Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Revisionszulassung wegen angeblicher Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils; qualifizierter Rechtsanwendungsfehler; Divergenz und Identität des Sachverhalts und der Rechtsfrage; Aufklärungsrüge; überlange Verfahrensdauer; Beginn des Gewerbebetriebs

 

Leitsatz (NV)

1. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung erheblich sein können, von vornherein unbeachtlich. Das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten.

2. Ausnahmsweise ist die Revision wegen eines sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil des FG an einem offensichtlichen materiellen oder formellen Fehler im Sinne einer willkürlichen Entscheidung leidet. Dazu reicht indes nicht eine allenfalls fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles aus.

3. Eine schlüssige Divergenzrüge kann auch Ausführungen erfordern, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und /oder um eine identische Rechtsfrage wie in der vermeintlichen Divergenzentscheidung handelt.

4. Nicht ordnungsgemäß gestellten, insbesondere unsubstantiierten Beweisanträgen muss das Finanzgericht nicht nachgehen.

5. Eine Berufung auf Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen angeblich überlanger Verfahrensdauer kommt wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters der Besteuerung nicht in Betracht.

6. Soll eine überlange Verfahrensdauer als Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG gerügt werden, so muss für ein zulässige Verfahrensrüge dargelegt werden, worauf die Dauer des Verfahrens beruht und dass es bei einer kürzeren Verfahrensdauer zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.

 

Normenkette

EMRK Art. 6 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 19 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 20.07.2005; Aktenzeichen 1 K 67/02)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keine der in § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO abschließend geregelten Zulassungsgründe entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. a) Soweit der Kläger Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend macht, wird damit kein Zulassungsgrund dargetan. Von vornherein unbeachtlich sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung relevant sein können; denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juni 2003 X B 173/02, BFH/NV 2003, 1325).

Gleiches gilt hinsichtlich der vom Kläger behaupteten unzulänglichen Beweiswürdigung, die revisionsrechtlich ebenfalls dem materiellen Recht zuzuordnen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. August 2001 III B 67/00, BFH/NV 2002, 45, 46; vom 2. Februar 2005 VIII B 191/03, BFH/NV 2005, 1318).

b) Einen sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO erfordert, hat der Kläger weder schlüssig dargetan, noch sind angesichts der ausführlichen Würdigung des Sachverhalts Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.

Dafür kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des Finanzgerichts (FG) im Sinne einer willkürlichen Entscheidung in Betracht. Dazu reicht indes nicht eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles aus (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom 31. Mai 2005 III B 143/04, BFH/NV 2005, 1632).

2. a) Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen (BFH-Beschluss vom 1. September 2004 X B 162/03, BFH/NV 2005, 224).

b) Das vom Kläger benannte BFH-Urteil vom 14. März 1989 IX R 45/88 (BFHE 157, 80, BStBl II 1989, 776) betrifft Fragen der Steuerermäßigung nach § 34f des Einkommensteuergesetzes (EStG) und damit offensichtlich nicht die im Streitfall maßgebende Rechtsfrage nach dem Beginn eines Gewerbebetriebes.

Im Streitfall hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) und ihm folgend das FG für den Geschäftsbeginn der KG ausdrücklich das weite Verständnis dieses Begriffes hervorgehoben, wonach bereits bloße Vorbereitungshandlungen darunter fielen. Es hat jedoch als entscheidend angesehen, dass mangels wirksamer Einzelvertretung der KG gemäß § 125 des Handelsbesetzbuchs (HGB) im Verhältnis zu Dritten ein Geschäftsbeginn erst nach Zustimmung aller Gesellschafter in Betracht komme, jedoch der Kläger einen solchen einvernehmlichen Geschäftsbeginn bereits für das Jahr 1991 nicht nachgewiesen habe.

Für das FG war mithin nicht das Vorliegen von Vorbereitungshandlungen entscheidungserheblich. Es hat folglich auch keinen abweichenden Rechtssatz gegenüber dem BFH-Urteil vom 30. November 1977 I R 115/74 (BFHE 124, 52, BStBl II 1978, 193) zum Beginn eines gewerblichen Grundstückshandels aufgestellt.

Das vom Kläger angeführte weitere BFH-Urteil vom 30. Januar 1981 III R 116/79 (BFHE 133, 217, BStBl II 1981, 560) betrifft die Annahme inländischen Betriebsvermögens i.S. von § 121 Abs. 2 Nr. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft die im Inland eine Zweigniederlassung errichtet hat.

Für eine schlüssige Divergenzrüge hätte der Kläger jedoch insbesondere ausführen müssen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Juni 2002 III B 38/02, BFH/NV 2002, 1443; vom 19. Februar 1999 VIII B 3/98, BFH/NV 1999, 1079; vom 27. April 2000 VIII B 97/99, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris).

In der vermeintlichen Divergenzentscheidung führt der BFH zudem aus, der Kläger habe im Inland vor dem streitigen Stichtag bereits Aktivitäten entfaltet, die über bloße Vorbereitungshandlungen hinausgegangen seien.

Soweit der Kläger schließlich behauptet, das FG sei von einer früheren Entscheidung zu Az. 1 K 54/97 abgewichen, in welcher es den Beginn des Geschäftsbetriebes abweichend festgelegt habe, lässt sich anhand des Vortrags nicht ansatzweise erkennen, ob eine Divergenz in Betracht kommen könnte.

3. Soweit der Kläger eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das FG durch Unterlassen einer Zeugeneinvernahme sowie der Beiziehung der Handelsregisterakten HRA 75 vom Amtsgericht A rügt, bezeichnet er ebenfalls nicht hinreichend Verfahrensmängel.

a) Der Kläger hat den Vorsteher des beklagten FA als Zeugen dafür benannt, dass "in die steuerliche Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung bei der KG steuerliche Erklärungen einer GbR seit 1990/91 einflössen". Das FG hat diesen Beweisantrag zutreffend als unsubstantiiert beurteilt. Unsubstantiierten Beweisanträgen musste das FG jedoch nicht nachgehen (BFH-Beschluss vom 17. März 2003 VII B 269/02, BFH/NV 2003, 825).

Es fehlt bereits an der Angabe, um welche GbR es sich handeln soll.

Im Übrigen kommt es bei der Beurteilung, ob dem FG ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, auf dessen --ggf. auch unrichtigen-- materiell-rechtlichen Standpunkt an (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Mai 2005 VIII B 56/04, BFH/NV 2005, 1811, m.w.N.).

Das FG hat jedoch eine Erklärungspflicht der KG erst für den Zeitraum nach dem 30. Januar 1992 angenommen und ausweislich der beigezogenen Akten des FA des Weiteren festgestellt, dass für die Jahre 1990 und 1991 auch keine Feststellungserklärungen von der KG eingereicht worden seien.

b) Ebenso wenig musste das FG --wie es zutreffend ausgeführt hat-- die Handelsregisterakten HRA 75 des Amtsgerichts A mit sämtlichen Neben- und Beiakten beiziehen; denn der Kläger hatte nicht substantiiert dargelegt, welche für den --vom FG als entscheidungserheblich erachteten-- gemeinsamen Beginn des Gewerbebetriebs durch die KG vor dem 1. Januar 1992 bedeutsamen Umstände diesen Akten zu entnehmen sein könnten. Überdies hat der Kläger auf Nachfrage des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung erklärt, bei seiner Akteneinsicht beim Registergericht keine über seinen bisherigen Vortrag hinausgehenden Tatsachen oder Beweismittel entdeckt zu haben.

4. Soweit sich der Kläger wegen einer angeblichen überlangen Verfahrensdauer auf Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskommission (MRK) beruft, sind die Artikel der MRK wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters der Besteuerung bereits nicht anwendbar (BFH-Beschluss vom 31. Juli 2003 IX E 6/03, BFH/NV 2003, 1603, m.w.N.).

Darüber hinaus hat der Kläger aber auch nicht im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) eine dem FG anzulastende überlange Verfahrensdauer schlüssig dargelegt.

Hierzu müssten Umstände vorgetragen werden, die der Finanzverwaltung oder dem FG angelastet werden könnten und die Dauer des Verfahrens als unverständlich und nicht gerechtfertigt erscheinen ließen.

Der Kläger muss für eine zulässige Verfahrensrüge darlegen, worauf die Dauer des Verfahrens beruht und dass es bei einer kürzeren Verfahrensdauer zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können (BFH-Beschluss vom 10. Juli 2002 X B 170/00, BFH/NV 2002, 1481, m.w.N.).

Bereits am Vortrag der Entscheidungserheblichkeit der beanstandeten Verfahrensdauer fehlt es.

Das konkrete Streitverfahren beruht im Übrigen auf einer erst im Jahr 2001 gegen die Einspruchsentscheidung vom 26. September 2001 eingereichten Klage. Der Kläger hat keine Umstände dargelegt, weshalb das FG dieses Klageverfahren, das einen umfangreichen Prüfungsstoff zum Gegenstand hat, in unangemessener langer Zeit entschieden hätte.

Das als Sprungklage unter Az. 1 K 494/98 anhängige Verfahren, das infolge der abgelehnten Zustimmung des FA ohne dies kraft Gesetzes als außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren weiter zu behandeln war (§ 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 FGO) ist im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens nicht zu beurteilen.

Der Kläger hat schließlich keine erstmals oder erneut klärungsbedürftige Rechtsfrage bezeichnet, um den angesprochenen Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO schlüssig darzutun.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1482573

BFH/NV 2006, 799

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