Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Ablösung eines Versorgungsvertrags

 

Leitsatz (NV)

Bei Ablösung einer Versorgungszusage gegen eine einmalige Abfindung kommt die Tarifermäßigung nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige die Ablösung selbst herbeigeführt hat.

 

Normenkette

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und wurden im Streitjahr zusammen veranlagt. Der Kläger war gemeinsam mit S zu gleichen Teilen an der J & S OHG beteiligt, die ihrerseits alle Geschäftsanteile an der J & S GmbH (GmbH) hielt. Der Kläger und S wurden zu Geschäftsführern der GmbH bestellt (Verträge vom 25. November 1981). Mit weiteren Verträgen vom 10. Februar 1982 sagte die GmbH dem Kläger und S eine betriebliche Alters- und Invaliditätsversorgung zu. Die Altersversorgung sollte mit der Vollendung des 65. Lebensjahres beginnen. Die GmbH bildete in ihren Bilanzen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelte Rückstellungen. Nr. V Nr. 3 der Vereinbarung lautet:"

Wird das Dienstverhältnis beendet, bevor dieser Pensionsvertrag 10 Jahre bestanden hat, oder sind die Ansprüche aus diesem Pensionsvertrag bei Beendigung des Dienstverhältnisses bereits unverfallbar geworden, so ist die Gesellschaft berechtigt, den Anspruch auf Versorgungsleistungen durch eine einmalige Abfindung in Höhe des Barwertes der dann bestehenden Anwartschaft abzulösen. Dieser Barwert ist nach den allgemein gültigen Regeln der Versicherungsmathematik zu ermitteln."

Im November 1990 veräußerte die OHG die Anteile an der GmbH. Der Kläger und S stimmten dem Angebot der GmbH zu, auf die erdienten Ansprüche aus den Versorgungszusagen gegen einen spätestens am 31. März 1991 fälligen Betrag von je ... DM zu verzichten. Zum 1. April 1991 wurde ein weiterer Geschäftsführer berufen, während das Anstellungsverhältnis des Klägers dem Grunde nach fortbestand. Vereinbarungsgemäß erhielt er am 31. März 1991 einen Betrag von ... DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) unterwarf die Abfindung als laufenden Arbeitslohn der regulären Besteuerung. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß die Abfindung nicht vom Arbeitgeber veranlaßt gewesen sei. Angesichts der Beteiligungsverhältnisse sei die GmbH trotz ihrer formalen Stellung als Arbeitgeberin des Klägers nicht in der Lage gewesen, im Hinblick auf den Verzicht Druck auszuüben.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen und formellen Rechts.

1. Die teleologische Beschränkung des ermäßigten Steuersatzes auf einen begrenzten Anwendungsbereich dürfe nicht so weit gehen, daß der Steuerpflichtige grundsätzlich "unter Druck" gestanden haben müsse. In dem Umfang, in dem andere Kriterien in ähnlicher Weise geeignet seien, der mißbräuchlichen oder willkürlichen Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entgegenzuwirken, reichten sie ebenfalls aus.

2. Die Rechtsprechung sei nicht berechtigt, bei der Anwendung der §§ 24, 34 EStG danach zu differenzieren, ob der Steuerpflichtige bei einer fremden oder bei der eigenen Kapitalgesellschaft angestellt sei. Bestehe das Anstellungsverhältnis "wie unter Fremden", sei auch die Entscheidung der Gesellschafter als Arbeitgeber wie eine solche "unter Fremden" hinzunehmen.

3. In diesen Fällen genüge das Vorliegen eines "Sachzwangs". Ein "Sachzwang" bestehe auch dann, wenn die Gesellschafter entschieden hätten, die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zu veräußern, und wenn sich dieselben Personen in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer im Zuge dieser Transaktion gehalten sähen, auf Arbeitnehmeransprüche gegen einen entsprechenden Ausgleich zu verzichten.

4. Das FG habe allein darauf abgestellt, ob der betroffene Arbeitnehmer unter dem Druck des Arbeitgebers gestanden habe. Hätte das FG erkannt, daß auch ein Sachzwang anderer Art ausreichen könne, hätte es sich aufgedrängt, die Umstände der Veräußerung der Gesellschaftsanteile aufzuklären (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Dann hätte sich ergeben, daß die Gesellschafter der GmbH sich zur Veräußerung der Beteiligungen entschlossen hätten und daß der Erwerber verlangt habe, die Bilanzen von den Rückstellungen zugunsten der Gesellschafter-Geschäftsführer frei zu machen.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids die Abfindung von ... DM mit dem hälftigen durchschnittlichen Steuersatz zu besteuern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG hat im Ergebnis zutreffend erkannt, daß die dem Kläger gezahlte Abfindung nicht als Entschädigung zu beurteilen ist.

Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Begrifflich setzt eine Entschädigung danach voraus, daß die Leistung als Ersatz an die Stelle eines ursprünglich vorhandenen und später entfallenden Anspruchs getreten ist; dies kann auch durch Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage in Gestalt einer Vertragsänderung geschehen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Februar 1991 XI R 8/87, BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703; vom 9. Juli 1992 XI R 5/91, BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27, und vom 25. August 1993 XI R 7/93, BFHE 172, 427, BStBl II 1994, 185).

Nach der neueren Rechtsprechung setzt eine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG weiter voraus, daß der Steuerpflichtige -- sofern er bei dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis selbst mitgewirkt hat -- bei Aufgabe seiner Rechte unter einem erheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden hat. Er darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. BFH-Urteile vom 24. Oktober 1990 X R 161/88, BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337; BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27, und vom 28. Juli 1993 XI R 4/93, BFH/NV 1994, 165). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, daß die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluß der Einnahmen nicht entziehen kann.

An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr beläßt. Die Entwicklung der Ursachenkette muß sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte und die für ihn außerhalb seiner Vorstellung lagen, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen.

Im Streitfall mußten der Kläger und S ihre Versorgungsansprüche aufgeben, um den Verkauf der Geschäftsanteile zu ermöglichen. Jedoch beruhte der Entschluß zum Verkauf der Anteile auf ihrer freien Entscheidung; sie waren insoweit keiner Zwangslage ausgesetzt, die die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes rechtfertigen könnte. Der Auffassung der Kläger, daß auch der von ihnen beschriebene Sachzwang (Verkauf der Anteile nur bei Aufgabe der Versorgungsansprüche) die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes rechtfertigt, kann nach den vorstehenden Ausführungen nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung der Kläger wird nicht danach differenziert, ob der Steuerpflichtige bei einer fremden oder bei der eigenen Kapitalgesellschaft angestellt ist; entscheidendes Kriterium ist vielmehr, ob der Steuerpflichtige einer Zwangslage ausgesetzt ist, in der er sich dem zusammengeballten Zufluß der Einnahmen nicht entziehen kann.

2. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung ist unbegründet. Das FA weist zu Recht darauf hin, daß bei Prüfung eines Verfahrensmangels von der sachlich-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 120, Anm. 39).

3. Das FG hat nicht geprüft, ob die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG in Betracht kommt (vgl. BFH-Urteil vom 30. Januar 1991 XI R 21/88, BFH/NV 1992, 646). Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO ist die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit diese Prüfung nachgeholt werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65463

BFH/NV 1995, 961

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