Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Geschäftsführers für nicht abgeführte Lohnsteuer

 

Leitsatz (NV)

1. Der Geschäftsführer einer GmbH darf nicht einer Vereinbarung mit der kreditgebenden Bank seine Zustimmung geben, die einseitig den Fiskus schlechter stellt als die Arbeitnehmer. Er verletzt seine öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Abführung der einbehaltenen Steuern zu sorgen, auch dann, wenn er sich stillschweigend damit einverstanden erklärt, daß die Bank durch Auswahl der ihr erteilten Überweisungsaufträge ein solches Ergebnis herbeiführt. Ein Geschäftsführer, der auf anderem Wege keine Möglichkeit findet, seine rechtliche Stellung zu verwirklichen und seine Pflichten zu erfüllen, muß entweder von seinem Amt zurücktreten oder den Konkursantrag stellen.

2. Zum Auswahlermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme mehrerer Geschäftsführer als Haftungsschuldner.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 34, 69; FGO § 142; ZPO § 114

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war Gesellschafter und Geschäftsführer der A-GmbH. Das beklagte Finanzamt (FA) nahm den Antragsteller und den anderen Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH wegen angemeldeter, aber nicht abgeführter Lohnsteuer und Kirchensteuer für den Zeitraum . . . als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Haftungsbescheid gegen den Mitgesellschafter und -geschäftsführer wurde im Einspruchsverfahren wieder aufgehoben, weil dieser ausschließlich für den technischen Bereich des Unternehmens verantwortlich gewesen war. Der Antragsteller hat nach im wesentlichen erfolglosem Einspruch gegen den gegen ihn ergangenen Haftungsbescheid Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat. Sein Antrag, ihm für das Klageverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, hatte nur hinsichtlich der mit dem Haftungsbescheid geltend gemachten Säumniszuschläge Erfolg. Das FG führte im übrigen aus:

Der Antragsteller habe nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung den Haftungstatbestand der §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) erfüllt. Er habe die ihm als GmbH-Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten grob fahrlässig verletzt, weil er die bei den Lohnzahlungen einbehaltenen Steuerabzugsbeträge nicht an das FA abgeführt habe. Wie die fortlaufende Zahlung der Löhne erwiesen habe, sei die GmbH auch hinsichtlich der einbehaltenen Steuern leistungsfähig gewesen, so daß es auf die vom Antragsteller geltend gemachten Liquiditätsprobleme nicht ankomme. Das FA habe in der Einspruchsentscheidung seine Ermessenserwägungen, den Antragsteller in Anspruch zu nehmen, hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Es habe dabei insbesondere den Grad des Verschuldens des Antragstellers gewürdigt. Das Auswahlermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden, da der Antragsteller aufgrund der in den Anstellungsverträgen klar und eindeutig geregelten Zuständigkeiten allein für die Leitung und Überwachung des kaufmännischen Bereichs, also für die steuerlichen und finanziellen Angelegenheiten der GmbH, verantwortlich gewesen sei. Der nur für den technischen Bereich zuständig gewesene Mitgeschäftsführer habe nicht in Anspruch genommen zu werden brauchen, da ihm ein grobes Verschulden vermutlich nicht nachgewiesen werden könne.

Mit der Beschwerde hält der Antragsteller seinen auf die gesamte Haftungsschuld bezogenen Antrag auf PKH aufrecht. Er trägt vor, für den kritischen Zeitraum . . . treffe ihn kein Verschulden, weil allein die . . .-Bank als Hausbank der GmbH, der sämtliche Kundenforderungen zur Kreditsicherung abgetreten worden seien, bestimmt hätte, welche Verbindlichkeiten bedient würden. Der Direktor der Bank habe nur Abschlagszahlungen an die Arbeitnehmer, nicht aber Lohnsteuerabführungen an das FA genehmigt. Seine (des Antragstellers) alleinige Inanspruchnahme sei auch nicht ermessensgerecht, weil die in den Anstellungsverträgen enthaltenen Zuständigkeitsregelungen, wonach er mit der Leitung und Überwachung des kaufmännischen Bereichs und der Mitgeschäftsführer mit der Überwachung des technischen Bereichs betraut gewesen sei, faktisch nicht eingehalten worden seien. Der für die Auftragsdurchführung zuständige Mitgeschäftsführer habe auch den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmt und die Lohnabrechnungen sowie die Vor- und Nachkalkulation der Kundenaufträge durchgeführt. Nur dieser habe die Arbeitseinheiten der Mitarbeiter prüfen, Überstunden verrechnen und entsprechende Anweisungen an die Lohnbuchhaltung erstellen können. Ihm (dem Antragsteller) habe es dagegen oblegen, die Verhandlungen mit der Bank oder dem FA zu führen, wobei allerdings alle Entscheidungen gemeinsam getroffen worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das FG hat dem Antragsteller zu Recht die Bewilligung von PKH für das Klageverfahren wegen der Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für nicht an das FA abgeführte Lohnsteuer und Kirchensteuer der Arbeitnehmer der GmbH versagt; denn die Klage bietet insoweit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung). Wegen der dem Antragsteller als GmbH-Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Verpflichtungen (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -, § 34 Abs. 1 AO 1977), der Erfüllung des Haftungstatbestands des § 69 AO 1977 durch den Antragsteller und der Ermessensentscheidung und -begründung des FA (§ 191 Abs. 1 AO 1977) nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des FG Bezug. Die hiergegen mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die vom Antragsteller vorgetragenen Liquiditätsprobleme der GmbH die grob fahrlässige Pflichtverletzung und damit die Haftung des Antragstellers nach § 69 AO 1977 nicht ausschließen oder beschränken. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats darf ein Arbeitgeber oder Geschäftsführer, dessen Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichen, die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder Teilbetrag auszahlen, damit er aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen kann. Das gilt auch dann, wenn die Lohnzahlungen aus Kreditmitteln erfolgen, die nach der getroffenen Vereinbarung oder der Weisung des Kreditgebers nur für Nettolohnzahlungen verwendet werden sollten (Beschluß vom 19. November 1985 VII S 13/85, BFH/NV 1986, 266 m. w. N.).

Wie der Senat in seinem Beschluß vom 12. Juli 1983 VII B 19/83 (BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655) entschieden hat, darf der Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht einer Vereinbarung mit der Bank seine Zustimmung geben, die einseitig den Fiskus schlechter stellt als die Arbeitnehmer. Er verletzt seine öffentlich-rechtliche Pflicht, für die Abführung der einbehaltenen Steuern zu sorgen auch dann, wenn er sich stillschweigend damit einverstanden erklärt, daß die Bank - wie der Antragsteller für den Streitfall vorträgt - durch Auswahl der ihr erteilten Überweisungsaufträge ein solches Ergebnis herbeiführt. Ein Geschäftsführer, der auf anderem Wege keine Möglichkeit findet, seine rechtliche Stellung zu verwirklichen und seine Pflichten zu erfüllen, muß entweder von seinem Amt zurücktreten (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 1963 V 45/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 103, Rechtsspruch 22, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 96) oder den Konkursantrag stellen. Jedenfalls stellt es eine grob fahrlässige Pflichtverletzung dar, wenn der Antragsteller es hinnahm, daß über 7 Monate hinweg zwar die Nettolöhne an die Arbeitnehmer überwiesen, die Steuerabzugsbeträge aber nicht an das FA abgeführt wurden (BFH/NV 1986, 266, 269). Der Antragsteller hat noch nicht einmal vorgetragen, daß er sich bei der kreditgebenden Bank unter Hinweis auf die bestehenden steuerlichen Verpflichtungen darum bemüht hat - ggf. unter Kürzung der Nettolöhne -, eine Überweisung der einbehaltenen Abzugssteuern zu erreichen.

2. Auch das Vorbringen des Antragstellers über die faktische Aufgabenverteilung zwischen den beiden Geschäftsführern der GmbH ist bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Beurteilung nicht geeignet, die von der Vorinstanz gebilligte Ermessensausübung des FA, den Antragsteller allein in Anspruch zu nehmen, als fehlerhaft erscheinen zu lassen. Das FA hat die rechtliche Möglichkeit zur Heranziehung beider GmbH-Geschäftsführer als Haftungsschuldner nicht verkannt, da es ursprünglich Haftungsbescheide gegen jeden von ihnen erlassen hat. Es hat dann in den Einspruchsverfahren seine Ermessensentscheidung, allein den Antragsteller für die rückständigen Steuerabzugsbeträge in Anspruch zu nehmen, damit begründet, daß dieser für den kaufmännischen Bereich der GmbH zuständig und damit in erster Linie für die steuerrechtlichen Pflichten verantwortlich gewesen sei. Der Antragsteller hat diese Aufgabenverteilung aufgrund der Anstellungsverträge zwischen ihm als dem kaufmännischen und dem Mitgesellschafter als dem technischen Geschäftsführer der GmbH dem Grunde nach bestätigt. Das FA hat damit sein Auswahlermessen, das von den Gerichten gemäß § 102 FGO nur eingeschränkt unter den Gesichtspunkten der Ermessensüberschreitung, des Ermessensfehlgebrauchs und der Ermessensreduzierung auf null geprüft werden kann (Gräber / von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 102 Rdnr. 2), nicht verletzt. Es stellt weder eine Überschreitung bzw. Unterschreitung der gesetzlichen Ermessensgrenzen noch eine Verkennung des Ermächtigungszwecks (§ 191 Abs. 1 AO 1977) dar, wenn der für den technischen Bereich eines Unternehmens zuständige Geschäftsführer zu Lasten des kaufmännischen Geschäftsführers, den jedenfalls auch bei der grundsätzlich bestehenden Gesamtverantwortung für die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen eine größere Verantwortlichkeit trifft, von der Haftung nach § 69 AO1977 freigestellt wird.

Der Antragsteller blieb aufgrund der getroffenen Zuständigkeitsregelung in erster Linie - vor dem Mitgeschäftsführer - für die Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer und Kirchensteuer auch dann verantwortlich, wenn sich die Aufgabenbereiche der beiden Geschäftsführer in der praktischen Handhabung - wie mit der Beschwerde vorgetragen - überlagert haben sollten und alle wichtigen Entscheidungen von den Mitgeschäftsführern gemeinsam getroffen worden sind. Das FA konnte - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - bei seiner Entscheidung zum Auswahlermessen auch berücksichtigen, daß dem Antragsteller leichter als dem technischen Geschäftsführer ein grobes Verschulden i. S. des § 69 AO 1977 nachgewiesen werden konnte.

Im übrigen ergibt sich aus der Beschwerdeschrift nicht, daß der Mitgeschäftsführer entgegen der Zuständigkeitsregelung faktisch innerhalb der GmbH einen Aufgabenbereich übernommen hat, zu dem auch die Abführung der von den Arbeitslöhnen einbehaltenen Steuerabzugsbeträge an das FA gehörte. Wenn der Mitgeschäftsführer im Rahmen der Auftragsdurchführung den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmte, sowie deren Arbeitseinheiten einschließlich etwaiger Überstunden überprüfte, berechnete und die zur Lohnabrechnung erforderlichen Anweisungen an die Lohnbuchhaltung gab, so beschränkte sich seine Mitwirkung an der Lohnabrechnung auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitgeber (GmbH) und den Arbeitnehmer. Zur Berechnung des zutreffenden Arbeitslohns war es - wie der Antragsteller vorträgt - nötig, daß der technische Leiter des Unternehmens, der den Arbeitseinsatz der Arbeitnehmer bestimmte und überwachte, der Lohnbuchhaltung Angaben über die geleisteten Arbeitsstunden machte. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergibt sich aber nicht, daß es der Mitgeschäftsführer auch übernommen hat, für die Abführung der nach der Lohnabrechnung einbehaltenen Steuerabzugsbeträge an das FA zu sorgen. Der Antragsteller hat vielmehr selbst vorgetragen, daß die Verhandlungen mit dem FA und der Bank (zur Bewirkung der notwendigen Zahlungen) ihm persönlich oblegen haben.

Soweit sich der Antragsteller auf eine den unterschiedlichen Wohnsitzen der Geschäftsführer entsprechende Funktionsaufteilung zwischen diesen beruft, wonach er die Leitung der B-GmbH in X übernommen hat, der Mitgesellschafter und -geschäftsführer dagegen für den gesamten inneren Bereich der hier maßgeblichen GmbH in Y tätig gewesen sein soll, kann diese im vorliegenden Haftungsverfahren keine Berücksichtigung finden. Nach den Feststellungen des FG hat die B-GmbH ab . . . keinen Geschäftsbetrieb mehr geführt. Für die Richtigkeit dieser Feststellungen spricht, daß ab diesem Zeitpunkt für diese GmbH keine Steuerrückstände mehr bestehen. Der Antragsteller, der sich nach eigenem Vorbringen sogar während des Bestehens beider Gesellschaften beinahe täglich in Y aufgehalten hat, war also im hier maßgeblichen Haftungszeitraum wieder uneingeschränkt in der Lage, seinen Verpflichtungen als Geschäftsführer für den kaufmännischen Bereich der A-GmbH nachzukommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63602

BFH/NV 1992, 575

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