Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Ermittlung der Pflegestufe. Pflegebedarf. Kind mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kinder mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte haben ab der Geburt einen erheblichen Pflegemehrbedarf gegenüber gesunden gleichaltrigen Kindern. Der Pflegemehrbedarf betrifft insbesondere die Ernährung in einem Umfang von 15 bis 30 Minuten je Mahlzeit.

2. Es bestehen erhebliche Zweifel an der Verwertbarkeit von Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), wenn die Gutachter die zu pflegende Person nicht untersuchen und auch keine Erhebungen über die Verrichtungen der Grundpflege vornehmen. Eine Befragung der Pflegeperson ist zur Feststellung des Hilfebedarfs nicht ausreichend.

 

Orientierungssatz

1. Zum Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe II eines Kindes mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bis zum operativen Verschluss der Gaumenspalte.

2. Nach den Erfahrungswerten des Interdisziplinären Zentrums für Gesichtsfehlbildungen der Medizinischen Hochschule Hannover dauert die Ernährung von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten immer 15 bis 30 Minuten länger als bei Kindern ohne Spaltbildung.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2013 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 27. Dezember 2012 bis zum 31. Oktober 2013 Leistungen nach der Pflegestufe II und für die Zeit ab dem 1. November 2013 Leistungen nach der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung streitig.

Der 2012 geborene Kläger ist bei der Beklagten sozial pflegeversichert. Er leidet an einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Nach der Geburt erhielt er eine Trink- sowie eine Gaumenplatte.

Am 27. Dezember 2012 beantragte der durch seine Mutter vertretene Kläger Pflegeleistungen von der Beklagten. Die Gutachterin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung N und im Lande B (MDK) H. schätzte den Hilfebedarf des Klägers im Gutachten vom 7. Februar 2013 auf 20 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege. Die Beklagte lehnte hieraufhin den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 8. Februar 2013 ab.

In dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Mutter des Klägers geltend, dass dessen Hilfebedarf erheblich höher sei. Es komme zu einem vermehrten Spucken nach den Mahlzeiten durch Mund und Nase, wodurch Hände, Gesicht und Haare weiträumig verschmutzt würden. Der Zeitaufwand läge für die hierdurch erforderliche Wäsche bei 20 Minuten. Die Trinkplatte, die Gaumenspalte und der Nasenraum müssten zwingend nach jeder Nahrungsaufnahme und jedem Erbrechen gereinigt werden. Für die hierfür durchschnittlich zehnmaltäglichen Reinigungen fielen 70 Minuten an. Die Trinkschwäche führe zu einer stark verlängerten Trinkzeit. Diese betrage durchschnittlich 60 Minuten pro Mahlzeit. Aufgrund des Erbrechens müsse der Kläger mehrfach täglich umgekleidet werden. Hierfür seien 30 Minuten täglich erforderlich.

Die Beklagte beauftragte den MDK mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens. Die Gutachterin des MDK I. schätzte den Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Grundpflege im Gutachten vom 30. April 2013 ebenfalls auf 20 Minuten täglich.

Die Beklagte folgte den Gutachten des MDK und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2013 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 6. August 2013 bei Gericht eingegangene Klage.

Im Oktober 2013 erfolgte der Verschluss der Gaumenplatte des Klägers. In dem Bericht vom 7. Dezember 2013 über die im Oktober durchgeführte Krankenhausbehandlung ist ausgeführt, dass die Ernährung nach der Korrekturoperation von Lippen- und Gaumen aufwändig bleibe. Die betroffenen Kinder benötigten für die Umstellung von Milch- und Breinahrung auf feste Nahrung erhebliche Unterstützung und erheblichen Zeitaufwand.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Kinderarzt Dr. med. J., der den Kläger untersuchte und einen täglichen Hilfebedarf des Klägers gegenüber gesunden gleichaltrigen Kindern im Bereich der Grundpflege bis Juni 2013 von 153 Minuten und von 173 Minuten im Wochendurchschnitt bis Oktober 2013 feststellte. Für die Ernährung berücksichtigte er einen Mehrbedarf von 130 Minuten bis Juni 2013 und danach von 150 Minuten täglich bei sechs Mahlzeiten. Nach dem operativen Eingriff habe sich der Hilfebedarf ab November 2013 auf täglich 54 Minuten im Wochendurchschnitt im Bereich der Grundpflege verringert.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme der Gutachterin des MDK K. eingeholt, die den Feststellungen des Sachverständigen nicht zu folgen vermochte.

Der Sachverständige hat in einer ergänzenden Stellungnahme sein Gutachten näher erläutert.

Eine vierte Gutachterin des MDK, L., vertrat die Auffassung, dass der Hilfebedarf in den Gutachten des MDK auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme des Sachverst...

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