Entscheidungsstichwort (Thema)

Haushaltsersparnis bei Pflegeheimunterbringung

 

Leitsatz (NV)

1. Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung in einem Pflegeheim sind nicht um eine Haushaltsersparnis zu kürzen, solange der Pflegebedürftige seinen normalen Haushalt beibehält.

2. Besuchsfahrten zu nahen Angehörigen sind im Regelfall nicht als außergewöhnlich, sondern typisierend als durch allgemeine Freibeträge und etwaige sonstige Vergünstigungen abgegolten anzusehen.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist verheiratet. Seine Ehefrau war in den Streitjahren 1977 und 1978 in einem Pflegeheim untergebracht. In seiner Einkommensteuererklärung für die Streitjahre beantragte der Kläger, die im Zusammenhang mit der Pflegeheimunterbringung entstandenen Kosten als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. In der Gesamtsumme der geltend gemachten Aufwendungen sind neben den Kosten für ärztliche Leistungen und die Heimunterbringung auch Aufwendungen für Fahrten des Klägers zum Besuch seiner Ehefrau sowie für Spazierfahrten mit dieser enthalten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gewährte die Steuerermäßigung gemäß § 33 EStG, kürzte die Gesamtsumme jedoch um eine tägliche Haushaltsersparnis von 6 DM, insgesamt um 2 160 DM (360 x 6 DM) pro Streitjahr.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, Aufwendungen für die Ernährung fielen bei allen Steuerpflichtigen an und seien daher nicht außergewöhnlich. Auf die Anrechnung einer Haushaltsersparnis könne allenfalls dann verzichtet werden, wenn mit einem Krankenhaus- oder Pflegeheimaufenthalt schwer nachweisbare usätzliche Kosten, wie beispielsweise für Besuchsfahrten, verbunden seien. Seien solche Aufwendungen aber - wie im Streitfall - zusätzlich zu den Kosten der Heimunterbringung als außergewöhnliche Belastung i. S. des § 33 EStG berücksichtigt worden, sei die Ersparnis der Aufwendungen im eigenen Haushalt bei der Berechnung der steuerlichen Entlastung zu berücksichtigen.Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (zuletzt vgl. Urteile vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418, und vom 2. März 1984 VI R 158/80, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484 unter 1. a, jeweils mit weiteren Nachweisen) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur der Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag des § 32a EStG abgegolten sind, erfüllen nicht den Tatbestand des § 33 EStG.

1. In Anwendung dieser Grundsätze sieht die Rechtsprechung krankheitsbedingte Aufwendungen stets als außergewöhnlich an (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 1987 III R 296/84, BFHE 151, 443, BStBl II 1988, 137, m.w.N.). Zu den gemäß § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen rechnen dabei nicht nur die Kosten für medizinische Leistungen, sondern auch Pflegekosten (vgl. BFH-Urteil vom 22. August 1980 VI R 196/77, BFHE 131, 378, BStBl II 1981, 25). Entsprechend kann, im Unterschied zu den Kosten einer altersbedingten Unterbringung in einem Altersheim, der Tatbestand des § 33 EStG erfüllt sein, wenn eine Heimunterbringung ausschließlich durch eine Krankheit veranlaßt ist und die tatsächlich angefallenen Pflegekosten von den zu den Aufwendungen der üblichen Lebensführung zählenden reinen Unterbringungskosten abgrenzbar sind (BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418). Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Kranke oder Pflegebedürftige die außergewöhnlichen Aufwendungen selbst trägt oder ob diese ein unterhaltsverpflichteter Dritter, beispielsweise der Ehemann, übernimmt (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1973 VI R 206/70, BFHE 110, 547, BStBl II 1974, 86).

Krankheits- und Pflegekosten kommen jedoch als außergewöhnliche Belastung nur in Betracht, soweit dem Steuerpflichtigen zusätzliche Aufwendungen erwachsen. Entsprechend hat der BFH bereits im Urteil vom 26. Juli 1957 VI 155/55 U (BFHE 65, 298, BStBl III 1957, 347), das durch die Entscheidungen vom 22. August 1980 VI R 138/77 (BFHE 131, 381, BStBl II 1981, 23) und in BFHE 131, 378, BStBl II 1981, 25 ausdrücklich bestätigt wurde, ausgeführt, daß lediglich gegenüber der normalen Lebensführung entstehende Mehrkosten im Rahmen des § 33 EStG berücksichtigungsfähig sind. Gleichzeitig ersparte Aufwendungen mindern die außergewöhnliche Belastung. Entsprechend sind Unterbringungskosten im Grundsatz um eine Haushaltsersparnis (ersparte Verpflegungs- und Unterbringungskosten) zu kürzen.

Die Finanzverwaltung verzichtet allerdings im Falle eines Krankenhausaufenthalts regelmäßig auf die Kürzung (vgl. zuletzt Abschn. 186 Abs. 1 Nr. 2b Satz 7 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1987; vgl. auch Einkommensteuer-Änderungsrichtlinien - EStÄR - 1990, BStBl Sondernummer 1/1990, 116). Der BFH hat dies gebilligt und auch die vorübergehende krankheitsbedingte Unterbringung in einem Pflegeheim entsprechend behandelt (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juni 1979 VI R 43/76, BFHE 128, 230, BStBl II 1979, 646).

Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung mit der Maßgabe, daß Aufwendungen für eine krankheitsbedingte Unterbringung in einem Pflegeheim nicht um eine Haushaltsersparnis zu kürzen sind, solange der Pflegebedürftige seinen normalen Haushalt beibehält. Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist die Tatsache, daß Steuerpflichtige in einem solchen Fall trotz der Unterbringung in einem Pflegeheim mit den Fixkosten des Hausstandes wie Miete oder Zinsaufwendungen, Grundgebühr für Strom, Wasser etc. sowie Reinigungskosten belastet bleiben. In Übereinstimmung mit der in weiten Teilen des Schrifttums vertretenen Auffassung gibt es nach Ansicht des Senats keine allgemeingültige zeitliche Begrenzung für den Ausschluß der Vorteilsanrechnung. Vielmehr wird insbesondere auch wegen der psychischen Belastung, die mit einer Auflösung der angestammten Wohnung und der endgültigen Übersiedlung in ein Pflegeheim verbunden ist, von einem Abzug der typischen Kosten der Lebensführung von den Pflegeheimkosten im allgemeinen solange abzusehen sein, als die Wohnung noch beibehalten wird (vgl. Arndt in Kirchhof / Söhn, Einkommensteuergesetz § 33, C 63, Stichwort: Altersheim; Fitsch in Lademann /Söffing / Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 78, Stichwort: Altersheim; Schmidt / Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 33 Anm. 8, Stichwort: Altersheim; anderer Ansicht: Kanzler in Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 33 EStG Anm. 44). Hieran ändert nichts, daß die frühere Wohnung eines Pflegebedürftigen von dessen Ehegatten weiter bewohnt wird. Auch in einem solchen Fall entstehen durch die dann zu große Wohnung bedingte Fixkosten, die den Abzug einer Haushaltsersparnis von den als außergewöhnliche Belastung anzuerkennenden Kosten einer Pflegeheimunterbringung als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen.

Der Senat verkennt bei seiner Entscheidung nicht, daß die in den Pflegeheimkosten enthaltenen Aufwendungen für Nahrung, Getränke und üblicher Unterkunft typische, steuerlich grundsätzlich nicht zu berücksichtigende Kosten der Lebensführung sind. Gleichwohl scheint es im Falle einer krankheitsbedingten Unterbringung in einem Pflegeheim angemessen, eine Haushaltsersparnis nicht in Ansatz zu bringen, solange noch die Fixkosten der früheren Wohnung deshalb in unveränderter Höhe getragen werden müssen, weil eine Rückkehr des Pflegebedürftigen in die Wohnung nicht ausgeschlossen werden kann.

Im Streitfall hat das FG für den BFH bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) festgestellt, daß die frühere Wohnung in den Streitjahren beibehalten worden war. Entsprechend sind die angefallenen Pflegeheimkosten nicht um eine Haushaltsersparnis zu kürzen.

2. Zweifelhaft ist indes, ob die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für Besuchs- und Spazierfahrten als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind.

Rügt ein Revisionskläger die Verletzung materiellen Rechts, hat das Revisionsgericht das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung revisiblen Rechts zu überprüfen, ohne an die vorgetragenen Revisionsgründe gebunden zu sein (§ 118 Abs. 3 FGO). Im Rahmen der von den Prozeßbeteiligten gestellten Anträge muß das Revisionsgericht dabei ggf. saldieren (ständige Rechtsprechung, vgl. insbesondere Beschluß des Großen Senats vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344).

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für Besuchsfahrten auch zu nahen Angehörigen regelmäßig nicht als außergewöhnlich, sondern typisierend als durch allgemeine Freibeträge und etwaige sonstige Vergünstigungen abgegolten angesehen (vgl. zuletzt das Urteil vom 6. April 1990 III R 63/85, BFHE 161, 69, BStBl II 1990, 894 - Besuch des Ehepartners im Gefängnis, sowie Urteile vom 8. Dezember 1988 IX R 157/83, BFHE 155, 359, BStBl II 1989, 282 unter 3. a; vom 2. März 1984 VI R 158/80, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dieser Auffassung hat das Schrifttum ganz überwiegend zugestimmt (vgl. Kanzler in Herrmann / Heuer / Raupach, a.a.O., § 33 EStG Anm. 300 - Besuchsfahrten; Arndt in Kirchhof / Söhn, a.a.O., § 33, C 63 - Besuch; Blümich / Oepen, a.a.O., § 33 Anm. 150 - Besuchsreisen; Fitsch in Lademann / Söffing / Brockhoff, a.a.O., § 33 Anm. 78 - Besuch; Schmidt / Drenseck, a.a.O., § 33 Anm. 8 - Besuchsreisen). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz nimmt die Rechtsprechung lediglich dann an, wenn es sich bei den Aufwendungen für Besuchsfahrten um unmittelbare Krankheitskosten handelt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484). In diesem Sinne sind Aufwendungen, die ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit oder eines Leidens getätigt werden, oder die den Zweck verfolgen, die Krankheit oder ein Leiden - in der Person des Kranken - erträglich zu machen, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596).

Es erscheint zweifelhaft, ob die dem Kläger durch Besuchsfahrten zu seiner Ehefrau sowie durch Spazierfahrten mit dieser entstandenen Aufwendungen als Krankheitskosten in oben beschriebenem Sinne angesehen werden können. Der Senat vermag in dieser Frage allerdings nicht abschließend zu erkennen. Das Urteil der Vorinstanz enthält keine Feststellungen über die Art der Krankheit der Ehefrau sowie zu der Frage, ob es sich bei den Besuchs- und Spazierfahrten um therapeutische Maßnahmen i. S. einer gezielten, medizinisch indizierten Heilbehandlung gehandelt hat (zum Begriff der Krankheitskosten vgl. BFH-Urteile vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, und in BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596).

3. Das Urteil des FG ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Dieses wird die fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417295

BFH/NV 1991, 231

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