Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung selbständiger zu nichtselbständiger Tätigkeit

 

Leitsatz (NV)

1. Soweit nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. Oktober 1990 IV B 6 -S 2332- 73/90 (BStBl I 1990, 638) Mitarbeiter bei Hörfunk und Fernsehen grundsätzlich nichtselbständig tätig sind, handelt es sich um eine sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, der keine Rechtsnormqualität zukommt und die die Gerichte nicht bindet.

2. Falls die tatsächlichen Verhältnisse von den vertraglichen Vereinbarungen abweichen, sind die tatsächlichen Gegebenheiten für die Qualifizierung einer Tätigkeit als selbständig bzw. nichtselbständig ausschlaggebend.

3. § 96 FGO gebietet nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch den Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1; FGO §§ 76, 82, 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; UStG § 2 Abs. 1 S. 1; ZPO § 373

 

Verfahrensgang

Sächsisches FG (Urteil vom 15.11.2007; Aktenzeichen 2 K 2207/05)

 

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt.

a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) gestützt, setzt eine Zulassung voraus, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellt, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. März 2000 V B 23/00, BFH/NV 2000, 1148; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32). Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus welchen Gründen im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im Allgemeininteresse liegt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2007 XI B 26/07, BFH/NV 2008, 213; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32, m.w.N.).

b) Soweit das FA rügt, das Finanzgericht (FG) habe bei der lohnsteuerlichen Beurteilung der Tätigkeit der Moderatoren/ Nachrichtensprecher rechtssystematisch unzutreffend und entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf das Berufsbild eines Journalisten i.S. des § 18 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes abgestellt, fehlt es bereits an der abstrakten Formulierung einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage. Das FA rügt letztendlich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG. Damit macht es materiell-rechtliche Fehler, also die inhaltliche Unrichtigkeit des FG-Urteils geltend, was die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung jedoch nicht rechtfertigt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. Dezember 2006 IX B 139/05, BFH/NV 2007, 1084, unter 4.; vom 10. Februar 2005 IX B 169/03, BFH/NV 2005, 1057;vom 1. April 2008 IX B 257/07, BFH/NV 2008, 1331).

2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen.

a) Dieser Revisionsgrund erfasst zwar auch die Zulassung wegen eines schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehlers, sofern dieser geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Ein derartiger Fehler liegt jedoch nur dann vor, wenn die angefochtene FG-Entscheidung objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. April 2008 X B 57/07, BFH/NV 2008, 1192).

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Soweit das FA darauf hinweist, dass nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. Oktober 1990 IV B 6 -S 2332- 73/90 (BStBl I 1990, 638) Mitarbeiter bei Hörfunk und Fernsehen grundsätzlich nichtselbständig tätig sind, handelt es sich dabei um eine sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, der keine Rechtsnormqualität zukommt und die die Gerichte nicht bindet (vgl. allgemein BFH-Urteil vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754, unter II.3., m.w.N.). Das FG hat seinem Urteil indes zutreffend die Rechtsprechung des BFH zur Abgrenzung von selbständiger zu nichtselbständiger Tätigkeit zugrunde gelegt. Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist es im Rahmen einer Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu dem rechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt, dass die Mitarbeiter der Klägerin und Beschwerdegegnerin nichtselbständig tätig sind.

b) Auch die vom FA behauptete Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) liegt nicht vor.

aa) Eine Abweichung ist nur gegeben, wenn das FG in einer bestimmten entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Meinung vertritt als ein anderes Gericht und das angefochtene Urteil auf dieser Divergenz beruht. Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2007 XI B 193/06, BFH/NV 2007, 1887, m.w.N.). Keine Abweichung liegt daher vor, wenn das FG erkennbar von den Rechtsgrundsätzen der BFH-Rechtsprechung ausgeht, diese aber fehlerhaft auf die Besonderheiten des Streitfalls anwendet; denn nicht die Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils im Einzelfall, sondern nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen rechtfertigt die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (vgl. BFH-Beschluss vom 19. September 2007 XI B 133/06, BFH/NV 2008, 41; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55, jeweils m.w.N.).

bb) Soweit das FA rügt, das FG weiche in seiner Entscheidung von den Urteilen des BFH vom 14. Juni 1985 VI R 152/82 (BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661) sowie vom 20. Januar 1972 IV R 1/69 (BFHE 104, 169, BStBl II 1972, 214) dadurch ab, dass es die Aufklärung der zugrunde liegenden Verträge nicht für erforderlich halte, ist schon nicht erkennbar, dass das FG einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, nach dem es für die Abgrenzung von selbständiger zu nichtselbständiger Tätigkeit ausschließlich auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt. Vielmehr legt das FG seinem Urteil (Seite 6) ausdrücklich die BFH-Rechtsprechung zugrunde, nach der in die Würdigung des Gesamtbilds der Verhältnisse auch die der Tätigkeit zugrunde liegenden Vertragsverhältnisse einzubeziehen sind.

Selbst wenn das FG jedoch einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt haben sollte, nach dem es für die Abgrenzung von selbständiger zu nichtselbständiger Tätigkeit ausschließlich auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, wäre diese Abweichung nicht entscheidungserheblich. Wenn die vertraglichen Vereinbarungen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, ergibt sich durch das alleinige Abstellen auf die tatsächlichen Verhältnisse keine abweichende rechtliche Beurteilung. Falls die tatsächlichen Verhältnisse von den vertraglichen Vereinbarungen abweichen, sind die tatsächlichen Gegebenheiten ausschlaggebend (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1988 X R 40/81, BFHE 153, 437, BStBl II 1988, 804, unter II.3.b; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 8. Aufl., § 2 Rz 92). Auch dann ergibt sich somit durch das alleinige Abstellen auf die tatsächlichen Verhältnisse keine vom FG abweichende rechtliche Beurteilung.

cc) Das FA rügt ferner, das FG weiche von der Rechtsprechung des BFH ab, indem es bei seiner Entscheidung das Ausstellen von Rechnungen durch die Mitarbeiter berücksichtigt und damit zumindest konkludent auf die Charakterisierung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Beteiligten abgestellt habe. Auch diesen angegriffenen Ausführungen des FG kann kein abstrakter Rechtssatz entnommen werden. Vielmehr beanstandet das FA auch insoweit lediglich die Rechtsanwendung durch das FG.

3. Auch die vom FA geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.

a) Die Rüge des FA, das FG sei seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 FGO) dadurch nicht ausreichend nachgekommen, dass es die von ihm --dem FA-- genannten Zeugen nicht gehört habe, geht fehl.

aa) Gemäß § 82 FGO i.V.m. § 373 der Zivilprozessordnung erfordert der Beweisantritt durch Vernehmung von Zeugen die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll. Das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen müssen genau angegeben werden (vgl. BFH-Beschluss vom 23. April 2008 V B 159/07, BFH/NV 2008, 1347, m.w.N.).

Der im Streitfall in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag, zum Beweis dafür, "dass das nicht zutreffend sei, wie es die Klägerseite darlegt", die Mitarbeiter A,B und C als Zeugen zu hören, reicht insoweit nicht aus, weil damit ein Beweisthema nicht ordnungsgemäß bezeichnet wird. Vielmehr hätte das FA insofern konkrete Tatsachen angeben müssen.

bb) Soweit das in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertretene FA weitere Sachaufklärungsmängel geltend macht, hat es ausweislich des Sitzungsprotokolls diese vermeintlichen Verstöße des FG in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2007 nicht gerügt; es kann sich deshalb mit der Nichtzulassungsbeschwerde hierauf nicht mehr berufen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Beschluss vom 19. Februar 2008 XI B 205/07, BFH/NV 2008, 1210, m.w.N.).

b) Ferner liegt kein Verfahrensfehler aufgrund eines Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO vor.

Ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, insbesondere wenn das Gericht bei seiner Entscheidung von einem Sachverhalt ausgeht, welcher dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten widerspricht, oder wenn das Gericht eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007 X B 89/07, BFH/NV 2008, 599, m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 96 FGO nicht gebietet, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch den Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673).

Deswegen ist auch die Rüge, das FG habe gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, indem es die Aussage des Geschäftführers der Komplementär GmbH nicht berücksichtigt habe, die Entlohnung der Nachrichtensprecher erfolge nur für Stunden, in denen sie im Studio anwesend seien, nicht begründet.

Entgegen dem Vorbringen des FA hat das FG in seinen Entscheidungsgründen auch auf die vom Marketingleiter D gestellten Rechnungen Bezug genommen (Seite 8 des Urteils) und diese damit bei seiner Entscheidung berücksichtigt.

Soweit das FA weitere Verfahrensfehler rügt, beanstandet es in Wirklichkeit die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls durch das FG. Dies rechtfertigt jedoch die Zulassung der Revision nicht. Denn die Tatsachen- und Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen von Verfahrensrügen entzogen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 2008 XI B 169/07, BFH/NV 2008, 830).

Ebenso ist die Rüge des FA, die vom FG getroffenen Feststellungen würden nicht seine Entscheidung tragen, materiell-rechtlicher Natur, die nicht die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers rechtfertigt (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Mai 2007 VIII B 132/05, BFH/NV 2007, 1681, m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2102427

BFH/NV 2009, 394

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Hartz, ABC-Führer Lohnsteuer (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge