Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung eines Kindergeldbescheids bei Haushaltswechsel des Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsfrage, ob eine Kindergeldfestsetzung bei einem Haushaltswechsel des Kindes auch dann gemäß § 70 Abs.2 EStG aufzuheben ist, wenn die getrennt lebenden Eltern die Zahlung des Kindergeldes an den ursprünglichen Kindergeldberechtigten bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs des Kindes berücksichtigen, hat keine grundsätzliche Bedeutung, da sie sich eindeutig aus dem Gesetz dahin beantworten läßt, daß die Kindergeldfestsetzung aufzuheben ist.

 

Orientierungssatz

Im Streitfall konnte dahingestellt bleiben, ob bei § 70 Abs. 2 EStG unter bestimmten Voraussetzungen über die Anwendung des § 176 AO 1977 hinaus Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berücksichtigt werden können.

 

Normenkette

AO 1977 § 176; EStG § 64 Abs. 2 S. 1, § 31 S. 3, § 64 Abs. 1, § 68 Abs. 1, § 70 Abs. 2; AO 1977 § 155 Abs. 6, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 d; BGB § 1615g Abs. 1, § 1612b Abs. 1; SGB X § 48

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

I. Das Arbeitsamt --Familienkasse--, der Beklagte und Beschwerdegegner (Beklagter), zahlte dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bis einschließlich April 1996 Kindergeld für seinen im April 1991 geborenen Sohn. Da die Ehefrau des Klägers und der Sohn seit September 1995 nicht mehr im Haus des Klägers lebten, erließ der Beklagte im Dezember 1996 den Bescheid, mit dem er die Kindergeldfestsetzung für die Zeit von Januar 1996 bis April 1996 aufhob.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit folgenden Gründen ab:

Gemäß § 64 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) werde für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten werde das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). § 70 Abs. 2 EStG bestimme, daß --soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich seien, Änderungen eintreten-- mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben oder zu ändern sei. Im Streitfall seien zunächst sowohl der Kläger als auch dessen Ehefrau kindergeldberechtigt gewesen. Der Zahlungsanspruch des Klägers sei jedoch mit Ablauf des Monats September 1995 dadurch erloschen, daß seine Ehefrau im September 1995 einen neuen Haushalt begründet und den Sohn in diesen Haushalt aufgenommen habe. Die Änderung der Haushaltszugehörigkeit des Sohnes habe die für die Zahlung des Kindergeldes erheblichen Verhältnisse geändert und berechtige den Beklagten, die Festsetzung des Kindergeldes u.a. für den hier streitigen Zeitraum aufzuheben.

Ohne Bedeutung bleibe, daß die Zahlung des streitigen Kindergeldes an den Kläger nach seinem Vorbringen bei der Bestimmung des Unterhaltsanspruchs des Sohnes in einem gerichtlichen Vergleich berücksichtigt worden sei. Die rechtliche Vereinbarung zwischen dem Kindergeldberechtigten und dem Kind berührten die Zahlungsvorschrift des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht. Soweit der Kläger auf die unterschiedliche Handhabung im sozialgerichtlichen Verfahren verweise, verkenne er die hiervon sich unterscheidenden Voraussetzungen nach den Vorschriften des EStG.

Der Kläger begehrt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Soweit ersichtlich habe ein vergleichbarer Sachverhalt dem Bundesfinanzhof (BFH) noch nicht zur Entscheidung vorgelegen. Der Sachverhalt beurteile sich seit der Neuregelung des Kindergeldrechts zum 1. Januar 1996 nach § 70 Abs. 2 i.V.m. § 64 Abs. 1 EStG. Nach den früheren rechtlichen Verhältnissen hätte eine Aufhebung nur dann erfolgen können, wenn auf seiten des Leistungsempfängers grobe Fahrlässigkeit festzustellen gewesen sei. Diese Voraussetzung sei entfallen. Die Aufhebung sei auch rechtswidrig. Wollte man sie in diesen Fällen zulassen, liefe dies auf eine nicht vertretbare Belastung des Unterhaltsschuldners hinaus, wenn aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs die Zahlung des Kindergeldes bei der Bestimmung des Unterhaltsanspruchs berücksichtigt worden sei. Für den Unterhaltsschuldner bestehe nicht immer die Möglichkeit, diese Beträge später zurückzuerhalten.

Der Beklagte tritt der Beschwerde entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BFH-Beschluß vom 5. April 1995 I B 126/94, BFHE 177, 231, BStBl II 1995, 496). Das ist nicht der Fall, wenn das Urteil der eindeutigen Rechtslage entspricht.

1. Die vom Kläger angesprochene Rechtsfrage ist danach nicht klärungsbedürftig. Denn das angefochtene Urteil entspricht der eindeutigen Rechtslage und stimmt mit der im Schrifttum vertretenen Auffassung überein (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Dezember 1988 III B 15/88, BFHE 155, 386, BStBl II 1989, 409). Zwar wurde diese Frage bisher nicht ausdrücklich entschieden, einer solchen Entscheidung bedarf es jedoch nicht, da sich die Frage ohne weiteres eindeutig aus dem Gesetz beantworten läßt (vgl. BFH-Beschluß vom 13. September 1991 IV B 105/90, BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148, 150).

a) Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Die Regelung bedeutet zum einen, daß das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird; zum anderen ergibt sich aus der Vorschrift, daß eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, nicht stattfindet (Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 64 EStG Rdnr. 12). Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Eltern trennen und das Kind anschließend nur bei einem Berechtigten im Haushalt lebt.

Der Gesetzgeber hat sich in Abkehr von der bis Ende 1995 geltenden Regelung auch zur Lösung der Anspruchskonkurrenz zwischen Vater und Mutter für das Obhutsprinzip entschieden. Das Obhutsprinzip verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- (Senatsbeschluß vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477). Es ist sachgerecht, das Kindergeld sowohl nur einem Berechtigten zu zahlen, als auch demjenigen, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Der Gesetzgeber konnte dabei von dem Regelfall ausgehen, daß derjenige, in dessen Haushalt das Kind aufgenommen ist, den Hauptteil der kindbedingten Belastungen trägt (vgl. Begründung zum gleichlautenden § 3 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes --BKGG-- n.F.; BTDrucks 13/1558 S. 165).

b) Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß durch zivilrechtliche Vereinbarungen, auch wenn sie durch gerichtlichen Vergleich bestätigt werden, § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht außer Kraft gesetzt werden kann (vgl. Senatsbeschluß vom 10. November 1998 VI B 125/98). In den Fällen der Trennung oder Scheidung der Eltern kann der Ausgleich beim barunterhaltsverpflichteten Elternteil nur über das zivilrechtliche Unterhaltsrecht durch Kürzung der Unterhaltsverpflichtung in Höhe des halben Kindergeldes vorgenommen werden (vgl. § 1615g Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- a.F., ab 1. Juli 1998: § 1612b Abs. 1 BGB).

c) Haben sich --wie im Streitfall-- durch einen Haushaltswechsel des Kindes die Verhältnisse, die für die Zahlung des Kindergeldes erheblich sind, geändert, ist die Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben (§ 70 Abs. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Die Verwaltung hat insoweit keinen Entscheidungsspielraum (Seewald/Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 70 Rdnr. C 13).

Das Kindergeldrecht wurde mit der Systemumstellung zum 1. Januar 1996 als Steuervergütung ausgestaltet (§ 31 Satz 3 EStG). Gemäß § 155 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO 1977) sind für Steuervergütungen sinngemäß die Vorschriften über die Steuerfestsetzung und damit auch die Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO 1977 anzuwenden. § 70 Abs. 2 EStG ist eine sonstige Regelung i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO 1977. Die Bestimmung wurde in das Gesetz eingefügt, da die Änderungsvorschriften der AO 1977 auf Dauerverwaltungsakte --wie die Kindergeldfestsetzung-- nicht zugeschnitten sind (BTDrucks 13/3084 S. 21). Die --weitere-- Anwendbarkeit des § 48 des Sozialgesetzbuches (SGB) X scheidet aus, da sie für die Kindergeldgewährung nach den §§ 62 ff. EStG im Gegensatz zu § 18 BKGG n.F. nicht vorgesehen ist (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d, 1. Halbsatz AO 1977). Auf ein Verschulden des ursprünglich Kindergeldberechtigten kommt es daher nicht mehr an. Dies entspricht auch der herrschenden Auffassung im Schrifttum (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 70 EStG Rdnr. 13; Michaelis, Kindergeldverfahren im öffentlichen Dienst ab 1996, S. 127; Berlebach, Steuerlicher Familienleistungsausgleich, § 70 EStG Rdnr. 14).

2. Im übrigen kann dahingestellt bleiben, ob bei § 70 Abs. 2 EStG unter bestimmten Voraussetzungen über die Anwendung des § 176 AO 1977 hinaus Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berücksichtigt werden können. Ein derartiger Ausnahmefall kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn der ursprünglich Kindergeldberechtigte seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht verletzt hat (vgl. Seewald/Felix in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 70 Anm. C 13). Gemäß § 68 Abs. 1 EStG hat derjenige, der Kindergeld beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen. Der Haushaltswechsel des Kindes ist eine erhebliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne (vgl. auch Nr. 17 des Kindergeldmerkblattes, BStBl I 1996, 1073, 1100).

 

Fundstellen

Haufe-Index 154126

BFH/NV 1999, 723

BStBl II 1999, 231

BFHE 187, 559

BFHE 1999, 559

BB 1999, 358

BB 1999, 358 (Leitsatz)

BB 1999, 414 (Leitsatz)

BB 1999, 829

DB 1999, 414

DStR 1999, 230

DStR 1999, 230-231 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1999, 142

DStRE 1999, 142 (Leitsatz)

DStZ 1999, 339

HFR 1999, 470

StE 1999, 115

StE 1999, 115-116 (Leitsatz)

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