Leitsatz (amtlich)

Hat der Steuerpflichtige vor Durchführung der Veranlagung sein Einzelunternehmen aufgegeben, ist das ehemalige Betriebs-FA weder für die Einkommensteuerveranlagung gemäß § 19 Abs.3 AO 1977 noch für die gesonderte Gewinnfeststellung nach § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.b AO 1977 zuständig (Anschluß an BFH-Urteil vom 15.April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195).

 

Orientierungssatz

1. Für die Frage der örtlichen Zuständigkeit ist nicht auf die Verhältnisse im Veranlagungszeitraum (Feststellungszeitraum), sondern auf den Zeitpunkt der Veranlagung (Feststellung) abzustellen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Die Verletzung des § 18 AO 1977 (örtliche Zuständigkeit für gesonderte Feststellungen) und des § 19 AO 1977 (örtliche Zuständigkeit für die Steuern vom Einkommen) in der gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO 1977 getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler (vgl. BFH-Urteil vom 15.4.1986 VIII R 325/84).

 

Normenkette

AO 1977 §§ 18, 19 Abs. 3, §§ 26, 127, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 2b, § 17

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 26.03.1984; Aktenzeichen VI 310/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts (FA) H-1 wohnte, betrieb bis zum 30.Juni 1979 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsklägers (des FA H-2 --FA--) eine Apotheke. Nachdem die Klägerin ihre Apotheke zum 30.Juni 1979 veräußert und dies dem FA mit Schreiben vom selben Tag (Eingang beim FA am 5.Juli 1979) mitgeteilt hatte, gab das FA die Personensteuerakten an das FA H-1 ab; die Betriebssteuerakten blieben beim FA. Eine Zuständigkeitsvereinbarung wurde nicht getroffen.

Während einer Außenprüfung, die das FA vom 8.Dezember bis zum 19.Dezember 1980 für die Jahre 1977 bis 1979 durchführte, übergab die Klägerin dem Prüfer die Gewerbesteuererklärung des Streitjahres 1979 mit Schlußbilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zum 30.Juni 1979 sowie die Einkommensteuer- und Vermögensteuererklärungen 1979. Die Gewerbesteuererklärung nahm das FA zu den Betriebssteuerakten, Einkommensteuer- und Vermögensteuererklärungen leitete es an das FA H-1 weiter. In der Schlußbilanz zum 30.Juni 1979 war eine Beteiligung an dem Pharmagroßhandel ... KG als gewillkürtes Betriebsvermögen mit einem Nennwert von X DM aktiviert. Diese Beteiligung, die die Klägerin bei Betriebsaufgabe ins Privatvermögen übernommen hatte, bewertete sie bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns mit 1 DM, weil die KG in 1980 in Konkurs gefallen war.

Das FA H-1 veranlagte in Kenntnis dieses Sachverhalts antragsgemäß (endgültiger Einkommensteuerbescheid vom 24.Februar 1981). Da der Außenprüfer die Beteiligung mit ihrem Nennwert bewertete, erließ das FA am 16.Juni 1981 für das Streitjahr einen gesonderten Feststellungsbescheid, der einen um x-1 DM erhöhten Veräußerungsgewinn auswies. Das FA H-1 berichtigte daraufhin den Bescheid vom 24.Februar 1981 gemäß § 175 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Der gegen den Feststellungsbescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 2 veröffentlichten Gründen statt. Es führte aus, die Voraussetzungen für eine gesonderte Feststellung seien nicht gegeben, der Feststellungsbescheid sei daher rechtswidrig und aufzuheben.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs.2 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 18 Abs.1 Nr.2, § 26 Satz 1 AO 1977). Es ist der Meinung, daß kein Zuständigkeitswechsel stattgefunden habe und das FA daher weiterhin zum Erlaß eines gesonderten Feststellungsbescheids befugt gewesen sei.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen; hilfsweise, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet, da das FG zu Recht die Zuständigkeit des FA für den Erlaß eines gesonderten Feststellungsbescheids abgelehnt hat.

1. Nach § 157 Abs.2 AO 1977 bildet die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen einen unselbständigen Teil des Steuerbescheids, soweit die Besteuerungsgrundlagen nicht gesondert festgestellt werden. Eine gesonderte Feststellung erfolgt nach § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.b AO 1977, wenn das für die gesonderte Feststellung zuständige FA nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist. Diese Ausnahme, die ihre Berechtigung aus der Überlegung erhält, daß das "betriebsnähere" FA mit den betrieblichen Verhältnissen besser vertraut ist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9.November 1978 IV R 185/74, BFHE 127, 96, BStBl II 1979, 330; vom 15.April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195), wird aus Vereinfachungsgründen (BTDrucks VI/1982, 106 zu § 21 des Regierungsentwurfs der Abgabenordnung 1974) durch § 19 Abs.3 AO 1977 durchbrochen, wenn sich das FA, das für die gesonderte Feststellung zuständig wäre, in der Wohnsitzgemeinde befindet. In diesem Fall ist das für die gesonderte Feststellung zuständige FA auch für die Besteuerung des Einkommens zuständig.

2. Für die Frage der Zuständigkeit ist nicht auf die Verhältnisse im Veranlagungszeitraum (Feststellungszeitraum), sondern auf den Zeitpunkt der Veranlagung abzustellen (vgl. BFH-Urteile vom 29.Oktober 1970 IV R 247/69, BFHE 101, 91, BStBl II 1971, 151, zu dem bis 1976 geltenden § 6 Abs.1 der Zuständigkeitsverordnung vom 3.Januar 1944, RGBl I 1944, 11; in BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195, zu § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.b AO 1977). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut ("... übt ein Steuerpflichtiger ... diese Tätigkeit ... aus, ..") sowie aus Sinn und Zweck des § 19 Abs.3 AO 1977; denn die Vereinfachungsgründe für die Zusammenfassung der Veranlagung beim Betriebs-FA entfallen, wenn mit der Aufgabe des Betriebs der Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des Betriebs-FA fehlt.

3. Im Zeitpunkt der Veranlagung haben die Voraussetzungen des § 19 Abs.3 AO 1977 nicht mehr vorgelegen, da die Klägerin den Betrieb aufgegeben hatte. Mit der Aufgabe des Betriebs bestand jedenfalls im Bezirk des FA keine Geschäftsleitung mehr. Für die Besteuerung nach dem Einkommen wurde damit gemäß § 19 Abs.1 AO 1977 das Wohnsitz-FA H-1 zuständig. Der Wechsel der Zuständigkeit ist am 5.Juli mit Eingang des Schreibens über die Betriebsaufgabe eingetreten (§ 26 Satz 1 AO 1977). Eine Zuständigkeitsvereinbarung gemäß § 26 Satz 2 AO haben die FÄ nach den Feststellungen des FG nicht getroffen.

Der Senat teilt nicht die Auffassung des FA, es sei durch die Aufgabe des Betriebs als ehemaliges Betriebs-FA für die gesonderte Feststellung gemäß § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.b AO 1977 zuständig geworden. Ebenso wie bei § 19 Abs.3 AO 1977 entfällt auch bei § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.b AO 1977 die Zuständigkeit des ehemaligen Betriebs-FA, wenn der Betrieb vor Durchführung der Veranlagung aufgegeben worden ist (Urteil in BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195), da dort keine Geschäftsleitung mehr besteht.

4. Eine Heilung nach § 127 AO 1977 kommt nicht in Betracht; denn die Verletzung der §§ 18, 19 AO 1977 in der gemäß § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.b AO 1977 getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler (Urteil in BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195).

5. Da das FA für den Erlaß eines Feststellungsbescheids gemäß § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.b AO 1977 nicht zuständig war, und dieser Bescheid keinen Bestand haben kann, kann es der Senat offenlassen, ob eine Verlegung der Geschäftsleitung an den Wohnsitz anzunehmen ist, wenn noch Abwicklungsarbeiten durchzuführen sind (bejahend FG Berlin, Urteil vom 20.Oktober 1977 I 242/75 --rechtskräftig--, EFG 1978, 256).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61759

BStBl II 1988, 230

BFHE 152, 27

BFHE 1988, 27

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