Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.05.2019; Aktenzeichen B 2 U 27/17 R)

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 17.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2014 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin mit Wirkung ab dem 01.07.2013 weiterhin Halbwaisenrente in der ihr zustehenden gesetzlichen Höhe zu gewähren.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer Waisenrente.

Die Klägerin, geboren 1994, ist Halbwaise. Ihr Vater verstarb bei einem Arbeitsunfall 1998, der als Versicherungsfall anerkannt ist. Die Klägerin erhielt in der Vergangenheit eine Waisenrente von der Beklagten, die diese mit Bescheid vom 24.04.2013 zum Ablauf des Monats Juni entzog, da die Klägerin vom 01.08.2010 bis 19.06.2013 eine Berufsausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten erfolgreich abgeschlossen hatte. Seit dem 19.08.2013 besuchte sie die Fachoberschule, um das Fachabitur zu erlangen. Mit Schreiben vom 11.11.2013 und 06.01.2014 beantragte sie bei der Beklagten die Weitergewährung der Waisenrente ab dem 01.07.2013.

Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.02.2014 ab. Die Waisenrente erfülle den Zweck, nach dem Tod eines Elternteils den Unterhalt für die unversorgt hinterbliebenen Kinder sicherzustellen. Dieser Unterhaltsanspruch bestehe grundsätzlich bis zum 18. Lebensjahr, darüber hinaus nur, wenn sich die Waise in einer Schul- oder Berufsausbildung befinde. Dabei bestehe nur Anspruch auf eine Ausbildung. Mit dem Abschluss der Ausbildung sei daher eine Weitergewährung der Waisenrente nicht mehr möglich.

Ihren Widerspruch begründete die Klägerin insbesondere dahingehend, dass sie von vornherein die Absicht gehabt habe, das Fachabitur abzulegen. Dafür hätten zwei Möglichkeiten bestanden. Zunächst bestehe die Möglichkeit, nach dem Realschulabschluss eine sich hieran anschließende weitere zweijährige Schulausbildung zu absolvieren. Diese Schulausbildung sei im ersten Schuljahr dadurch gekennzeichnet, dass pro Woche drei Tage in einem Ausbildungsbetrieb absolviert würden und zwei Tage in der Woche in der Schule verbracht würden. Zum anderen bestehe aber auch die Möglichkeit, dass man den Fachabiturabschluss dergestalt erreiche, dass man anstatt des vorgenannten "Praxisjahres" eine spezifische Ausbildung absolviere und sich diese Ausbildung auf das erste Schuljahr anrechnen lasse. Für den letztgenannten Bildungsweg habe sie sich vor Beginn der Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte entschieden. Dementsprechend schließe sich an die Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte nunmehr eine Schulausbildung von einem Jahr in der Fachoberschule an, welche sodann mit dem von ihr bereits zu Beginn der Ausbildung angestrebten Fachabiturabschluss abschließe. Es habe von vorneherein aufgrund der beengten Kapazitäten im Ausbildungsbetrieb festgestanden, dass eine Übernahme nach Ausbildungsende nicht möglich sei. Dieser Umstand habe für sie auch kein Problem dargestellt, da es ihr darum gegangen sei, eine Lehre zu absolvieren und auf diese Art und Weise ein Jahr der Ausbildung zum Fachabitur zu "sparen". Hintergrund für die Absicht, das Fachabitur zu absolvieren, sei der Wunsch gewesen, später ein Studium zu beginnen. Sie könne sich selbstverständlich nach Absolvierung des Fachabiturs aber auch vorstellen, einen Beruf zu ergreifen, der ein Studium nicht erforderlich mache. Sie könne und wolle sich jedoch insoweit noch nicht festlegen. Ziel bleibe es nach wie vor, das Fachabitur abzulegen und sodann die verschiedenen Möglichkeiten ihrer weiteren beruflichen Tätigkeit zu sondieren.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2014 zurück. Nach § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 a SGB VlI würde Waisenrente u.a. dann über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus bis längstens zur Vollendung des 27. Lebensjahres gezahlt, wenn sich die Waise in Schul- oder Berufsausbildung befinde.

Schulausbildung sei die Ausbildung an allgemein bildenden und weiterführenden öffentlichen oder privaten Schulen nach staatlich genehmigten Lehrplänen. Bei einer Berufsausbildung würden hingegen Fachkenntnisse vermittelt. Die Ausbildung an Fachschulen, Universitäten oder ähnlichen Instituten sei demnach zweifelsfrei zur Berufsausbildung zu rechnen. Es bestehe jedoch kein Anspruch auf Gewährung einer Waisenrente wegen Berufsausbildung, wenn es sich bei der Ausbildung um eine sog. "Zweitausbildung" handele, für die nach zivilrechtlichem Unterhaltsrecht (§ 1610 Abs. 2 BGB) keine Unterhaltspflicht der Eltern gegeben sei. Die Waisenrente solle den Ausfall eines in pauschalierter Höhe unterstellten gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten (§§ 1601 ff. BGB) ausgleichen. Hiervon sei stets bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres auszugehen, danach nur noch in den Zeiträumen, in denen das Kind aus Ausbildungsgründen oder im öffentlichen Interesse gehindert sei, sich seinen Lebensunterhalt durch eigen...

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