Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine unbegrenzte Amtsermittlungspflicht des FG; erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Steuererklärungsentwürfe sind kein Vertagungsgrund

 

Leitsatz (NV)

1. Die Amtsermittlungspflicht des FG (§ 76 Abs. 1 FGO) wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt (Anschluß an Urteil des BFH vom 3. November 1976 II R 43/67 BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159). Das Gericht ist nicht stets verpflichtet, unter Inkaufnahme eines unverhältnismäßig großen Aufwandes Umstände zu ermitteln, die im Wissensbereich der Beteiligten liegen und die diese unter Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht nicht preisgeben.

2. Begründen die Kläger ihre Klage nicht substantiiert und legen sie erst in der mündlichen Verhandlung Entwürfe der Steuererklärungen vor, so ist das Gericht nicht zur Vertagung zum Zwecke der weiteren Sachverhaltsermittlung verpflichtet.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 96

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) gaben ihre Einkommensteuererklärungen 1976 bis 1979 nicht ab und wurden deshalb vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) auf der Grundlage einer Schätzung zur Einkommensteuer herangezogen. Die Einsprüche, die nicht mit einer Begründung versehen worden waren, blieben erfolglos. Auch die Klagen wurden nicht begründet. Erst in der mündlichen Verhandlung legten die Kläger Entwürfe der Steuererklärungen vor. Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen ab. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Kläger eine vom FG gemäß Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) gesetzte Frist zur Abgabe der Klagebegründungen nicht eingehalten hatten. Die Angaben der Kläger aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Steuererklärungsentwürfe könnten die Schätzungen des FA nicht in Frage stellen.

Mit der Revision wird die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt. Die Kläger tragen vor, sie hätten keine Gelegenheit gehabt, sich zur Frage der Versäumung der Ausschlußfrist zu äußern. Auch sei nicht nachvollziehbar, inwiefern nur Steuererklärungen geeignet sein könnten, die Schätzungen in Frage zu stellen.

Die Einkommensteuerbescheide 1978 und 1979 wurden während des Revisionsverfahrens geändert. Die Kläger erklärten auf Anfrage der Geschäftsstelle des Senats, sie seien ,,damit einverstanden, daß die geänderten Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens gemacht" würden, weil ,,andernfalls die Revision für die Streitjahre 1978 und 1979 unzulässig wäre". Sollte diese Auffassung unzutreffend sein, werde um einen gerichtlichen Hinweis gebeten. Im übrigen könne vor Einsichtnahme in die Akten nicht geprüft werden, ob nach den geänderten Bescheiden die Streitpunkte im Revisionsverfahren unverändert geblieben oder ob neue Streitpunkte hinzugekommen seien. Es werde um weitere Frist zur Stellungnahme gebeten.

 

Entscheidungsgründe

Das Verfahren betreffend die Einkommensteuer 1978 und 1979 wird gemäß § 73 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgetrennt und unter dem Aktenzeichen VIII R 116/86 geführt. Soweit das angefochtene Urteil die Einkommensteuer der Jahre 1976 und 1977 betrifft, ist die Revision unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Dabei kann auf sich beruhen, ob eine ordnungsgemäße Fristsetzung i. S. des Art. 3 § 3 VGFGEntlG vorliegt. Denn auch wenn eine solche Frist nicht gesetzt worden wäre, wäre das FG weder gehalten gewesen, die mündliche Verhandlung zu vertagen, noch hätte es von Amts wegen eine weitere Sachverhaltsaufklärung vornehmen müssen. Zu Unrecht rügen die Kläger die Verletzung der § 76 Abs. 1 Satz 2, § 96 FGO.

Gemäß § 76 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Diese Formulierung umschreibt ein vom Gesetz erwartetes Zusammenwirken von Gericht und Beteiligten. Weder darf das Gericht in Untätigkeit verharren und es den Beteiligten allein überlassen, das von ihm für entscheidungserheblich gehaltene Tatsachenmaterial beizubringen. Noch dürfen die Beteiligten sich in eine Zuschauerrolle begeben und darauf warten, daß das Gericht von sich aus durch vielfältige Ermittlungsmaßnahmen den Sachverhalt aufklären werde. Das meist vorhandene größere Wissen der Beteiligten um die rechtserheblichen Umstände zeigt auf, daß ohne deren intensive Mitwirkung eine zutreffende Entscheidung des Gerichts fast unmöglich ist.

Daraus folgt, daß zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlung in einem zwingenden Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten stehen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 76 AO 1977 Tz. 7). Je intensiver sich die Mitwirkung der Beteiligten gestaltet, um so stärker ist das Gericht gehalten, deren Vorbringen zu analysieren, auf etwaige Ungereimtheiten hinzuweisen und mit eigenen Mitteln noch unaufgeklärte Geschehensabläufe zu erforschen. Je weniger die Beteiligten andererseits ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen, um so weniger Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung hat in der Regel auch das Gericht und um so weniger ist dieses dementsprechend gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Dabei ergibt sich aus dem Grundsatz der Prozeßökonomie ergänzend, daß das Gericht zwar berechtigt, aber keineswegs stets verpflichtet ist, unter Inkaufnahme eines unverhältnismäßig großen Aufwands Umstände zu ermitteln, die im Wissensbereich der Beteiligten liegen und die diese unter Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht nicht preisgeben. Der Senat folgt mit diesen Überlegungen den in den Urteilen des Bundesfinanzhofs vom 3. November 1976 II R 43/67 (BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159, 160) und vom 8. November 1984 IV R 112/82 (nicht veröffentlicht) entwickelten Gedanken, wonach die Amtsermittlungspflicht durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt wird. Siehe hierzu auch den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 1979 7 B 168/79 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1981, 288), wonach die gerichtliche Aufklärungspflicht dort ihre Grenze findet, wo die Beteiligten ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen.

Im vorliegenden Fall haben es die Kläger an der Erfüllung ihrer Mitwirkungspflicht in jeder Beziehung fehlen lassen.

Die Aufforderung des Berichterstatters des FG zur Klagebegründung blieb erfolglos. Der zunächst vom FG etwa ein Jahr nach Klageerhebung erlassene Vorbescheid, dem eindeutig zu entnehmen war, daß die Klage wegen fehlender Begründung keinen Erfolg haben konnte, veranlaßte die Kläger ebenfalls nicht, rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung die Klagebegründung nachzureichen. Die schließlich in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Entwürfe von Steuererklärungen stellten keine verbindlichen Erklärungen dar, so daß sie schon deshalb nicht geeignet waren, eine Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte zu belegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414735

BFH/NV 1987, 105

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Hartz, ABC-Führer Lohnsteuer (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge