Leitsatz (amtlich)

Erteilt ein Orchestermusiker nebenberuflich Musikunterricht, so kann diese Unterrichtstätigkeit als "künstlerisch" im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG 1977 anzusehen sein, wenn der Unterricht nach Gegenstand und Ziel und nach dem Ausbildungsstand der Schüler ein gewisses Niveau erreicht.

 

Normenkette

EStG 1977 § 34 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist hauptberuflich als (nichtselbständiger) Orchestermusiker bei der Stadt X tätig. Außerdem gab er im Streitjahr 1977 Musikunterricht an der Kreismusikschule X. Er unterrichtete dort insgesamt elf Schüler im Fach Trompete. Die Schüler erhielten je eine Wochenstunde Einzelunterricht. Einige der Schüler wurden beim Landeswettbewerb "Jugend musiziert" mit einem der ersten Preise ausgezeichnet.

Bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 1977 lehnte es der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ab, den Gewinn aus der Lehrtätigkeit (8 344 DM) mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu versteuern. Nach Auffassung des FA stellt das Vermitteln von musikalischen Fertigkeiten keine künstlerische Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG dar.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah die Unterrichtstätigkeit des Klägers als künstlerisch an. Es berief sich zur Begründung seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) zur Anwendung des § 4 Nr. 13 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1934 (= § 4 Nr. 17 UStG 1951). Nach dieser Rechtsprechung übe jemand, der. Künstler sei, eine "Tätigkeit als Künstler" auch insoweit aus, als er auf dem Gebiet seiner Kunst Unterricht erteile (RFH-Urteil vom 31. Januar 1941 V 81/40, RStBl 1941, 229). Diese vom RFH entwickelten Rechtsgrundsätze seien auch bei der Auslegung des § 34 Abs. 4 EStG anwendbar. Deshalb sei auch die unterrichtende Tätigkeit des Klägers als "künstlerisch" anzusehen. An der Künstlereigenschaft des Klägers bestehe kein Zweifel; denn dieser nehme seit Jahren als festangestellter Musiker der Stadt X in einer herausragenden Stellung am Musikleben dieser Stadt teil. Da der Kläger auf dem Gebiet seiner Kunst (Unterrichtsfach: Trompete) unterrichte, seien für die Einkünfte aus dieser Unterrichtstätigkeit die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 EStG erfüllt.

Mit der - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Tatsachenfeststellungen des FG reichen nicht aus, um die Sache abschließend zu entscheiden.

1. Der tarifbegünstigte Steuersatz (§ 34 Abs. 1 EStG) ist nach § 34 Abs. 4 EStG auf Antrag anzuwenden auf Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit, soweit diese Nebeneinkünfte erzielt werden durch Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus einer selbständigen freiberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 EStG.

Unter einer "künstlerischen" Tätigkeit wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. zuletzt Urteil vom 19. August 1982 IV R 64/79, BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7) eine eigenschöpferische Tätigkeit mit einer gewissen Gestaltungshöhe verstanden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht das Wesentliche der künstlerischen Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (Beschluß vom 24. Februar 1971 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188 f.).

Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung in BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7 ausgeführt hat, enthalten diese Umschreibungen keinen allgemein verbindlichen Kunstbegriff. Für die Abgrenzung dessen, was als Kunst und als "künstlerisch" anzusehen ist, gelten unterschiedliche - von den jeweiligen historischen Bedingungen abhängige - Maßstäbe. Nur mit Hilfe dieser Maßstäbe kann bestimmt werden, was Kunst ist und welcher Wert und welche Bedeutung einem Kunstwerk und dem künstlerischen Schaffen eines Menschen zukommt.

2. Bei der Beurteilung, ob die Erteilung von Musikunterricht als eine "künstlerische" Tätigkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG anzusehen ist, kommt es auf die Umstände des einzelnen Falles, insbesondere auf die Fähigkeiten des Unterrichtenden sowie auf den Gegenstand und das Ziel des Unterrichts an. Nur bei Würdigung der Gesamtheit dieser Umstände läßt sich entscheiden, ob die Unterrichtserteilung künstlerischen Charakter hat.

a) Hinsichtlich der Fähigkeiten, die die Person des Unterrichtenden haben muß, damit seine Tätigkeit als "künstlerisch" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG angesehen werden kann, müssen im wesentlichen die Voraussetzungen erfüllt sein, die der Senat in seinem Urteil in BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7 für die künstlerischen Qualitäten einer musikalischen Tätigkeit für erforderlich erachtete. Für die Beurteilung dieser Qualitäten spielt der "Anteil der erlernten Fähigkeiten eine große Rolle". Dasselbe muß auch für eine Unterrichtstätigkeit gelten, die Schüler zum Instrumentalspiel hinführen soll. Eine solche Lehrtätigkeit kann nur dann künstlerischen Charakter haben, wenn der Lehrer selbst die Fähigkeiten eines Musikers besitzt, die als künstlerisch gewertet werden können.

Die Kriterien, nach denen im Einzelfall zu werten ist, ob der für eine "künstlerische" Tätigkeit vorauszusetzende Qualitätsstandard erreicht ist, sind u. a. die manuelle Geschicklichkeit, die Tongebung, die rhythmische Genauigkeit, die Sauberkeit der Intonation sowie die Wendigkeit in der Umsetzung des musikalischen Textes (BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7).

Ein musikalischer Laie wird allerdings zur Bewertung solcher Fähigkeiten eines Musikers kaum imstande sein; die Frage, ob im Einzelfall hinreichende künstlerische Fähigkeiten vorliegen, kann deshalb in der Regel nur aufgrund eines Gutachtens getroffen werden (BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7). Der Senat ist allerdings der Auffassung, daß Musiker, die in bestimmten, besonders qualifizierten Orchestern mitwirken, auch ohne nähere Prüfung - und damit ohne vorherige Einholung eines Gutachtens - als künstlerisch befähigt anzusehen sind. Das gilt insbesondere für die Mitglieder von Orchestern, "die regelmäßig Operndienst versehen oder Konzerte ernst zu wertender Musik spielen" (sog. "Kulturorchester"; vgl. Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971). Bevor ein Musiker in eine solches Orchester aufgenommen wird, muß er durch ein Probespiel den für eine künstlerische Tätigkeit vorauszusetzenden Qualitätsstandard nachweisen. Er muß ferner mit Erfolg eine Probezeit bestehen; in der Regel nach Ablauf eines Jahres wird von den Mitgliedern des Orchesters darüber abgestimmt, ob der betreffende Musiker im Orchester bleiben darf. Wer über eine so lange Zeit von kritischen und kompetenten Künstlern geprüft wird, bevor er auf Dauer Mitglied eines Kulturorchesters wird, bedarf keines zusätzlichen Nachweises seiner künstlerischen Fähigkeiten (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1971 IV R 126/70, BFHE 103, 570, BStBl II 1972, 212, in dem die künstlerische Befähigung von Mitgliedern der Symphonieorchester in Rundfunkanstalten ohne besonderen weiteren Nachweis anerkannt wurde).

b) Erweisen sich die Fähigkeiten des Unterrichtenden als "künstlerisch" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG, so bedeutet dies nicht in jedem Fall, daß auch die Unterrichtserteilung als solche eine "künstlerische" Tätigkeit in diesem Sinne darstellt. Der Auffassung des RFH zur Auslegung des § 4 Nr. 13 UStG 1934 (RStBl 1941, 229), nach der ein Künstler die "Tätigkeit eines Künstlers" auch insoweit ausübt, als er auf dem Gebiet seiner Kunst Unterricht erteilt, kann - jedenfalls in dieser Allgemeinheit - für die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG nicht gefolgt werden. Der Senat ist vielmehr der Ansicht, daß die Unterrichtstätigkeit eines Künstlers nur dann "künstlerisch" i. S. des § 34 Abs. 4 EStG sein kann, wenn der Unterricht nach Gegenstand und Ziel sowie nach dem Ausbildungsstand der Schüler ein gewisses Niveau erreicht.

Den hiernach zu stellenden Anforderungen wird ein Künstler gerecht, der an einer Musikhochschule (oder an einer anderen vergleichbaren Einrichtung) Einzelunterricht in einem zum Beruf des Musikers hinführenden Fach erteilt. Der Unterricht an einer Kreismusikschule hat indessen nicht in jedem Fall künstlerischen Charakter; so scheidet die Erteilung von Elementarunterricht grundsätzlich aus dem Bereich künstlerischer Betätigung aus. Anders kann es dagegen bei einem an fortgeschrittene Schüler erteilten Unterricht liegen; hier kommt es darauf an, ob die für die künstlerische Interpretationsleistung des Lehrers (z. B. im Solo- oder Orchesterspiel) bestimmende Qualität der musikalischen Darstellung auch für die Unterrichtsgestaltung maßgebend ist. In Zweifelsfällen sind hierzu entsprechende gutachtliche Ermittlungen anzustellen.

Dem vom Kläger im Verlaufe des Revisionsverfahrens gestellten Antrag, einen Gutachter zu hören, konnte schon deshalb nicht stattgegeben werden, weil die Feststellung der zu Beweis gestellten Tatsachen nicht dem BFH als Revisionsinstanz obliegt (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

3. Da es im Streitfall noch an der gebotenen Sachaufklärung fehlt, ist das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74999

BStBl II 1984, 491

BFHE 1985, 42

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