Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung des § 21 UmwStG im Fall einer Kapitalerhöhung

 

Leitsatz (amtlich)

Entgegen Tz.66 des BMF-Schreibens vom 16.Juni 1978 (BStBl I 1978, 235) tritt keine Gewinnrealisierung ein, wenn stille Reserven von Gesellschaftsanteilen, die durch Sacheinlage gemäß § 20 Abs.1 UmwStG erworben worden sind, bei einer Kapitalerhöhung unentgeltlich auf junge, nicht durch Sacheinlage erworbene Anteile eines Dritten übergehen.

 

Orientierungssatz

1. Unter einer Veräußerung i.S. des § 21 Abs. 1 UmwStG ist die entgeltliche Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft auf einen anderen Rechtsträger zu verstehen (vgl. BFH-Urteil vom 27.7.1988 I R 147/83; Literatur).

2. Parallelentscheidung: BFH, 8.4.1992, I R 29/91, NV.

 

Normenkette

UmwStG 1977 §§ 20, 21 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), M.M., ist Rechtsnachfolgerin ihres 1984 verstorbenen Ehemanns W.M. Dieser war Gesellschafter der W.M. GmbH, die 1977 mit einem Stammkapital von 20 000 DM gegen Bareinlage gegründet wurde. Am Stammkapital der GmbH waren beteiligt:

W.M. mit 7 800 DM (39 v.H.)

B mit 10 200 DM (51 v.H.)

M mit 2 000 DM (10 v.H.).

Durch Gesellschafterbeschluß vom 29.Juni 1979 wurde das Stammkapital der GmbH von 20 000 DM auf 40 000 DM erhöht. Die Einlage wurde durch Einbringung der Firma W.M. KG als Sacheinlage zu Buchwerten geleistet. Die Gesellschafter W.M. (Anteil 39 v.H.), B (Anteil 51 v.H.) und M (Anteil 10 v.H.) verzichteten auf die Aufdeckung der im Betriebsvermögen der KG vorhandenen stillen Reserven. Am Stammkapital der GmbH waren danach beteiligt:

W.M. mit 15 600 DM (39 v.H.)

B mit 20 400 DM (51 v.H.)

M mit 4 000 DM (10 v.H.).

Durch Gesellschafterbeschluß vom 30.November 1981 wurde das Kapital der GmbH erneut, und zwar um 160 000 DM auf 200 000 DM gegen Einzahlung des Nennwerts (von 160 000 DM) erhöht. An dieser Kapitalerhöhung nahm W.M. nicht teil. Die auf ihn rechnerisch entfallenden neuen Anteile übernahm B, der Sohn der Klägerin. Daraufhin waren am Stammkapital der GmbH beteiligt:

W.M. mit 15 600 DM (7,8 v.H.)

B mit 164 400 DM (82,2 v.H.)

M mit 20 000 DM (10,0 v.H.).

Im Anschluß an eine bei der GmbH durchgeführte Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) u.a. die Auffassung, die Kapitalerhöhung gemäß dem Gesellschafterbeschluß vom 30.November 1981 habe teilweise zu einer Gewinnrealisierung nach § 21 Abs.1 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform vom 6.September 1976 (UmwStG) geführt, weil stille Reserven auf neue Anteile übergegangen seien. Insoweit sei eine Erfassung der stillen Reserven bei den einbringungsgeborenen Anteilen nicht mehr gewährleistet und daher eine Versteuerung durchzuführen (Hinweis auf Tz.66 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 16.Juni 1978, BStBl I 1978, 235, 244). Für das Streitjahr (1981) setzte das FA in einem geänderten Einkommensteuerbescheid einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 112 916 DM an.

Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 21 UmwStG.

Es beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Dem Verfahren ist der BMF gemäß § 122 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet; sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 FGO).

Zutreffend hat das FG entschieden, daß keine Gewinnrealisierung eintritt, wenn stille Reserven von Gesellschaftsanteilen, die durch Sacheinlage gemäß § 20 Abs.1 UmwStG erworben worden sind (sog. einbringungsgeborene Anteile), bei einer Kapitalerhöhung unentgeltlich auf junge, nicht durch Sacheinlage erworbene Anteile übergehen. Die Tz.66 des BMF-Schreibens vom 16.Juni 1978 (BStBl I 1978, 235), ergänzt durch BMF-Schreiben vom 8.März 1984 (BStBl I 1984, 223), ist insoweit ohne Rechtsgrundlage (Fasold, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 1970/71, S.183, 224 ff.; Glade, Betriebs-Berater --BB-- 1980, 145; Glade/ Steinfeld, Umwandlungs-Steuergesetz 1977, Kommentar, 3.Aufl., Rz.1230 ff.; Korn, Harzburger Protokoll 1978, S.225, 280; Maas, BB 1980, 1791; Uelner in Widmann/Mayer/Gassner, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1981/82, S.399, 445; Widmann/ Mayer, Umwandlungsrecht, 2.Aufl., Rz.7362.18; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 7.Aufl., S.665 ff.).

1. Bei dieser Sachlage ist § 21 Abs.1 UmwStG mangels eines Veräußerungsvorganges im Sinne dieser Vorschrift nicht anwendbar. Ebensowenig sind die Voraussetzungen eines Ersatztatbestandes des § 21 Abs.2 UmwStG erfüllt, wonach die Rechtsfolgen des Abs.1 der Vorschrift auch ohne Veräußerung eintreten können.

§ 21 Abs.1 UmwStG, auf den sich das BMF-Schreiben vom 16.Juni 1978 bezieht, führt nur dann zu einem steuerbaren Gewinn, wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden. Unter einer Veräußerung in diesem Sinne ist die entgeltliche Übertragung solcher Gesellschaftsanteile auf einen anderen Rechtsträger zu verstehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27.Juli 1988 I R 147/83, BFHE 155, 52, BStBl II 1989, 271; Widmann/Mayer, a.a.O., Rz.7377; Glade/Steinfeld, a.a.O., Rz.1175 und 1207). Dies folgt aus der Erwähnung des Veräußerungspreises in § 21 Abs.1 Satz 1 UmwStG und der dort ferner getroffenen Regelung, wonach bei unentgeltlichem Erwerb der Anteile der Rechtsnachfolger in den Status des Rechtsvorgängers eintritt. An einer entgeltlichen Übertragung aber fehlt es im Streitfall. Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs.2 FGO gebunden ist, war B nicht verpflichtet, dem W.M. ein Entgelt zu zahlen, soweit anläßlich der Kapitalerhöhung vom November 1981 stille Reserven von dessen Gesellschaftsanteilen auf die jungen Anteile des B übergingen. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, daß W.M. in irgendeiner Weise von B einen Gegenwert erhalten hätte. Deshalb kann unentschieden bleiben, ob bei der streitigen Kapitalerhöhung überhaupt Anteile an einer Kapitalgesellschaft von W.M. an B übertragen wurden.

2. Der von der Finanzverwaltung angenommenen analogen Anwendung des § 21 Abs.1 UmwStG bedarf es nicht, wenn und soweit stille Reserven anläßlich einer Kapitalerhöhung unentgeltlich von einbringungsgeborenen auf junge Gesellschaftsanteile eines Dritten übergehen, da diese Reserven weiterhin steuerverhaftet bleiben (ebenso Uelner, a.a.O.): Bei künftiger Veräußerung solcher jungen Anteile ist § 21 Abs.1 UmwStG unmittelbar anzuwenden, da sie insoweit vom Veräußerer unentgeltlich und vom Rechtsvorgänger durch eine Sacheinlage (§ 20 Abs.1 UmwStG) erworben wurden. Für die geforderte Analogie ist somit mangels Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes kein Raum (vgl. BFH-Beschluß vom 21.November 1983 GrS 2/82, BFHE 140, 50, 60, BStBl II 1984, 160, 166). Der Senat muß deshalb nicht näher darauf eingehen, ob § 16 EStG --wie BMF und FA meinen-- als allgemeiner "Entstrickungstatbestand" --§ 21 UmwStG ergänzend-- hilfsweise die Besteuerung stiller Reserven sichert.

a) Rechtsvorgänger des B i.S. des § 21 Abs.1 UmwStG ist W.M., soweit junge Anteile auf sein Bezugsrecht als Inhaber einbringungsgeborener Anteile zurückgehen. Insoweit hat B die Anteile von diesem erworben.

Insbesondere aufgrund seines bisherigen einbringungsgeborenen Geschäftsanteils stand W.M. ein (gesetzliches oder vertragliches) Recht zu, bei der Kapitalerhöhung vom November 1981 junge Anteile im Verhältnis seiner Beteiligung zu beziehen (BFH-Urteile vom 16.April 1991 VIII R 63/87, BFHE 164, 513, BStBl II 1991, 832; vom 5.März 1986 I R 218/81, nicht veröffentlicht --NV--, wiedergegeben bei Eppler, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1988, 65, und vom 20.Februar 1975 IV R 15/71, BFHE 115, 223, 230, BStBl II 1975, 505, 509; Priester, Der Betrieb --DB-- 1980, 1925, 1928; Scholz/Priester, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 7.Aufl. 1988, § 55 Rz.41 ff.; Lutter/ Hommelhoff, GmbH-Gesetz, Kommentar, 13.Aufl. 1991, § 55 Rz.7 f.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 15.Aufl. 1988, § 55 Anm.13). Es kann offenbleiben, ob das Bezugsrecht des W.M. im für die Kapitalerhöhung notwendigen Gesellschafterbeschluß (§ 55 Abs.1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG--) ausgeschlossen wurde (mit der Folge, daß gesellschaftsrechtlich kein Bezugsrecht entstand), oder dieser lediglich zugunsten des B verzichtete, neue Anteile zu übernehmen, oder ein entstandenes Bezugsrecht unentgeltlich auf B übertrug. Das FG mußte dazu keine Feststellungen treffen. Der wirtschaftliche Kern dieses Vorgehens liegt stets im unmittelbaren und willentlichen Wechsel von Substanz der alten auf die jungen Anteile, da die GmbH --jedenfalls bei der hier zu beurteilenden Bareinlage-- selbst bei Ausschluß des Bezugsrechts einen Mehrwert nicht einzelnen besonders genehmen Gesellschaftern oder Dritten zuwenden dürfte (vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, S.682, und Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 27.September 1956 II ZR 144/55, BGHZ 21, 354) und überdies W.M. im Streitfall den insoweit satzungsändernden Erhöhungsbeschluß, in dem der Ausschluß des Bezugsrechts zu erfolgen hätte (Scholz/Priester, a.a.O., § 55 Rz.59; Lutter/Hommelhoff, a.a.O., Rz.9), mit seiner Beteiligung gemäß § 53 Abs.2 Satz 1 GmbHG hätte verhindern können. W.M. verfügte deshalb (in der äußeren Form eines Gesellschafterbeschlusses) auch dann im wirtschaftlichen Sinn über sein Bezugsrecht durch Übertragung auf B, wenn er es lediglich zu dessen Gunsten zivilrechtlich nicht entstehen ließ (BFH-Urteil vom 5.März 1986 I R 218/81, NV; FG München, Urteil vom 25.Oktober 1988 XII 231/82 E nrk., Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1990, 60; vgl. auch Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl. 1991, § 17 Anm.12).

b) Dieses (rechtliche oder wirtschaftliche) Bezugsrecht befand sich im Status des § 21 UmwStG, da es sich von einem durch Sacheinlage gemäß § 20 Abs.1 UmwStG erworbenen Geschäftsanteil des W.M. abspaltete. Im Streitfall hatte dieser einen solchen Anteil im Nennwert von 7 800 DM aufgrund der (früheren) Kapitalerhöhung vom 29.Juni 1979 gegen Einlage seines Mitunternehmeranteils oder --was hier offen bleiben kann-- des Betriebs der W.M. KG (vgl. Widmann/Mayer, a.a.O., Rz.6785, 6826) erworben.

Kommt es bei einer GmbH zur Begründung eines Bezugsrechts mit einem Ausgabekurs, der unter dem Wert der Geschäftsanteile vor Kapitalerhöhung liegt, so verlieren die alten Anteile im Wege der Abspaltung an Substanz, die bei Ausübung des neu entstandenen Bezugsrechts in die jungen Anteile eingeht (BFH in BFHE 115, 223, 230, BStBl II 1975, 505, 509; so auch Döllerer, StbJb 1981/82, S.195, 209 zu § 17 EStG). Dem so übertragenen Substrat haftet die Steuerverstrickung nach § 21 UmwStG an. Andernfalls könnte sich der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck nicht verwirklichen, die Besteuerung der in den alten Anteilen enthaltenen stillen Reserven zu sichern, die wiederum ihrerseits die stillen Reserven des im Wege der Sacheinlage gemäß § 20 Abs.1 UmwStG eingebrachten Betriebsvermögens verkörpern (vgl. Begründung zu § 17 UmwStG 1969, abgedruckt bei Glade/Steinfeld, a.a.O., S.458 f., und BFH in BFHE 121, 63, BStBl II 1977, 283).

Die aufgrund des Bezugsrechts des W.M. übernommenen Anteile hat B sonach --auch wenn die jungen Anteile an sich von der Kapitalgesellschaft ausgegeben werden (vgl. § 55 Abs.2 GmbHG)-- als Rechtsnachfolger unentgeltlich i.S. des § 21 Abs.1 Satz 1 UmwStG erworben, soweit sie auf das Bezugsrecht zurückgehen und soweit für übergehende stille Reserven kein Entgelt entrichtet wurde (Widmann/Mayer, a.a.O., Rz.7362; vgl. auch BFH-Urteil vom 17.Juli 1980 IV R 15/76, BFHE 131, 329, BStBl II 1981, 11). Der dafür bei eventueller späterer Veräußerung notwendigen Aufteilung des Preises steht kein gesetzliches Verbot entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 26.Januar 1977 VIII R 109/75, BFHE 121, 63, BStBl II 1977, 283 unter C.I.2. der Gründe). Damit verbundene rechtstechnische Schwierigkeiten müssen zurücktreten, da ein Aufteilungsverbot entweder zu Lasten des Zweckes des § 21 UmwStG oder des Steuerpflichtigen ginge. Solche Schwierigkeiten treten z.B. in gleicher Weise bei der Anwendung des § 17 EStG oder auch des § 21 UmwStG auf, wenn teilentgeltlich erworbene Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden (vgl. Schmidt, a.a.O., § 17 Anm.18 a und Widmann/Mayer, a.a.O., Rz.7362).

c) Das BFH-Urteil in BFHE 121, 63, BStBl II 1977, 283, auf das sich der BMF für seine Rechtsauffassung berufen hat, nahm Gewinn- bzw. Verlustrealisierung an, wenn der Anteilseigner beschränkt steuerpflichtig wurde und erging für die Zeit vor Inkrafttreten des UmwStG 1969/1977. Die von dieser Entscheidung erkannte Rechtsfolge ist inzwischen --im Gegensatz zu der vom BMF im Streitfall begehrten-- in § 21 Abs.2 Nr.2 UmwStG (1977) ausdrücklich geregelt. Dies belegt einmal mehr, daß § 21 Abs.2 UmwStG als Teil eines geschlossenen Systems enumerativ sein soll und deshalb die Schaffung dort nicht aufgeführter, gänzlich neuer Realisationstatbestände im Wege der Analogie bzw. aufgrund allgemeiner Erwägungen ausschließt. Das (bisherige) Schweigen des Gesetzgebers zu der Verwaltungsregelung kann jedenfalls nicht als Billigung derselben verstanden werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64463

BFH/NV 1992, 53

BStBl II 1992, 761

BFHE 167, 424

BFHE 1992, 424

BB 1992, 1408

BB 1992, 1408-1410 (LT)

DB 1992, 1706-1707 (LT)

DStR 1992, 907 (K)

DStZ 1992, 541 (KT)

HFR 1992, 493 (LT)

StE 1992, 370 (K)

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