Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Abweg. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Verpassen des Zughaltes. Einschlafen. objektive Beweislast: betrieblicher Grund

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Abweg besteht erst wieder Versicherungsschutz, wenn sich die Versicherte wieder auf dem direkten Weg befindet und der Abweg beendet ist (Anschluss an BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 60).

2. Versicherungsschutz kann ausnahmsweise auch auf einem Abweg bestehen, wenn dieser im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit zum Beispiel der Beschaffenheit des Weges steht.

3. Die Nichterweislichkeit des Umstandes, dass ein Versicherter sich zum Unfallzeitpunkt trotz festgestellten Abweges auf einem nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützten Weg befand, geht zu seinen Lasten.

 

Orientierungssatz

Im Falle eines Abweges ist nicht allein die Handlungstendenz des Versicherten auf dem Abweg maßgeblich. Vielmehr sind auch die den Irrtum begründenden Umstände mit einzubeziehen, da ein Abweg grundsätzlich nur unter bestimmten Voraussetzungen unter Versicherungsschutz steht.

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 29. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen unter Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Der Kläger zu 1.) ist der Ehemann und die Klägerin zu 2.) die Tochter der am 18. Juni 2014 tödlich verunglückten R. H. (Versicherte). Die 1975 geborene Versicherte war im Schichtdienst als Fleischereifachverkäuferin in I. beschäftigt. Am 17. Juni 2014 arbeitete sie nach den im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben ihres Arbeitgebers von 10:00 bis 18.30 Uhr und am 18. Juni 2014 von 5:00 bis 13:00 Uhr. Die Versicherte verließ daraufhin die Filiale und stieg in die von I. über A. Richtung E. fahrende Regionalbahn ein. Da sie eingeschlafen war, stieg sie nicht wie üblich am Heimatbahnhof A. aus, sondern verblieb im Zug in Richtung E. Sie verließ diesen an der Haltestelle S. Sie beabsichtigte sodann die Bahngleise zu überqueren, um den am gegenüberliegenden Bahnsteig bereitstehenden Gegenzug Richtung A. zu erreichen. Dabei telefonierte sie mit ihrer Tochter, der sie mitteilte, dass sie sich verspäten werde. Beim Überqueren der Bahngleise wurde sie von einer Rangierlok erfasst und verstarb laut Totenschein um 14:39 Uhr an den Folgen der erlittenen Verletzungen.

Die Beklagte zog eine Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 20. Juni 2014, einen Lageplan des Bahngeländes und den Ermittlungsbericht der Polizei bei.

Mit Bescheid vom 15. August 2014 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen (Witwer- und Waisenrente sowie Sterbegeld) wegen des Ereignisses vom 18. Juni 2014 ab. Die Versicherte habe sich ab dem Bahnhof A. nicht mehr auf dem unmittelbaren Weg vom Ort der Tätigkeit zu ihrem Wohnort befunden. Dieser Abweg sei nicht versichert. Verkehrsbedingte Gründe für den Abweg seien nicht erkennbar. Eine betriebliche Ursache für das Einschlafen im Zug sei ebenfalls nicht feststellbar. Der hiergegen durch die Kläger eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2015 zurückgewiesen.

Dagegen haben die Kläger am 2. März 2015 Klage erhoben. Der Versicherungsschutz lebe mit Beendigung der Unterbrechung wieder auf. Der Abweg sei beendet gewesen, als die Versicherte den Zug am Bahnhof S. verlassen habe. Zu dieser Zeit sei ihre Handlungstendenz ausdrücklich darauf gerichtet gewesen, nach Hause zu kommen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. Mai 2017 abgewiesen. Die Voraussetzungen eines Wegeunfalles lägen nicht vor. Die Versicherte sei über ihren Heimatbahnhof hinaus gefahren und habe sich damit auf einem unversicherten Abweg befunden. Besondere Umstände, die den Versicherungsschutz auch auf Abwegen begründen könnten, seien nicht feststellbar. Die Versicherte habe am Vortag, dem 17. Juni 2014, gegen 18:30 Uhr ihre Beschäftigung in der Filiale in I. beendet. Zwar habe sie am Unfalltag bereits um 5:00 Uhr ihre dortige Beschäftigung wieder aufgenommen. Der Vortrag im Verfahren, dass sie aber allenfalls sechs Stunden zum Schlafen zur Verfügung gehabt habe, sei rein spekulativ. Unerheblich sei die Handlungstendenz, den Weg nach Hause zurückzulegen.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Die Versicherte sei aufgrund des Schichtdienstes übermüdet gewesen. Die Ausführungen des Sozialgerichts Gotha, dass vielfältige Gründe für ein Einschlafen im Pendlerzug zu finden seien, seien nicht überzeugend. Bereits der Zeitpunkt des Einschlafens nach 13:00 Uhr lasse auf eine Übermüdung schließen. Ferner sei die Handlungstendenz der Versicherten zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht ausreichend beachtet worden. Die Handlungstendenz sei darauf gerichtet gewesen, den ursprünglich versicherten Weg wieder aufzunehmen. Daher sei ab dem Aus...

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