Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. ehrenamtlicher Richter. Wegfall einer persönlichen Voraussetzung zwischen Zugang der Ernennungsurkunde und Wirksamwerden der Ernennung. zwingende Amtsentbindung

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn eine persönliche Voraussetzung zur Berufung als ehrenamtlicher Richter (hier Kassenzulassung eines Arztes) zwischen dem Zugang der Ernennungsurkunde und dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ernennung wegfällt, ist § 22 Abs 1 S 1 SGG anwendbar und es erfolgt eine Amtsentbindung ohne Ermessen.

 

Tenor

Der ehrenamtliche Richter am Sozialgericht München, Herr Dr. A., wird mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als ehrenamtlicher Richter entbunden.

 

Gründe

I.

Der betroffene ehrenamtliche Richter, aus verfahrenstechnischen Gründen Antragsteller genannt, wurde mit Schreiben des Sozialministeriums vom 16.06.2014 mit Wirkung vom 01.08.2014 für eine neue Amtsperiode zum ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Vertragsärzte berufen. Er wurde den Kammern für Streitsachen in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts bzw. für Vertragsärzte zugeteilt. Die laufende Amtsperiode hätte bis 31.07.2019 gedauert.

Die Kassenzulassung des Antragstellers endete bereits am 01.07.2014. Dies wurde dem Sozialgericht erst im März 2017 anlässlich einer Ladung zu einer Sitzung bekannt. Der Antragsteller wurde zur Amtsentbindung angehört.

II.

Der Antragsteller ist gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von seinem Amt zu entbinden, weil eine Voraussetzung für seine Berufung fehlte. Das Amtsentbindungsverfahren kann auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen erfolgen.

1. Nach § 12 Abs. 3 SGG kann ein Arzt in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts oder in Angelegenheiten für Vertragsärzte als ehrenamtlicher Richter nur mitwirken, wenn er Vertragsarzt ist. Die Zulassung als Vertragsarzt ist eine unabdingbare Voraussetzung, um in diesen Angelegenheiten ehrenamtlicher Richter zu sein (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 12 Rn. 6b; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 22 Rn. 7). Diese persönliche Voraussetzung fehlte dem Antragsteller ab 01.07.2014.

2. Es besteht kein Ermessen, ob eine Amtsentbindung nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGG erfolgt, weil ein Fall der zwingenden Amtsentbindung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGG gegeben ist.

a) Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGG ist ein ehrenamtlicher Richter von seinem Amt zu entbinden, wenn das Berufungsverfahren fehlerhaft war oder das Fehlen einer Voraussetzung für seine Berufung oder der Eintritt eines Ausschließungsgrundes bekannt wird. Diese Amtsentbindung ist zwingend. Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGG kann eine Amtsenthebung erfolgen, wenn eine Berufungsvoraussetzung im Laufe der Amtszeit des ehrenamtlichen Richters wegfällt. In einem derartigen Fall steht die Entscheidung im Ermessen des Gerichts.

Hier endete die Kassenzulassung zwischen dem Zugang des Ernennungsschreibens und dem Beginn der neuen Amtsperiode. Es ist daher zu klären, welcher Fall der Amtsentbindung hier vorliegt.

b) Die Berufung eines ehrenamtlichen Richters erfolgt durch einen Verwaltungsakt von Seiten der nach Landesrecht dafür zuständigen Stelle, § 13 Abs. 1 S. 1 SGG. Die Ernennung des Richters erfolgt durch Aushändigung der im Verwaltungsakt verkörperten Ernennungsurkunde (BVerfG, Beschluss vom 09.12.1985, 1 BvR 853/85, Rn. 13). Das spräche dafür, hier einen Fall mit Ermessen nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGG anzunehmen.

c) Aus systematischen Gründen, wegen des Wortlauts und des Zwecks der Regelungen ist hier aber von einem Fall der zwingenden Amtsentbindung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGG auszugehen.

§ 22 Abs. 1 S. 3 SGG eröffnet eine Ermessensentscheidung, wenn eine Berufungsvoraussetzung des Richters “im Laufe seiner Amtszeit wegfällt„. Die Amtszeit beginnt aber erst mit Wirksamwerden der Berufung oder erneuten Berufung. Dann ist der Zeitraum davor § 22 Abs. 1 S. 1 SGG zugewiesen.

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGG will nicht nur durch seine erste Alternative die Gewähr geben, dass das Berufungsverfahren keine Verfahrensfehler enthält, sondern mit § 22 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGG auch das materielle Ergebnis des Berufungsverfahrens sichern. Diese zweite Alternative fordert eine zwingende Amtsentbindung, wenn das Fehlen einer Voraussetzung für die Berufung des einzelnen Richters bekannt wird. Es soll nur jemand ein Richter werden, der auch die persönlichen Voraussetzungen dafür mitbringt. Dann ist nicht auf den Verwaltungsablauf der Berufung und den Zugang des Ernennungsverwaltungsaktes abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Ernennung.

Die Zeitdauer, wie lange ein Richter bei Wegfall einer Berufungsvoraussetzung noch im Amt ist, ist ein Kriterium der Ermessensentscheidung nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGG. Wenn die Berufungsvoraussetzung aber für die vollständige Amtsperiode fehlt, liegt es näher, den Fall der zwingenden Amtsentbindung zuzuweisen, als in diesem Extremfall eine Ermessensentscheidung zuzulassen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 22 Abs. 2 Satz 3 SGG.

 

Fundstellen

RohR 2017, 66

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