0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 77 wurde durch Art. 1 PflegeVG v. 26.5.1994 (BGBl. I S. 1014) mit Wirkung zum 1.1.1995 in Kraft gesetzt. Abs. 1 der Vorschrift wurde durch das 1. SGB XI-ÄndG v. 14.6.1996 (BGBl. I S. 830) mit Wirkung zum 25.6.1996 und erneut grundlegend durch das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) v. 28.5.2008 (BGBl. I S. 874) mit Wirkung zum 1.7.2008 geändert. Abs. 1 wurde durch Art. 1 Nr. 29 des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) v. 23.10.2012 (BGBl. I S. 2246) mit Wirkung zum 30.10.2012 neu gefasst. Abs. 1 Satz 1, 3 und 4 sowie Abs. 2 wurden durch Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) v. 21.12.2015 (BGBl. I S. 2424) mit Wirkung zum 1.1.2017 geändert.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift dient vorrangig dem Zweck, bestehende Versorgungslücken im Bereich der häuslichen Pflege durch gezielt eingesetzte, wohnortnahe Hilfen zu schließen. Abs. 1 ermöglicht zur Erfüllung des Normzwecks unter Ausschluss bestimmter Personenkreise den Abschluss von Einzelverträgen mit geeigneten Pflegekräften, gibt deren Voraussetzungen vor und schreibt die vertraglichen Mindestinhalte fest. Mit der Neufassung des Abs. 1 durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz zum 30.10.2012 hat der Gesetzgeber die bisherige "Kann"-Regelung des Satzes 1 zur "Soll"–Regelung weiterentwickelt und ferner einen klarstellenden Hinweis in die Vorschrift aufgenommen, dass auch Einzelpflegekräfte mit Pflegebedürftigen Pflegeverträge i. S. d. § 120 abzuschließen haben. Im Übrigen wurde der bisherige Inhalt des Abs. 1 ohne wesentliche rechtliche Änderungen lediglich redaktionell neu gefasst.

Abs. 2 räumt den Pflegekassen bei Bedarf als weitere rechtliche Option die Anstellung eigener Pflegekräfte zur Sicherstellung der Versorgung ein.

2 Rechtspraxis

2.1 Verträge mit Einzelpersonen

2.1.1 Allgemeine Grundsätze

 

Rz. 3

Nach Abs. 1 Satz 1 sollen die Pflegekassen zur Sicherstellung der körperbezogenen Pflege, der pflegerischen Betreuung sowie der Haushaltsführung i. S. d. § 36 Verträge mit einzelnen geeigneten Pflegekräften schließen, um dem Pflegebedürftigen zu helfen, ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen oder dem besonderen Wunsch des Pflegebedürftigen zur Gestaltung der Hilfe zu entsprechen. Hierbei wird seit Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz zum 1.1.2017 aus Gründen der anspruchsbegründenden Einbindung auch Demenzkranker nicht mehr zwischen körperlichen Einschränkungen einerseits sowie kognitiven und psychischen Einschränkungen andererseits differenziert. Der Gesetzgeber gibt den Pflegekassen insoweit auch außerhalb des grundlegenden Systems der Zulassung von Pflegeeinrichtungen (§ 71) durch Versorgungsvertrag gemäß § 73 ein Instrumentarium an die Hand, durch Abschluss von Verträgen mit Einzelpersonen die pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung im ambulanten Bereich sicherzustellen. Allerdings kommt eine vertragliche Inanspruchnahme von Einzelpersonen i. S. d. Abs. 1 nur bei der Gewährung von Sachleistungen nach § 36, nicht sonstiger Leistungen, in Betracht (Leitherer, in: KassKomm., Bd. 2, § 77 Rz. 9). Die Regelung ermöglicht es den Pflegebedürftigen, eine ihren individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechende Versorgung zu verwirklichen. Insoweit hat der Gesetzgeber diese Rechte der Pflegebedürftigen zum 1.7.2008 durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz v. 28.5.2008 gestärkt und hieran auch im Zuge der weiteren Änderung des Abs. 1 durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz v. 23.10.2012 in der Sache festgehalten. Die Option des Abschlusses von Einzelverträgen ist nämlich nach der Gesetzesbegründung für die Pflegebedürftigen insbesondere dort sinnvoll, wo sich aus dem Blickwinkel der Leistungsberechtigten im Rahmen der Pflegesachleistungen deren individuell gewünschtes Leistungsspektrum auf Dauer verbessern lässt (vgl. BT-Drs. 16/7439 S. 69).

 

Rz. 4

Zulässig ist auch, einen Einzelvertrag mit mehreren Pflegekassen abzuschließen. Ebenso kann ein Einzelvertrag mit einer Pflegekraft nach § 77 für mehrere Pflegefälle abgeschlossen werden. Praktische Bedeutung hat diese rechtliche Möglichkeit vor allem infolge der von dem Gesetzgeber durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz v. 28.5.2008 eingeführten Regelung des § 36 Abs. 1 Satz 5 erlangt, die den Pflegebedürftigen die Möglichkeit einer gemeinsamen Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie von Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung (sog. Poolen von Leistungsansprüchen) innerhalb neuer Wohnformen (z. B. Wohngemeinschaften, betreutes Wohnen) eröffnet. Die in diesem Zusammenhang für die Nutzung des Einzelvertrages als Versorgungsmöglichkeit erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen hat der Gesetzgeber durch eine Lockerung der bis zur Neufassung des Abs. 1 durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz geltenden Voraussetzungen für einen Vertragsabschluss geschaffen (ähnlich ...

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