Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Sozialgeld. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. internetfähiger Computer nebst Zubehör. Teilnahme am pandemiebedingten Schulunterricht im heimischen Umfeld. Zumutbarkeit von Gebrauchtgeräten. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Anschaffung eines internetfähigen Endgeräts nebst Zubehör zur Teilnahme am pandemiebedingten Hausschulunterricht stellt einen anzuerkennenden Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II in dessen verfassungskonformer Auslegung (vgl BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 13/18 R = BSGE 128, 114-120 = SozR 4-4200 § 21 Nr 31) dar.

2. Da das SGB II keinen Anspruch auf bestmögliche Versorgung vermittelt, sondern nur die Befriedigung einfacher und grundlegender Bedürfnisse garantiert, ist es dem Leistungsempfänger grundsätzlich zumutbar, Gebrauchtgeräte zu verwenden.

3. Der Antragsgegner kann seine Verpflichtung aus der einstweiligen Anordnung auch dadurch erfüllen, dass er die Kosten in Höhe von maximal 500,- EUR für die Anschaffung der Objekte durch die Antragstellerin selbst übernimmt.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 08. September 2020 abgeändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ein internetfähiges Endgerät nebst Zubehör (Bildschirm, Tastatur, Maus, Drucker und drei Druckerpatronen) zur Verfügung zu stellen. Er kann diese Verpflichtung auch dadurch erfüllen, dass er Kosten in Höhe von maximal 500,- EUR für die Anschaffung der genannten Objekte durch die Antragstellerin selbst übernimmt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die 2007 geborene Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner laufende Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie besucht derzeit die achte Klasse der Staatlichen Grund- und Regelschule F in N. Ihre Mutter beantragte mit Schreiben vom 05. Juni 2020 (Bl. 86 f. d. VwA.) beim Beklagten die Übernahme der Kosten für einen Computer mit Bildschirm, Tastatur und Maus sowie einen Drucker mit Patronen für den Schulunterricht, da dieser derzeit nur noch online stattfinde und die Teilnahme der Antragstellerin ohne die begehrten Geräte nicht möglich sei. Die Kosten bezifferte sie unter Vorlage von Angeboten des „O“ mit EUR 720,07, wobei der Preis für Patronen offensichtlich nicht einberechnet war. Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 17. Juni 2020 ab (Bl. 94 f. d. VwA.). Die Antragstellerin erhob gegen den Bescheid am 23. Juni 2020 Widerspruch (Bl. 96 f. d. VwA.). Im Laufe des Widerspruchsverfahrens legte sie ein Schreiben der Schule vom 08. September 2020 (Bl. 112 d. VwA.) vor, in dem aufgrund der coronabedingten Schulschließungen die Notwendigkeit der Anschaffung bestätigt wurde. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 17. September 2020 (Bl. 123 ff. d. VwA.) zurückgewiesen. Dagegen hat die Antragstellerin am 29. September 2020 Klage erhoben.

Am 20. August 2020 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen für die Anschaffung eines internetfähigen Computers nebst Zubehör zu gewähren.

Der Antrag wurde durch Beschluss vom 08. September 2020 abgelehnt. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Gegenwärtig bestehe trotz der Pandemielage Präsenzpflicht im Unterricht. Der Umstand, dass der Vater der Antragstellerin an einer Lungenerkrankung leide, sei vom Gericht nicht zu bewerten, solange die Antragstellerin den Unterricht noch besuche und über ihren Antrag auf Befreiung von der Präsenzpflicht noch nicht entschieden worden sei.

Gegen den am 09. September 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die am 30. September 2020 beim Landessozialgericht eingegangen ist und mit der die Antragstellerin ihr Begehren weiterverfolgt.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 8. September 2020 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Anschaffung eines internetfähigen Computers, eines Computer-Bildschirms, einer Computer-Maus, einer Computer-Tastatur, eines Druckers und Drucker-Patronen zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Beschwerde für unzulässig, weil der Beschwerdewert nur 708,07 EUR betrage. Der Betrag für die begehrten Geräte sei weit überzogen. Im Übrigen stehe die Versorgung von Schülern aus bedürftigen Elternhäusern durch Maßnahmen von Landkreis bzw. Stadt unmittelbar bevor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten verwiesen. Diese waren Gegenstand der geheimen...

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