Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Kind, dessen Ausbildung sich im Rahmen einer den vollen Lebensunterhalt sicherstellenden Erwerbstätigkeit vollzieht, befindet sich nicht in Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 EStG.

 

Orientierungssatz

Wegen des sog. dualen Systems des Kinderlastenausgleichs durch Gewährung von Kindergeld und steuerlichen Entlastungen in Form des Kinderfreibetrags ist der Begriff der Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 EStG und in § 2 Abs. 2 BKGG einheitlich auszulegen.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1; BKGG § 2 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes (Entscheidung vom 27.08.1991; Aktenzeichen 1 K 140/91)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er ist Vater eines 1968 geborenen Sohnes M, der den Beruf des Bergmechanikers erlernt hat und ca. zwei Jahre in diesem Beruf bei der Firma S-AG tätig war. Seit Oktober 1990 besucht M unter Fortzahlung seiner tariflichen Bezüge die Berufsaufbauschule der S-AG, eine in privater Trägerschaft befindliche, aber staatlich anerkannte Fachschule, die mit der Fachhochschulreife abschließt. Der Unterricht umfaßt 24 Wochenstunden und findet an fünf Wochentagen vormittags statt. Neben dem Unterricht ist an drei Wochentagen eine je achtstündige Schicht zu fahren. Während der Sommerferien, die in der Regel den Ferien der öffentlichen Schulen entsprechen, ist voll zu arbeiten.

Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1991 beantragte der Kläger mit der Begründung, M befinde sich noch in Berufsausbildung, ihm für diesen einen Kinderfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte 1991 einzutragen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Eintragung, auch im Einspruchsverfahren, ab.

Die Klage war erfolgreich. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) in der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 134 veröffentlichten Entscheidung u.a. aus: Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung sei eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch dann anzunehmen, wenn sie --wie im Streitfall-- die Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch nehme. Der Wortlaut der Vorschrift stelle allein darauf ab, daß das Kind "für einen Beruf ausgebildet wird"; eine Einschränkung wie sie in Abschn.180 Abs.1 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1990 vorgenommen werde, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Auch in anderen Fällen, in denen das EStG auf die Berufsausbildung abstelle, spiele der zeitliche Umfang der Berufsausbildung im Vergleich zu anderen Tätigkeiten keine Rolle.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 EStG. Es trägt u.a. vor: Dem FG sei zwar darin zu folgen, daß der Gesetzgeber im Rahmen des § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 EStG aus Vereinfachungsgründen in Kauf genommen habe, daß in Einzelfällen Kinder in Berufsausbildung bei den Eltern steuerlich berücksichtigt würden, obwohl eine finanzielle Belastung der Eltern nicht gegeben sei. Die Auslegung, die das FG der Vorschrift gebe, führe aber dazu, daß sich die ungerechtfertigte Berücksichtigung von Kindern zwischen 16 und 26 Jahren auf eine Vielzahl solcher Fälle ausweite. Dies sei auch mit Schwierigkeiten bei der Ermittlung der entsprechenden Sachverhalte nicht zu rechtfertigen. Ausgehend vom dualen System des Kinderlastenausgleichs durch Kindergeld und Kinderfreibetrag könne im Sozial- und Steuerrecht nur ein einheitlicher Begriff der Schul- und Berufsausbildung gelten. Es sei daher der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu folgen, nach der eine Ausbildung, der sich ein Kind nach Vollendung des 18.Lebensjahres unterziehe, nur dann als Schul- oder Berufsausbildung anzusehen ist, wenn das Kind infolge der Ausbildung gehindert ist, sich selbst den ausreichenden Lebensunterhalt zu verdienen. Eine berücksichtigungsfähige Schulausbildung liege danach nur dann vor, wenn sie die Zeit und Arbeitskraft des Schülers ganz oder überwiegend in Anspruch nehme, ihm also selbst eine nur halbtags ausgeübte Erwerbstätigkeit nicht mehr zumutbar sei.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Gemäß § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 EStG 1990 ist ein Kind, das zu Beginn des Kalenderjahres das 16.Lebensjahr, aber noch nicht das 27.Lebensjahr vollendet hat, zu berücksichtigen, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Der Sohn M des Klägers erfüllte im Streitjahr diese Voraussetzung nicht.

In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8.November 1972 VI R 309/70, BFHE 107, 450, BStBl II 1973, 139). Hierbei wird das Berufsziel weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt, so daß eine kontinuierlich durchgeführte Ausbildung noch Berufsausbildung sein kann, wenn sie sich in mehreren Stufen vollzieht, von denen zwar an sich schon jede einzelne die Befähigung zur Berufsausübung vermittelt, das angestrebte Ziel aber noch nicht erreicht ist (vgl. BFH-Urteil vom 8.November 1972 VI R 54/70, BFHE 107, 447, BStBl II 1973, 138). Dagegen befindet sich nach der Entscheidung des VI.Senats vom 11.Oktober 1984 VI R 69/83 (BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91 zu § 32 Abs.6 Nr.1 EStG 1975 ff., jetzt § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 EStG) nicht mehr in Berufsausbildung, wer zur Vorbereitung auf ein höher gestecktes Berufsziel einen Beruf ausübt, der von vielen als Dauerberuf ausgeübt wird oder werden kann. In einem solchen Fall liege eine vom Gesetz typisierend unterstellte Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern durch das in der Berufsausbildung befindliche Kind nicht vor. Es sei nicht gerechtfertigt, Eltern steuerlich zu entlasten, deren Kind ein höher gestecktes Berufsziel erstrebt, während anderen Eltern für ein Kind, das den Beruf unter sonst gleichen Bedingungen, aber ohne den Wunsch nach weiterer Qualifikation ausübt, eine Entlastung versagt werde.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Sie führt im Streitfall zur Verneinung einer Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 EStG, weil sich die Ausbildung von M im Rahmen eines den vollen Lebensunterhalt sicherstellenden Arbeitsverhältnisses vollzog.

Der Sohn M des Klägers befand sich auch nach Aufnahme der Ausbildung an der Fachhochschule der S-AG weiterhin in einem festen Arbeitsverhältnis zu der Firma S-AG, leistete an bestimmten Wochentagen und während der Semesterferien vollwertige Arbeit (achtstündige Schichten) und bezog sein volles bisheriges Arbeitsentgelt. Der wirtschaftliche und soziale Status des M wurde weiterhin durch das Arbeitsverhältnis geprägt. Der Inhalt des vor Aufnahme der Ausbildung bestehenden Arbeitsverhältnisses hat sich zwar insofern geändert, als zur Tätigkeit als Bergmechaniker der Schulunterricht hinzugekommen ist, doch bestimmend blieb nach wie vor die Ausübung des bisherigen Berufes mit allen seinen sozialen Sicherungen. Aufgrund der weiterbestehenden vollen Eingliederung in das Erwerbsleben --wovon in typischen Ausbildungsverhältnissen (Lehre, Beamtenanwärterausbildung, Referendariat etc.) nicht auszugehen ist-- bestand bei M die in § 32 Abs.4 Satz 1 Nr.1 EStG unterstellte Ausbildungssituation nicht.

Daß die beruflichen Verhältnisse des M durch seinen rechtlichen und wirtschaftlichen Status als Bergmann, nicht aber durch seine Ausbildung geprägt waren, ergibt sich auch aus der Art seiner Vergütung. Anders als ein Auszubildender, Anwärter u.ä. erhielt M keinen Unterhalts- oder Ausbildungszuschuß, sondern den tariflichen Lohn als Bergmann, wie dies auch bei anderen Bergleuten der Fall ist, die ohne jede Einschränkung nur ihrer "normalen" Tätigkeit nachgehen. Im Unterschied zu einer Ausbildungsvergütung, die ihrer Funktion nach nicht den Lebensunterhalt sicherstellen soll und im übrigen vom Inhalt, Verlauf und Erfolg der Ausbildung abhängen kann, ist das Arbeitsentgelt bei den üblichen Arbeitsbedingungen (unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Ausbildungsverhältnisses) regelmäßig zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt. Auf diesen Unterschied in der Art der Vergütung stellt auch das BSG bei seiner Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung i.S. des § 2 Abs.2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) ab (vgl. Urteil vom 19.Dezember 1974 8/7 RKg 6/73, Sozialrecht --SozR-- 5870 § 2 BKGG Nr.2, m.w.N.). Damit besteht (insoweit) Einheitlichkeit in der Auslegung der weder im BKGG noch im EStG näher bestimmten Merkmale der Berufsausbildung. Der Senat ist der Auffassung, daß eine einheitliche Auslegung wegen des sog. dualen Systems des Kinderlastenausgleichs durch Gewährung von Kindergeld und steuerlichen Entlastungen in Form des Kinderfreibetrags wünschenswert und geboten ist.

Die Vorentscheidung, der eine abweichende Rechtsauffassung zugrunde liegt, ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klage ist abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64701

BFHE 172, 321

BFHE 1994, 321

BB 1994, 58

BB 1994, 58 (L)

HFR 1994, 140-141 (LT)

StE 1994, 4 (K)

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