Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel im engeren und weiteren Sinne

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zwangsläufigkeit der Anschaffung medizinischer Hilfsmittel, die sowohl von Kranken zur Linderung ihres Leidens als auch von Gesunden zur Steigerung des Lebenskomforts angeschafft werden (Hilfsmittel im weiteren Sinne), ist durch Vorlage eines vor dem Kauf erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Attestes nachzuweisen.

 

Orientierungssatz

1. Da der BFH im Streitfall erstmals zur Frage der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für die Anschaffung eines medizinischen Hilfsmittels im weiteren Sinne entschieden hat, erscheint es vertretbar, ausnahmsweise ein nachträglich erstelltes amtsärztliches Zeugnis genügen zu lassen. Ein solches Attest könnte möglicherweise aufgrund von Unterlagen und Stellungnahmen der Ärzte erstellt werden, die den Kläger in der Vergangenheit behandelt haben (vgl. BFH-Urteil vom 13.2.1987 III R 208/81).

2. Bei medizinischen Hilfsmitteln im weiteren Sinne ist ein die steuerliche Berücksichtigung ausschließender Gegenwert grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der angeschaffte Gegenstand nicht ausschließlich dem Erkrankten selbst zu dienen bestimmt, sondern auch für Dritte von Nutzen ist.

3. Bei der Anschaffung von Hilfsmitteln, die, wie Brillen, Hörapparate, Rollstühle etc. nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuellen Gebrechen eines Steuerpflichtigen erforderlich ist, kann typisierend davon ausgegangen werden, daß ihr Kauf medizinisch indiziert ist. Auf eine Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach kann bei solchen Hilfsmitteln im engeren Sinne daher verzichtet werden.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln (Entscheidung vom 16.11.1989; Aktenzeichen 9 K 2685/89)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) leidet an der "Bechterew'schen Krankheit", einer rheumatischen Erkrankung des Achsenskeletts. Er ist in seiner Erwerbsfähigkeit zu 100 v.H. gemindert.

Im Streitjahr 1987 erwarb er in einem Spezialbettenhaus ein mit motorgetriebener Oberkörperaufrichtung versehenes Bett mit der dazugehörenden Matratze. Eine besondere Anpassung des Bettes an die individuellen körperlichen Bedürfnisse des Klägers ist nicht erfolgt.

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrte der Kläger, neben weiteren zwischen den Beteiligten unstreitigen Aufwendungen auch die Kosten für die Anschaffung des Bettes und der Matratze (insgesamt 4 305 DM) als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Zur Begründung legte der Kläger eine --nach dem Kauf-- im Jahre 1989 erstellte privatärztliche Bescheinigung vor, nach der er das Bett ausschließlich wegen seiner Erkrankung benötigt. Er trägt vor, er könne sich ohne das Spezialbett nur mit erheblichen Schmerzen aufrichten oder sonst seine Position im Bett verändern. Auch hätte er ohne die Erkrankung nicht einen so hohen Betrag für die Anschaffung eines Bettes aufgewendet.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) versagte die steuerliche Berücksichtigung mit der Begründung, der Kläger habe für seine Aufwendungen einen marktgängigen Gegenwert erhalten. Nach der Gegenwertlehre des Bundesfinanzhofs (BFH) sei er durch die Kosten daher nicht belastet.

Die nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 431 veröffentlichten Gründen Erfolg.

Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 33 EStG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs.1 EStG). Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs.2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen derart auf die Entscheidung eines Steuerpflichtigen einwirken, daß er ihnen nicht auszuweichen vermag (ständige Rechtsprechung, siehe BFH-Urteil vom 27.Oktober 1989 III R 205/82, BFHE 158, 431, BStBl II 1990, 294, m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des BFH sind krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlaßten Aufwendungen regelmäßig aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit --in der Person des Kranken-- erträglich zu machen (vgl. Urteile vom 20.November 1987 III R 296/84, BFHE 151, 443, BStBl II 1988, 137, und vom 13.Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, jeweils m.w.N.). In diesem Sinne werden auch Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt (vgl. Urteile vom 17.Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 26.Juli 1957 VI 155/55 U, BFHE 65, 298, BStBl III 1957, 357, und vom 8.April 1954 IV 345/53 U, BStBl III 1954, 174). Der nach § 33 Abs.2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach bedarf es dann nicht (vgl. Urteil vom 20.März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596).

Keine außergewöhnliche Belastung wird allerdings durch Aufwendungen für solche Maßnahmen begründet, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung im hier maßgeblichen Sinne fallen. Nur vorbeugende, der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen oder die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten erwachsen nach ständiger Rechtsprechung nicht zwangsläufig (vgl. zuletzt das Urteil vom 6.April 1990 III R 60/88, BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958; sowie die Urteile vom 2.März 1984 VI R 158/80, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484, und in BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596). Für die mitunter schwierige Trennung von Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits fordert der BFH in besonders schwer zu beurteilenden Einzelfällen die Vorlage eines zeitlich vor der Aufwendung erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Attests, dem sich zweifelsfrei entnehmen läßt, daß die den Aufwendungen zugrunde liegende Maßnahme medizinisch indiziert ist (vgl. Urteile vom 11.Dezember 1987 III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275; vom 14.Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, und in BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist der erkennende Senat der Ansicht, daß auch die Notwendigkeit der Anschaffung solcher Hilfsmittel, die nicht ausschließlich von Kranken angeschafft werden, durch die Vorlage eines vor dem Kauf erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Attests nachgewiesen werden muß. Diese Beurteilung beruht entscheidend auf der Überlegung, daß es --ähnlich wie bei Aufwendungen für einen Kuraufenthalt-- für Außenstehende nicht möglich ist, ohne sachkundige und vertrauenswürdige Unterstützung anhand objektiver Kriterien über die Notwendigkeit und damit die Zwangsläufigkeit einer solchen Anschaffung zu entscheiden. Nur bei der Anschaffung von Hilfsmitteln, die, wie Brillen, Hörapparate, Rollstühle etc. nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuellen Gebrechen eines Steuerpflichtigen erforderlich ist, kann typisierend davon ausgegangen werden, daß ihr Kauf medizinisch indiziert ist. Auf eine Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach kann bei solchen Hilfsmitteln im engeren Sinne daher verzichtet werden. Bei Hilfsmitteln im weiteren Sinne aber, die, wie beispielsweise Gesundheitsschuhe und -sandalen, orthopädische Stühle etc. teilweise auch von gesunden Steuerpflichtigen aus Gründen der Vorsorge oder zur Steigerung des Lebensstandards gekauft werden, kann auf einen Nachweis der Zwangsläufigkeit der Anschaffung durch die Vorlage eines qualifizierten Attestes nicht verzichtet werden.

Im Gegensatz zur Ansicht des FA steht der Gesichtspunkt eines evtl. Gegenwertes der steuerlichen Berücksichtigung von Aufwendungen für die Anschaffung eines medizinischen Hilfsmittels als außergewöhnliche Belastung nicht in jedem Fall entgegen. Bei medizinischen Hilfsmitteln im weiteren Sinne ist ein die steuerliche Berücksichtigung ausschließender Gegenwert grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der angeschaffte Gegenstand nicht ausschließlich dem Erkrankten selbst zu dienen bestimmt, sondern auch für Dritte von Nutzen ist. Entsprechend hat der BFH bei Gegenständen, die, wie beispielsweise elektrische Nachtspeicheröfen (vgl. Urteil vom 4.März 1983 VI R 189/79, BFHE 138, 73, BStBl II 1983, 378) oder Geschirrspülmaschinen (vgl. Urteil vom 21.August 1974 VI R 237/71, BFHE 113, 301, BStBl II 1974, 745), auch von nicht erkrankten Angehörigen benutzt werden können und für diese vorteilhaft sind, die Frage des Gegenwertes untersucht. Dient ein angeschafftes medizinisches Hilfsmittel hingegen aufgrund seiner Art ausschließlich dem Erkrankten selbst und ist es nur für diesen bestimmt und nutzbar, tritt die Marktfähigkeit, die in einem bestimmten Verkehrswert zum Ausdruck kommt, zurück. Dies ergibt sich auch aus der Überlegung, daß ein medizinisches Hilfsmittel, das über einen längeren Zeitraum ausschließlich von einem Erkrankten genutzt wurde und während dieser Zeit für Dritte keinen Vorteil brachte, nach der allgemeinen Lebenserfahrung in vielen Fällen einen Marktwert kaum mehr besitzt.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf die mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen, den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 FGO) spricht vieles dafür, daß den Aufwendungen des Klägers für das von ihm erworbene Bett mit motorgetriebener Oberkörperaufrichtung ein die steuerliche Berücksichtigung ausschließender Gegenwert nicht zukommt. Denn das Bett ist ausschließlich für den Kläger bestimmt und wird nur von diesem genutzt.

Allerdings werden solche Betten nach den Feststellungen des FG nicht ausschließlich von Kranken erworben; vielmehr kaufen auch gesunde Steuerpflichtige aus Gründen der Bequemlichkeit und des Lebenskomforts solche Gegenstände. Dafür, daß es sich bei dem Bett nicht um ein ausschließlich von Kranken verwendetes Hilfsmittel handelt, spricht auch die Tatsache, daß eine individuelle Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse des Klägers nicht erforderlich war und im Streitfall auch nicht erfolgt ist.

Für den Nachweis der krankheitsbedingten Notwendigkeit einer solchen Anschaffung ist nach den obigen Ausführungen grundsätzlich erforderlich, daß der Steuerpflichtige ein vor dem Kauf erstelltes amts- oder vertrauensärztliches Attest vorlegt. Eine solche Bescheinigung, aus der sich die Notwendigkeit der Anschaffung des Bettes für den Kläger ergibt, hat dieser nicht erbracht. Das nach dem Kauf erstellte, vom Kläger vorgelegte privatärztliche Attest genügt den Anforderungen im Regelfall nicht (vgl. BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275). Da der BFH vorstehend jedoch erstmals zur Frage der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für die Anschaffung eines medizinischen Hilfsmittels im weiteren Sinne entschieden hat, erscheint es im Streitfall vertretbar, ausnahmsweise ein nachträglich erstelltes amtsärztliches Zeugnis genügen zu lassen. Ein solches Attest könnte möglicherweise aufgrund von Unterlagen und Stellungnahmen der Ärzte erstellt werden, die den Kläger in der Vergangenheit behandelt haben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427 unter 4b).

Das FG ist von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und wird gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das FG wird nunmehr die fehlenden Feststellungen zur Zwangsläufigkeit der Anschaffung des Bettes nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63955

BFH/NV 1991, 74

BStBl II 1991, 920

BFHE 165, 272

BFHE 1992, 272

BB 1991, 2214 (L)

DStR 1991, 1558 (KT)

DStZ 1991, 763 (KT)

HFR 1992, 57 (LT)

StE 1991, 390 (K)

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