Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung bei Beschwerdeeinlegung durch neuen Prozessbevollmächtigten

 

Leitsatz (NV)

  1. Die Bestellung eines weiteren Prozessbevollmächtigten enthält nicht zugleich den Widerruf der Vollmacht des bisherigen Prozessbevollmächtigten. Dem Kläger ist das Verschulden jedes seiner Prozessbevollmächtigten als eigenes zuzurechnen.
  2. Die Revisionsfrist beginnt mit der ersten Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu laufen.
  3. Beantragt der Kläger Wiedereinsetzung mit der Begründung, die Zustellung des Zulassungsbeschlusses sei zu Unrecht nicht an den Prozessvertreter erfolgt, der die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hatte, sondern an den, der vor dem FG aufgetreten war, so muss er darlegen, dass ihm das Verschulden des letzteren nicht zuzurechnen sei (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 21. März 2002 VII R 7/01, BFH/NV 2002, 868).
 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 1

 

Tatbestand

Gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), Rechtsanwalt, Steuerberater P, namens dieser Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Eine Vollmacht legte er zunächst nicht vor. Das FG gab der Beschwerde statt. Es stellte den Beschluss dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vor dem FG, Steuerberater K, am 11. Oktober 1996 zu. Nachdem Rechtsanwalt P die auf ihn lautende Prozessvollmacht dem FG vorgelegt hatte, stellte dieses ihm am 5. Dezember 1996 eine Ausfertigung des Beschlusses zu, in der er als einziger Prozessbevollmächtigter aufgeführt war. Am 12. Dezember 1996 legte er für die Klägerin Revision ein.

Mit Schreiben vom 24. Januar 1997 wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, dass eine Ausfertigung des Zulassungsbeschlusses Steuerberater K am 11. Oktober 1996 zugestellt worden sei und dass möglicherweise die von Rechtsanwalt P am 12. Dezember 1996 eingelegte Revision verspätet sei. In dem bei Gericht am 4. Februar 1997 eingegangenen Schriftsatz trug P vor, er habe erstmals durch das Schreiben des Vorsitzenden erfahren, dass der Zulassungsbeschluss bereits am 11. Oktober 1996 Steuerberater K vom FG zugestellt worden sei. Die Zustellung an K sei nicht wirksam gewesen, weil dessen Vollmacht für das Beschwerde- und Revisionsverfahren durch die Anzeige der Vertretung durch ihn konkludent widerrufen worden sei. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Des Weiteren begründete P in dem Schriftsatz die Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Die Klägerin hat die Revision verspätet eingelegt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann ihr nicht gewährt werden.

Die Zustellung des Zulassungsbeschlusses an Steuerberater K war wirksam; denn K war im Zeitpunkt der Zustellung zur Vertretung der Klägerin befugt. Die ihm am 3. Februar 1995 von der Klägerin erteilte Vollmacht war nicht beschränkt; sie ermächtigte ihn unter anderem zur Einlegung oder Rücknahme von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln. Entgegen der Auffassung der Klägerin endete die Bevollmächtigung des K auch nicht mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde für sie durch Rechtsanwalt P. Da sich ein Beteiligter von mehreren Prozessbevollmächtigten vertreten lassen kann (§ 155 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 84 Satz 1 der Zivilprozessordnung ―ZPO―), enthält die Bestellung eines weiteren Prozessbevollmächtigten nicht zugleich den Widerruf der Vollmacht des bisherigen Prozessbevollmächtigten (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 28. Januar 1991 IX B 46/90, BFH/NV 1991, 612). Der Widerruf ist vielmehr dem Gericht anzuzeigen (§ 155 FGO i.V.m. § 87 Abs. 1 ZPO). Dies ist im Streitfall nicht geschehen.

Die Revisionsfrist begann mit der Zustellung des Zulassungsbeschlusses an Steuerberater K am 11. Oktober 1996 zu laufen. Sie endete am 11. November 1996 (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO a.F. i.V.m. § 54 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die spätere Zustellung an Rechtsanwalt P setzte die Rechtsmittelfrist nicht erneut in Gang (vgl. BFH-Urteil vom 15. Mai 1996 X R 99/92, BFH/NV 1996, 891, unter 1.). Die von ihm am 12. Dezember 1996 eingelegte Revision war verspätet.

Der Klägerin kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Sie hat nicht dargelegt, dass sie ohne Verschulden (§ 56 Abs. 1 FGO) verhindert war, die Revision rechtzeitig einzulegen. Das Verschulden von jedem ihrer beiden Prozessbevollmächtigten ist ihr als eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 84 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO). Zwar trifft Rechtsanwalt P aufgrund dessen Vorbringen kein Verschulden; er hatte danach keine Kenntnis von der Zustellung des Zulassungsbeschlusses an Steuerberater K am 11. Oktober 1996. Er hatte nach den Umständen auch keine Veranlassung, bei K zurückzufragen. Es bedarf mithin keiner Entscheidung, ob der Rechtsirrtum in Bezug auf den Widerruf der Prozessvollmacht des K entschuldbar ist. Da er im Rubrum der ihm zugestellten Ausfertigung des Zulassungsbeschlusses als einziger Prozessbevollmächtigter aufgeführt war, konnte er davon ausgehen, dass die Zustellung an ihn die Revisionsfrist in Gang setzen würde. Innerhalb der ab 5. Dezember 1996 laufenden Monatsfrist hat er am 12. Dezember 1996 die Revision eingelegt und sie innerhalb eines weiteren Monats am 4. Februar 1997 begründet.

Die Klägerin hat jedoch nicht dargelegt, weshalb Steuerberater K ohne Verschulden daran gehindert war, für die fristgemäße Einlegung der Revision zu sorgen. Bei ordnungsgemäßer Erfüllung der ihm als berufsmäßigem Vertreter obliegenden Sorgfaltspflichten hätte er die Klägerin selbst oder Rechtsanwalt P unverzüglich vom Erhalt des Zulassungsbeschlusses unterrichten müssen (vgl. BFH in BFH/NV 1991, 612). Dies gilt umso mehr, als er in der ihm zugestellten Ausfertigung des Beschlusses als einziger Prozessbevollmächtigter der Klägerin aufgeführt war. Umstände, die dafür sprechen, dass Steuerberater K an der verspäteten Einlegung der Revision kein Verschulden trifft, hat die Klägerin weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.

Ein etwaiges Verschulden des Steuerberaters K ist der Klägerin wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Anders als in dem dem Urteil des BFH vom 21. März 2002 VII R 7/01 (BFH/NV 2002, 868) zugrunde liegenden Fall hat die Klägerin nicht vorgetragen, dass die Steuerberater K erteilte Vollmacht im Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch Kündigung des Mandats erloschen gewesen sei.

Die Revision ist mithin wegen Fristversäumnis nach § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 797095

BFH/NV 2002, 1468

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