpraktikertätigkeit habe sie sich eine selbständige Erwerbsquelle erhofft. Es zeichne sich ab, dass sie mit der Praxis künftig ihren Lebensunterhalt werde verdienen können. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1023 veröffentlichten Urteil statt.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA geltend, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zählten die Kosten für eine Ausbildung zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung. § 12 EStG gehe der Abgrenzung von Betriebsausgaben/Werbungskosten einerseits und Sonderausgaben andererseits vor. Mit § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er Ausbildungskosten grundsätzlich der einkommensteuerlich irrelevanten Sphäre zuordne. Aus dem BFH-Urteil vom 18. April 1996 VI R 5/95 (BFHE 180, 357, BStBl II 1996, 482) ergebe sich nichts anderes, denn in jenem Fall seien Fortbildungskosten im Streit gewesen. Eine Aufhebung der Trennung von Aus- und Fortbildung sei im Übrigen deshalb nicht tunlich, weil anderenfalls der Finanzbehörde die Entscheidung darüber zugemutet werde, ob der Steuerpflichtige zur Einkünfteerzielung gerade auf die gewählte Ausbildung angewiesen war. Im Streitfall sei zweifelhaft, ob die privaten Neigungen für die Ausbildung überwogen hätten, weil die Klägerin bereits ein Jahr vor ihrer Entlassung aus einem prinzipiell stabilen Beschäftigungsverhältnis mit einer vom bisherigen Berufsbild völlig abweichenden Ausbildung begonnen habe.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie tragen vor, aus § 12 Nr. 1 EStG folge nicht, dass Ausbildungskosten der privaten Lebensführung zuzuordnen seien und nicht abgezogen werden könnten. Dass für eine neue Berufsausbildung ein Beruf gewählt werde, der der persönlichen Neigung entspreche, sei unschädlich. Die Ernsthaftigkeit der neuen Berufsausübung sei daran zu erkennen, dass die Klägerin im Jahr 2000 bereits einen Umsatz von 19 290,97 DM und einen Überschuss vor Abschreibungen von 9 124,75 DM erzielt habe. Das BFH-Urteil in BFHE 180, 357, BStBl II 1996, 482 betreffe insoweit einen vergleichbaren Fall, als zwischen dem bisherigen Beruf (Dipl.-Geograph) und dem neuen Beruf (Abfallwirtschaftsberater) des dortigen Klägers wie hier kein Zusammenhang bestanden habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Das FG hat die Aufwendungen für die Ausbildung der Klägerin als Heilpraktikerin zu Recht als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit behandelt. Diese Aufwendungen sind keine Kosten der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

a) Der erkennende Senat schließt sich der geänderten Rechtsprechung des VI. Senats des BFH zur Behandlung von Ausbildungskosten für einen zweiten Beruf an (Urteil des VI. Senats vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2003, 70). Danach sind Aufwendungen eines Steuerpflichtigen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung für den Erwerb eines neuen Berufs weder aufgrund § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG noch aufgrund § 12 Nr. 1 EStG von einem Abzug bei Ermittlung der betreffenden Einkünfte ausgeschlossen. Anders als Aufwendungen für die erste Berufsausbildung können sie in einem so konkreten Zusammenhang mit erwarteten späteren Einnahmen aus dem neuen Beruf stehen, dass sie die Voraussetzungen für vorweggenommene Betriebsausgaben oder Werbungskosten erfüllen.

b) § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG entfaltet keine Sperrwirkung dahin gehend, dass Ausbildungskosten nur als Sonderausgaben abgezogen werden dürfen; vielmehr räumt § 10 Abs. 1 EStG in seinem Einleitungssatz dem Abzug als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ausdrücklich den Vorrang ein.

Einem Abzug der Aufwendungen für die Ausbildung zu einem neuen Beruf steht § 12 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Ausbildung im Zusammenhang mit einer eingetretenen Arbeitslosigkeit in dem bisher ausgeübten Beruf begonnen worden ist. Die Aufwendungen für eine derartige Ausbildungsmaßnahme weisen keinen Bezug zur privaten Lebensführung auf. Wie der VI. Senat in seinem Urteil vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01 ausführlich dargelegt hat, ließe eine Zuordnung derartiger Aufwendungen zu den Kosten der privaten Lebensführung die tiefgreifenden Veränderungen im Berufsleben, Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt außer Acht. Der erkennende Senat macht sich diese Argumentation zu Eigen und erweitert sie auch auf solche Fälle, in denen Arbeitslosigkeit bei Beginn der Zweitausbildung noch nicht eingetreten, aber zu befürchten ist. Es macht in diesem Zusammenhang keinen Unterschied, ob der Steuerpflichtige mit der Ausbildung erst auf die eingetretene Arbeitslosigkeit reagiert oder ihr durch Erwerb eines neuen Berufs zuvorzukommen sucht.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat die Klägerin in den Streitjahren Verluste aus selbständiger Arbeit erzielt.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) anfallen, bevor im Rahmen einer Einkunftsart Einnahmen erzielt werden, sofern zwischen den Aufwendungen und einer bestimmten Einkunftsart eine klar erkennbare Beziehung besteht (BFH-Urteile vom 3. November 1961 VI 196/60 U, BFHE 74, 319, BStBl III 1962, 123, und vom 14. Juni 1988 VIII R 252/82, BFHE 154, 72, BStBl II 1988, 992). Die Aufwendungen für die Ausbildung zur Heilpraktikerin stehen in einer klar erkennbaren Beziehung zu der angestrebten selbständigen Berufstätigkeit als Heilpraktikerin. Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge beanstandeten und deshalb nach § 118 Abs. 2 FGO für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG war die Klägerin bei Beginn ihrer Ausbildung fest entschlossen, den Beruf der Heilpraktikerin zur Erzielung von Einkünften aufzunehmen. Die Ausbildungskosten sind danach durch die spätere Erzielung von Betriebseinnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit als Heilpraktiker gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG veranlasst und führen in den Streitjahren als vorweggenommene Betriebsausgaben in voller Höhe zu negativen Einkünften aus selbständiger Arbeit.

b) Ein Abzug der Aufwendungen scheitert nicht an § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG. Das FG hat ―ebenfalls bindend― festgestellt, dass die Klägerin die Ausbildung begonnen hat, nachdem der Versuch gescheitert war, in dem ursprünglich erlernten Beruf als Bilanzbuchhalterin wieder Fuß zu fassen. Der Berufswechsel war danach die einzige Möglichkeit für die Klägerin, sich selbständig zu machen und Einkünfte zu erzielen. Die Ausbildung diente bei ihrem Beginn also dazu, einer befürchteten Arbeitslosigkeit in dem bisherigen Beruf zuvorzukommen. Ein Jahr später wurde die Klägerin tatsächlich arbeitslos. Eine Zuordnung der Ausbildungskosten zu den Kosten der Lebensführung kommt nach den genannten neuen Kriterien der Rechtsprechung mithin nicht in Betracht. Dem steht abweichend von der Auffassung des FA nicht entgegen, dass die Klägerin eine Neigung zu dem Beruf der Heilpraktikerin hatte. Die Ausbildungskosten für einen zweiten Beruf werden zum Abzug zugelassen, weil der Steuerpflichtige mit Hilfe des neuen Berufs die Erwerbslosigkeit zu beenden oder zu vermeiden sucht. Dieser Erfolg wird umso eher erreicht werden können, je mehr Neigung zu dem neuen Beruf besteht. Dem Zweck der steuerlichen Abziehbarkeit von Ausbildungskosten würde es aber widersprechen, den Abzug unter Hinweis auf die besondere Neigung gerade in dem Fall zu versagen, in dem der Erfolg der Umschulung besonders wahrscheinlich ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 937953

BFH/NV 2003, 982

BStBl II 2003, 698

BFHE 2003, 495

BFHE 201, 495

BB 2003, 1270

DStR 2003, 972

DStRE 2003, 830

HFR 2003, 769

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