Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung des rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (NV)

Eine sog. Überraschungsentscheidung ist gegeben, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen noch nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen musste.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Gründe

1. Die Revision ist nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Entgegen der Auffassung der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde deren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

Die Voraussetzungen eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 FGO und § 76 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Eine Überraschungsentscheidung ist gegeben, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und die richterliche Hinweispflicht i.S. des § 76 Abs. 2 FGO verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend und in allen Einzelheiten erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind (zu Vorstehendem vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947, m.w.N.).

Die Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―), dass dem Kläger auch für das Jahr 1994 eine Gratifikation in Höhe von 245 000 DM zugestanden habe, ist den Klägern nicht erstmals in dem anzufechtenden Urteil bekannt geworden. Bereits mit Schreiben vom 9. Juni 1999 hatte das FA gegenüber den Klägern darauf hingewiesen, dass von Seiten der Lohnsteueraußenprüfung die bisherige Auffassung in vollem Umfang beibehalten werde; insbesondere sei die Annahme eines unentziehbaren Rechtsanspruchs auf die ausstehende Gratifikation weiterhin bejaht worden. Es sei kein begründeter Anlass für eine Kürzung der Gratifikation festgestellt worden. Auch in der Einspruchsentscheidung vom 16. Juni 1999 ist das FA von einem unentziehbaren Rechtsanspruch auf die Gratifikation ausgegangen.

Im Übrigen hat das Finanzgericht (FG) auf Seite 4, Absatz 3 seines Urteils lediglich die Auffassung des Prüfers referiert. Entscheidendes Indiz für die Abgeltung auch der bereits erdienten Gratifikation war für das FG jedoch ―so auf Seite 8, Absatz 3― die Höhe der Entschädigung, die nach dem Gehalt und der Gratifikation bemessen worden sei.

2. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der BFH hat entschieden, dass bereits erdiente Ansprüche nicht Teil der Entschädigung sind (dazu BFH-Urteil vom 20. März 1987 VI R 61/84, BFH/NV 1987, 498; Beschluss vom 15. Juni 2000 XI B 93/99, BFH/NV 2001, 26).

3. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bedarf es keiner Entscheidung des BFH. Ein Verzicht des Klägers auf die ihm zustehende Gratifikation ist ―wie sich aus der vom FG vorgenommenen Berechnung der Entschädigung ergibt― nicht erkennbar.

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 929048

BFH/NV 2003, 802

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