Leitsatz (amtlich)

1. Die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes kann grundsätzlich noch nach Ablauf der Klagefrist nachgeholt werden.

2. ist die Klagefrist abgelaufen, so kann nur noch ein solcher Verwaltungsakt als angefochten bezeichnet werden, für den sich aufgrund des klägerischen Vorbringens am Ende der Klagefrist hat annehmen lassen, daß er den Gegenstand der Anfechtung darstellen kann und für den diese Möglichkeit nicht durch zwischenzeitliches Vorbringen des Klägers ausgeschlossen worden ist.

2. Die nachträgliche Bezeichnung eines weiteren Verwaltungsaktes als Gegenstand der Anfechtung ist nicht durch § 65 FGO gedeckt, wenn am Ende der Klagefrist bereits ein Verwaltungsakt als angefochten bezeichnet war, ohne daß seinerzeit das Vorbringen des Klägers Anhaltspunkte dafür enthalten hätte, daß noch ein weiterer Verwaltungsakt angefochten sein soll.

 

Normenkette

FGO § 65

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

I.

Mit zwei notariell beurkundeten Verträgen kaufte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) je eine Ackerfläche (Flurstücke 200/23 und 200/12). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte mit zwei Bescheiden Grunderwerbsteuer gegen den Kläger fest. Den Einspruch des Klägers wies das FA als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidungen wurden dem Kläger am 30. Dezember 1975 zugestellt.

Die das Flurstück 200/23 betreffende Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 1975 trägt die Steuernummer II ... 24/75 und die Rechtsbehelfslisten-Nr. 13/75, die das Flurstück 200/12 betreffende vom 15. Dezember 1975 die Steuernummer II ... 25/75 und die Rechtsbehelfslisten-Nr. 14/75.

Mit Schriftsatz vom 28. Januar 1976 erhob der Kläger in eigener Person Klage (Az. des Finanzgerichts - FG -: III 26/76), die er mit Schriftsatz vom 26. Februar 1976 selbst begründete. In der Klageschrift und in der Klagebegründungsschrift heißt es unter Betreff:

Klage gegen den Einspruchsbescheid in der Grunderwerbsteuersache 1975 - (St. Nr.) II ... 24/75 - RBL (.) 13/75.

In der Klageschrift ist außerdem unter Bezug angeführt:

Einspruchsbescheid vom 18. Dezember 1975.

Die Klageschrift enthält keine weiteren Ausführungen zum Sachverhalt. In der Klagebegründungsschrift ist der Erwerb beider Parzellen erwähnt.

Mit einem am 3. Juli 1976 beim FG eingegangenen Schriftsatz teilte der Kläger sodann dem FG mit, von seinem Steuerberater, der für ihn die Klageschrift aufgesetzt habe, sei versehentlich vergessen worden, auch die Steuernummer II ... 25/75 anzuführen. Er, der Kläger, habe sich darauf verlassen, daß die Klageschrift vollständig sei. Da es "einleuchtend" sei, daß er gegen beide Bescheide Klage erheben würde und weil der Landerwerb ein einziges Kaufgeschäft darstelle, wenngleich dieses zwei Flurstücke umfasse, bitte er, ihm auch wegen der Steuernummer II ... 25/75 gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren. Für den Fall, daß das FG die Klagefrist als versäumt ansehe, bat er um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Hinweis darauf, daß ihm infolge seiner Arbeitsüberlastung die Unvollständigkeit der Klageschrift entgangen sei.

Das FG behandelte das Begehren des Klägers als selbständige Klage (Az. des FG: III 148/76) und wies diese als verspätet ab. Zur Begründung führte es aus, die vorliegende Klage sei erst nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden. Es lasse sich ferner nicht annehmen, daß die mit Schriftsatz vom 28. Januar 1976 erhobene Klage zugleich eine Klage zur Steuernummer II ... 25/75 darstelle. Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) müsse eine Klage die genaue Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes enthalten, so daß die Angabe von dessen Datum und Aktenzeichen erforderlich sei. Der Klageschrift vom 28. Januar 1976 könne nicht entnommen werden, daß sie sich auf die Steuernummer II ... 25/75 hätte erstrecken sollen. Die nach Ablauf der Klagefrist eingegangene Klagebegründungsschrift lasse sich nicht zur Auslegung der Klageschrift heranziehen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil der Kläger das Versehen seines Steuerberaters gegen sich gelten lassen müsse und mithin nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist verhindert gewesen sei.

Mit der Revision beantragt der Kläger, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Mit der Klageschrift vom 28. Januar 1976, die das finanzgerichtliche Verfahren III 26/76 einleitete, hat der Kläger nur ein Klagebegehren und nicht gemäß § 43 FGO mehrere Klagebegehren zusammen verfolgt. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß das FG den bei ihm am 3. Juli 1976 eingegangenen Schriftsatz im Verhältnis zur Klageschrift vom 28. Januar 1976 als selbständige Klageerhebung angesehen hat.

a) In der Klageschrift vom 28. Januar 1976 ist als Gegenstand der Anfechtung die Steuerfestsetzung unter der Steuernummer II ... 24/75 angegeben. Die Klageschrift enthält keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Rechtsschutzbegehren des Klägers sich auch auf den Steuerfall II ... 25/75 hat beziehen sollen. Eine andere Deutung ist nicht im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers möglich, es sei von vornherein sein Wille gewesen, mit der Klage in beiden Steuerfällen um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Zwar sind auch Prozeßerklärungen auslegungsfähig; Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (vgl. § 133 BGB). Dies hat jedoch insoweit eine Grenze, als zwar außer der Erklärung weitere Umstände zu berücksichtigen sein können, die Auslegung aber nicht zu der Annahme eines Erklärungsinhalts führen darf, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen, denn in dieser Hinsicht kommt es auf die Verkörperung des Willens in der prozessualen Erklärung an (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, 95 f., BStBl III 1967, 533 und BFH-Urteil vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, 136, BStBl II 1979, 374), über die nicht hinausgegangen werden darf. Der Wille des Klägers, gerichtlichen Rechtsschutz auch im Steuerfall II ... 25/75 in Anspruch zu nehmen, ist in der Klageschrift vom 28. Januar 1976 nicht zum Ausdruck gekommen. Mithin läßt sich nicht annehmen, die Klageschrift vom 28. Januar 1976 könne dahin ausgelegt werden, daß mit ihr auch die Steuersache II ... 25/75 hat angefochten werden sollen.

b) Unter den gegebenen Umständen war es dem Kläger nach Ablauf der am 30. Januar 1976 endenden Klagefrist nicht mehr im Hinblick auf § 65 FGO möglich, die unter der Steuernummer II ... 25/75 vorgenommene Steuerfestsetzung durch Bezeichnung als Anfechtungsgegenstand zum Gegenstand der Anfechtung im finanzgerichtlichen Verfahren III 26/76 zu machen.

§ 65 Abs. 1 FGO schreibt für den Inhalt der Klage vor, daß diese den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand, bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung, bezeichnen muß und daß sie einen bestimmten Antrag enthalten soll; ferner sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben werden. Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang, so hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 65 Abs. 2 FGO).

Aus der in § 65 Abs. 2 FGO vorgesehenen Möglichkeit, nachträgliche Ergänzungen vorzunehmen, läßt sich folgern, daß nicht sämtliche angeführten Bestandteile bis zum Ablauf der Klagefrist vorzuliegen brauchen. Bis zu deren Ende müssen vielmehr nur die Erfordernisse beachtet sein, von denen es abhängt, ob ein Schriftstück sich überhaupt als Klageschrift qualifizieren läßt (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 65 RdNr. 5). Hierzu gehört nicht notwendig die Angabe des angefochtenen Verwaltungsaktes. Im Unterschied zu der für das Revisionsverfahren bestehenden Regelung, wonach die von § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO geforderte Angabe des angefochtenen Urteils innerhalb der Revisionsfrist vorliegen muß, so daß bei Fristversäumnis die Revision unzulässig wird, trifft einen Kläger, der es versäumt, innerhalb der Klagefrist den angefochtenen Verwaltungsakt zu bezeichnen, kein entsprechender Rechtsverlust. Er hat vielmehr grundsätzlich die Möglichkeit, die fehlende Angabe auch später nachzuholen. Bei zunächst nicht eindeutiger Angabe darf er die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes in dem durch den bisherigen Klageinhalt gezogenen Rahmen präzisieren. Nach Ablauf der Klagefrist darf er sich dabei allerdings nur in dem Bereich bewegen, der durch seine am Ende der Klagefrist vorliegenden Angaben, ggf. weiter eingeengt durch späteres Vorbringen, noch offenbleibt.

Hat ein Kläger bereits den angefochtenen Verwaltungsakt eindeutig bezeichnet und läßt das bisherige Klagevorbringen nicht erkennen, daß die Klage weitere Anfechtungsgegenstände haben könnte, so ist es dem Kläger nach Ablauf der Klagefrist nicht gestattet, an die Stelle des bezeichneten Verwaltungsaktes oder neben diesen einen anderen Verwaltungsakt als Gegenstand der Anfechtung zu setzen. Eine solche Einschränkung ist im Hinblick darauf geboten, daß für die am Steuerschuldverhältnis Beteiligten jederzeit feststellbar sein muß, ob ein Verwaltungsakt noch nicht unanfechtbar ist, und daß grundsätzlich die bereits einmal eingetretene Unanfechtbarkeit nicht rückwirkend entfallen soll. So lange die von § 65 Abs. 1 FGO geforderte Angabe des Verwaltungsaktes noch nicht gemacht ist, muß die Finanzbehörde damit rechnen, daß beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen sämtliche nach dem Klageinhalt am Ende der Klagefrist, ggf. unter Berücksichtigung späterer Einschränkungen, noch als Anfechtungsgegenstand in Betracht kommende Verwaltungsakte nicht in formelle Bestandskraft erwachsen sind. Hat dagegen ein Kläger den Verwaltungsakt bereits bezeichnet, so steht nach Ablauf der Klagefrist für die Finanzbehörde fest, daß alle anderen Verwaltungsakte, die ebenfalls Gegenstand der Anfechtung hätten sein können, nicht angefochten worden und mithin ggf. unanfechtbar geworden sind. Im Hinblick auf die Rechtssicherheit wäre es nicht erträglich, wollte man einem Kläger auch nach Ablauf der Klagefrist die Möglichkeit einräumen, Verwaltungsakte, bei denen nach Maßgabe des bisherigen Klagevorbringens nicht damit hat gerechnet werden müssen, daß sie angefochten sein könnten, nachträglich zum Gegenstand der Anfechtung zu machen und damit ggf. die formelle Bestandskraft rückwirkend zu beseitigen. Außerdem würden auf diese Weise die für die Klageänderung bestehenden Beschränkungen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 19. Mai 1972 III R 138/68, BFHE 106, 8, BStBl II 1972, 703) um ihre Bedeutung gebracht.

Für den vorliegenden Fall folgt daraus, daß der Kläger angesichts der präzisen Angabe in der Klageschrift vom 28. Januar 1976 darüber, welcher Steuerbescheid angefochten wird sowie in Anbetracht des Umstandes, daß in der Klageschrift nichts auf die gleichzeitige Anfechtung eines weiteren Verwaltungsaktes hindeutet, keine Möglichkeit hatte, den Steuerfall II ... 25/75 nach Ablauf der Klagefrist zum Anfechtungsgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens III 26/76 zu machen.

2. Die Zulässigkeit hat vom FG nicht im Hinblick darauf verneint werden dürfen, daß sich die Folgen der verspäteten Einleitung des vorliegenden Verfahrens nicht mittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rückgängig machen ließen, weil der Kläger das Versehen des zum Aufsetzen der Klageschrift hinzugezogenen Steuerberaters zu vertreten habe ...

 

Fundstellen

Haufe-Index 413624

BStBl II 1981, 532

BFHE 1981, 151

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