Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Sukzessivlieferungsvertrages - keine Entschädigung

 

Leitsatz (amtlich)

Führt die Weigerung eines Vorproduktelieferanten, einen noch über mehrere Jahre laufenden Vertrag weiterhin zu erfüllen, beim Hersteller zur Produktionseinstellung und macht dieser deshalb gegen den Vorproduktelieferanten mit Erfolg einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Sukzessivlieferungsvertrages geltend, liegt keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG vor.

 

Orientierungssatz

Ausführungen und BFH-Rechtsprechung zu den von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfaßten Einnahmen.

 

Normenkette

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine KG, die Baustoffe vertreibt. Zur Produktion von Gasbetonsteinen bezog sie von einem Vertragspartner Zuschlagstoffe (Elektrofilterasche aus Kohleverstromung). Die Nichterfüllung des bis zum 31.Dezember 1975 laufenden Vertrages über die Lieferung dieser Vorprodukte führte bei der Klägerin zur Aufgabe ihrer Gasbetonsteineproduktion und löste einen Zivilrechtsstreit aus. Dieser Streit wurde durch einen vor dem Oberlandesgericht (OLG) protokollierten Vergleich vom 26.Juli 1972 beendet. Nach dem Wortlaut dieses Vergleichs zahlt der beklagte Vertragspartner zur Abfindung der behaupteten Ansprüche der Klägerin wegen Nichterfüllung des Lieferungsvertrages vom Jahre 1965, der für die Zeit bis zum 31.Dezember 1975 fest abgeschlossen war, einen Betrag von 604 500 DM. Damit sollten alle gegenseitigen Ansprüche aus diesem Vertrag abgegolten sein.

In der Gewinnfeststellungserklärung für das Jahr 1972 beantragte die Klägerin, diesen ihr zugeflossenen Betrag als eine nach § 34 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigte Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 EStG zu behandeln. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) entsprach dem zunächst im Rahmen einer nach § 100 Abs.2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigen Gewinnfeststellung. Bei einer nachfolgenden Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß im Zusammenhang mit dem Zivilrechtsstreit in den Jahren 1970 und 1971 Rechtsanwaltskosten und Gerichtsgebühren von insgesamt 140 791,80 DM angefallen und als Betriebsausgaben behandelt worden waren. In dem nach § 164 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Gewinnfeststellungsbescheid vom 27.Juli 1977 stellte das FA nunmehr einen Gewinn von 705 838 DM fest, von dem ein Betrag von 390 868 DM als tarifbegünstigt nach §§ 24 Nr.1 Buchst.a, 34 Abs.1 EStG festgestellt wurde. Der Einspruch der Klägerin blieb (abgesehen von der Anwendung eines anderen Verteilungsschlüssels) ohne Erfolg.

Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die Kürzung des tarifbegünstigten Gewinns um die Prozeßkosten von insgesamt 140 791,80 DM. Das FA erließ während des Klageverfahrens gemäß § 172 Abs.1 Nr.2 AO 1977 den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid vom 3.September 1984. Ausgehend von dem unveränderten Gewinn 1972 in Höhe von 705 838 DM wurde der tarifbegünstigte Gewinn mit nunmehr 462 869 DM festgestellt. Auf Antrag der Klägerin wurde dieser Gewinnfeststellungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens (§ 68 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Finanzgericht (FG) hat der Klage auf Feststellung eines tarifbegünstigten Gewinnanteils des Jahres 1972 mit 603 660 DM im vollen Umfang stattgegeben.

Mit seiner Revision beantragt das FA, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es hält an seiner Rechtsauffassung, aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung müßten alle Betriebsausgaben, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Entschädigungsbetrag stünden, bei Berechnung des tarifbegünstigten Gewinns berücksichtigt werden, fest.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision; hilfsweise beantragt sie im Wege der Gegenrüge, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.2 Nr.1 FGO).

1. Das FG ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, daß der an die Klägerin gezahlte Betrag von 604 500 DM aufgrund des Vergleichs vom 26.Juli 1972 eine Entschädigung sei, welche der Klägerin als Ersatz für entgangene Einnahmen i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG zugeflossen sei. Infolge des Wegfalls der Vorproduktelieferungen (der Zuschlagstoffe) sei die Klägerin zur Einstellung ihrer Gasbetonproduktion gezwungen gewesen; insoweit sei ihr die Ertragsgrundlage entzogen worden, was durch die Zahlung des Entschädigungsbetrages habe ausgeglichen werden sollen (Bezugnahme auf Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9). Das FG bejaht zudem den Charakter der Entschädigungsleistung als solche des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG für den gesamten vom Vorlieferanten gezahlten Betrag.

2. Der erkennende Senat kann dieser Beurteilung nicht beitreten. Das FG hat zum ersten keine Feststellungen getroffen, die die Annahme rechtfertigen, der Gesamtbetrag sei auf entgangene Einnahmen gezahlt worden. Nach dem Vergleichstext haben die streitenden Parteien mit dem Vergleich alle von der Klägerin behaupteten Ansprüche abgelten wollen. Welche Ansprüche vor dem Zivilgericht geltend gemacht worden sind, ist dem Vergleichstext nicht zu entnehmen und auch vom FG nicht ermittelt worden. Ebenso ist unbekannt, wie die Klägerin ihre Ansprüche betragsmäßig beziffert hatte und welche davon in der Vergleichssumme ihren Niederschlag gefunden haben, denn die Parteien des Vergleichs haben eine Aufteilung der Vergleichssumme nicht vorgenommen. Allein aus der besonderen Vereinbarung, daß die beiderseits angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten gegeneinander aufgehoben werden, ist zu entnehmen, daß sich die Vergleichssumme auf diese der Klägerin entstandenen Aufwendungen nicht erstreckt.

Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts zur Zusammensetzung der Vergleichssumme ist jedoch nicht erforderlich, da es sich bei den in der Vergleichssumme enthaltenen Zahlungen wegen Nichterfüllung des Liefervertrages über die Zuschlagstoffe nicht um Entschädigungen handelt, die von § 24 Nr.1 Buchst.a EStG erfaßt werden.

3. Der erkennende Senat hat sowohl im Urteil in BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9 als auch in seinen nachfolgenden Entscheidungen (vgl. zuletzt Urteil vom 18.September 1986 IV R 228/83, BFHE 147, 477, BStBl II 1987, 25, m.w.N. der Rechtsprechung) stets hervorgehoben, daß § 24 EStG aufgrund seiner Funktion als einer klarstellenden Regelung solche Einnahmen nicht erfaßt, die im Rahmen des üblichen Geschäftsbetriebs anfallen. Das gilt auch für die infolge Vertragsstörung im Rahmen des Erfüllungsinteresses geleisteten Zahlungen des Vertragsstörers, und zwar einschließlich der Zahlungen für den entgangenen Gewinn i.S. des § 252 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese Beurteilung ist unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige das vorbezeichnete Erfüllungsinteresse im Rahmen des bestehenden und verletzten Vertrages durchsetzt oder zur Abgeltung seiner vertraglichen Ansprüche aus Vertragsverletzung einer ergänzenden vertraglichen Regelung in Gestalt eines Vergleichs zustimmt (vgl. BFHE 147, 477, BStBl II 1987, 25).

Eine von § 24 Nr.1 Buchst.a EStG erfaßte Entschädigung für entgangene Einnahmen setzt einen außergewöhnlichen Vorgang voraus, für den kennzeichnend ist, daß er sich nicht im Rahmen der für die jeweilige Einkunftsart typischen Geschäftsvorfälle hält, also für den jeweiligen Geschäftsbetrieb des Steuerpflichtigen untypisch ist. Ein außergewöhnlicher Vorgang im vorbezeichneten Sinne liegt vor, wenn der Steuerpflichtige von einem Außenstehenden an der Verwirklichung seines Gewinnstrebens durch Anwendung eines nicht unerheblichen tatsächlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Druckes dergestalt gehindert worden ist, daß dem Geschäftsbetrieb zumindest teilweise die Ertragsgrundlage entzogen worden ist. Eine solche Sachlage ist im Rahmen der Gewinneinkünfte vom BFH bejaht worden beim Hinausdrängen aus einem noch bestehenden Geschäftsraummietvertrages auf Veranlassung eines Kaufhauskonzerns (BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9) bzw. aus einem bestehenden Pachtvertrag durch den Grundstückserwerber (Urteil vom 28.April 1982 I R 151/78, BFHE 135, 526, BStBl II 1982, 566) sowie bei der unter Druck erfolgten Aufgabe einer Omnibuslinie zugunsten der Bundespost (Urteil vom 26.Mai 1965 I 84/63 U, BFHE 82, 645, BStBl III 1965,480).

4. Eine solche Sachlage ist im Streitfall nicht gegeben, so daß es sich bei den in der Vergleichssumme enthaltenen Beträgen, die für einen Einnahmeausfall gezahlt sein sollten, nicht um eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG handelt. Bei den vom Lieferanten der Klägerin geleisteten Zahlungen geht es vielmehr um die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen, wie sie im Bereich der Nichterfüllung von Lieferverträgen anfallen.

Der zwischen der Klägerin und ihrem Lieferanten abgeschlossene Vertrag über die Lieferung von Zuschlagstoffen für die Herstellung von Gasbetonsteinen war nach den getroffenen Feststellungen ein Sukzessivlieferungsvertrag in Gestalt eines Bezugsvertrages. Der Lieferant der Zuschlagstoffe war vertraglich verpflichtet, auf Abruf die gewünschte Leistungsmenge zu den vereinbarten Bedingungen zu liefern (vgl. Wiedemann in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 11.Aufl., vor § 323 Rdnr.74; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3.Aufl., § 19 I, 2c (Seite 532); Hefermehl in Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 7.Aufl., vor § 145 Rdnr.44; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 48.Aufl., Einf. vor § 305 Anm.6a; Emmerich in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, vor § 275 Rdnr.272). Der Lieferant hat sich aus nicht bekannten Gründen nicht mehr imstande gesehen, für die restliche Laufzeit des Vertrages (also für mehrere Jahre) seine Lieferverpflichtungen einzuhalten. Ganz gleich, ob man in seiner Erfüllungsverweigerung eine nach Vertragslage unberechtigte Kündigung sieht oder ob die Klägerin ihrerseits von der Möglichkeit der Vertragskündigung Gebrauch gemacht hat, jedenfalls hat der Lieferant für die Erfüllungsverweigerung einzustehen und der Klägerin den hieraus entstehenden Schaden zu ersetzen (vgl. Wiedemann, a.a.O., Rdnr.81; Battes in Erman, a.a.O., § 276 Rdnr.96 und § 326 Rdnr.52; Palandt/Heinrichs, a.a.O., Anm.6d und § 276 Anm.7 E c; Emmerich, a.a.O., Rdnr.277). Diese Schadensersatzpflicht des Lieferanten wegen Vertragsverletzung durch Erfüllungsverweigerung geht auf die Befriedigung des der Klägerin aus dem Vertrag zustehenden Erfüllungsinteresses. Es ist kein Vorgang, der i.S. der oben angeführten Rechtsprechung außerhalb des für Produktionsbetriebe Typischem liegt. Eine Vertragsverletzung, die zu einer vorzeitigen Beendigung einer Geschäftsbeziehung führt und dementsprechend Ansprüche wegen Vertragsstörung auslöst, liegt für Gewerbetreibende im Bereich des Üblichen (Urteil vom 13.September 1984 IV R 146/81, nicht veröffentlicht).

An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, daß die Erfüllungsverweigerung des Lieferanten bei der Klägerin die Einstellung ihrer Gasbetonsteinproduktion auslöste. Im allgemeinen liegt es so, daß eine Fabrik beim Ausfall eines unzuverlässigen bzw. nicht mehr lieferungswilligen Vorproduktelieferanten zu Deckungskäufen bei anderen Lieferanten übergeht. Daß bei der Gasbetonsteinproduktion der Klägerin der Ausfall des für einen der Einsatzstoffe zuständigen Lieferanten gleich den Entschluß zur Einstellung der gesamten Herstellung mit sich gebracht hat, belegt noch nicht, daß die Erfüllungsverweigerung dieses Lieferanten ein Vorgang gewesen ist, der außerhalb der üblichen Geschäftsvorfälle anzusiedeln wäre.

5. Im Hinblick auf die vorstehenden rechtlichen Erwägungen hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung Gegenrüge erhoben und in Verbindung mit dem Antrag auf Zurückverweisung der Sache an das FG vorgetragen, eine vom FG unterlassene Sachaufklärung hätte einen Sachverhalt zutage gefördert, demzufolge von dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG auszugehen sei. Die Darlegungen der Klägerin im einzelnen erfüllen die Anforderungen, die an die ordnungsmäßige Erhebung einer Sachaufklärungsrüge zu stellen sind (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 24.Februar 1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819). Es kann offenbleiben, ob die erhobene Sachaufklärungsrüge unzulässig wäre, weil diese Rüge schon in der Tatsacheninstanz im Rahmen eines schlüssigen Klagevorbringens hätte erhoben werden müssen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 118 FGO Rdnr. 51; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 120 Rdnr.42, beide mit Nachweisen der Rechtsprechung), denn die Rüge ist mangels Rechtserheblichkeit unbegründet.

Aus dem von der Klägerin auf Anforderung des Gerichts zur Begründung ihrer Sachaufklärungsrüge im einzelnen überreichten erstinstanzlichen zivilgerichtlichen klagabweisenden Urteil des Landgerichts im Rechtsstreit der Klägerin mit ihrem Vertragspartner ergibt sich, daß die Einstellung der Einsatzstofflieferungen die Folge einer Zechenstillegung und der hiermit verbundenen Schließung eines Kraftwerks war, und daß nicht auf die Klägerin, sondern auf ihren Vertragspartner von Seiten der öffentlichen Hand Druck auf Betriebseinstellung ausgeübt worden war. Der Vertragspartner konnte aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation den Sukzessivlieferungsvertrag nicht mehr erfüllen; dies unterscheidet den Streitfall wesentlich von den oben in Abschn.3 Abs.2 der Gründe angeführten Fällen. Hinzu kommt, daß die Klägerin ihre Gasbetonsteinproduktion gemäß ihrem Klagevorbringen vor dem Landgericht nicht eingestellt, sondern auf einen anderen Einsatzstoff umgestellt hat und ihre Schadensersatzforderung wegen der hierdurch bedingten Mehrkosten mit einem "Gewinnentgang" von 7 DM/cbm berechnet hat. Hieraus ergibt sich, daß der Klägerin aus eigener Sicht nur Ansprüche wegen Verletzung des Erfüllungsinteresses zustehen.

6. Das Urteil des FG, welches von einer anderen rechtlichen Beurteilung ausgegangen ist, war daher aufzuheben. Da die Vergleichssumme keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG ist, stellt sich die Frage, ob und in welcher Höhe die Vergleichssumme tarifbegünstigte Einkünfte i.S. des § 34 Abs.2 Nr.2 EStG enthält, nicht. Die Klage kann aus den dargestellten Gründen --über den bereits vom FA als tarifbegünstigt anerkannten Betrag von 462 869 DM hinaus-- keinen Erfolg haben. Sie war daher abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62631

BFH/NV 1990, 2

BStBl II 1990, 155

BFHE 158, 404

BFHE 1990, 404

BB 1990, 615-616 (LT)

DB 1990, 307-308 (ST)

DStR 1990, 2 (K)

HFR 1990, 181 (LT)

StE 1990, 18 (K)

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