Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitgegenstand. Einbeziehung von Folgebescheiden. Dauerrechtsverhältnis. Arbeitslosengeld II. Vertrauensschutz bei 58er-Regelung. zulässige Höhe der Abzüge für Haushaltsenergie und Warmwasseraufbereitung von den Nebenkosten

 

Orientierungssatz

1. Wenn es sich bei einem Bescheid um einen Folgebescheid mit Wirkung für einen weiteren Zeitraum im Rahmen eines sozialrechtlichen Dauerrechtsverhältnisses handelt und sich der Bescheidempfänger aus den gleichen Gründen wie gegen den Erstbescheid auch gegen jenen Bescheid wendet, so ist § 96 Abs 1 SGG entsprechend anwendbar (vgl BSG vom 12.12.1984 - 7 RAr 86/83).

2. Die analoge Anwendung des § 96 SGG ist in derartigen Fällen nicht etwa als Konsequenz der Änderung der Vorschriften des Vierten Abschnitts des SGG (Kosten und Vollstreckung) durch das SGGÄndG 6 vom 17.8.2001 (BGBl I, 2144) schlechthin ausgeschlossen (entgegen LSG Stuttgart vom 19.3.2003 - L 5 AL 753/02).

3. Der in dieser Entscheidung befürchteten Unkalkulierbarkeit des Kostenrisikos in gerichtskostenpflichtigen Verfahren kann zwanglos dadurch entgegengewirkt werden, dass als weitere Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 96 SGG verlangt wird, dass keiner der Beteiligten dem widerspricht (wie dies bereits jetzt der ständigen Rechtsprechung im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung entspricht (vgl BSG vom 28.9.1999 - B 2 U 40/98 R = SozR 3-2200 § 776 Nr 5 und vom 14.12.1999 - B 2 U 38/98 R = BSGE 85, 214 = SozR 3-2200 § 539 Nr 48).

4. Es würde möglicherweise eine verfassungsrechtlich unzulässige, da sachlich nicht zu rechtfertigende (Art 3 Abs 1 GG) Privilegierung derjenigen älteren Arbeitslosen darstellen, die sich aus dem Arbeitsmarkt im Rahmen der 58er-Regelung zurückgezogen haben, wenn dieser Personengruppe ein Vertrauensschutz hinsichtlich Art und Höhe der bis zum 31.12.2004 bezogenen Entgeltersatzleistungen zugebilligt würde, nicht aber den über 58jährigen Arbeitslosen, die in der Vermittlung verblieben sind.

5. Die in den baden-württembergischen Richtlinien zur Umsetzung des SGB 2 und SGB 12 vorgesehenen Pauschalabzüge für die Kosten der Haushaltsenergie und Warmwasseraufbereitung sind mit höherrangigem Recht nicht vereinbar, da sie über die Beträge hinausgehen, die wegen dieser Bedarfe bei der Berechnung der Regelleistung bzw des Regelsatzes berücksichtigt wurden.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 10.1.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2005 und der Bescheid der Beklagten vom 19.4.2005 werden abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1.1.2005 bis 31.10.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in Höhe von monatlich 499,26 € (anstelle lediglich 492,00 €) zu bewilligen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

5. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Der am XX.XX.XXXX. geborene, bei Antragstellung in X wohnhafte Kläger bezog bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe von der Agentur für Arbeit X, zuletzt in Höhe von 153,86 € wöchentlich. Am 3.12.2004 beantragte er Leistungen nach dem SGB II. Dabei gab er insbesondere an, allein ein Zimmer in einer Unterkunft der Stadt X zu bewohnen und hierfür monatlich einen Pauschalbetrag in Höhe von 175 € zu bezahlen. Mit Bescheid vom 9.12.2004 gewährte ihm die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zunächst für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.4.2005 in Höhe von 492 € monatlich, bestehend aus Regelleistungen in Höhe von 345 € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 147 €. Da die Kosten der Unterkunft in Höhe von 175 € direkt an die Stadt überwiesen wurden, zahlte die Beklagte dem Kläger ab Januar 2005 einen monatlichen Betrag von 317 € aus. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 10.1.2005 Widerspruch. Er trat zum einen dem Abzug von 28 € von den Wohnkosten entgegen. Zum anderen berief er sich darauf, dass er am 13.8.2004 eine Erklärung gem. § 428 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) unterzeichnet habe. Ihm stehe daher aus Vertrauensschutzgründen eine Leistung in Höhe der bisher gewährten Arbeitslosenhilfe zu.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.2.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, die Kosten für die Warmwasseraufbereitung, Kochenergie, Beleuchtung sowie den sonstigen elektrischen Aufwand seien in der Regelleistung enthalten und deshalb in Form eines Pauschalbetrages von 28 € aus der Nutzungsgebühr von 175 € herauszurechnen. Zur Frage des Vertrauensschutzes äußerte sie sich nicht.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 18.3.2005 Klage zum Sozialgericht Freiburg. Am 25.4.2005 beantragte er außerdem, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Höhe der ihm bis zum 31.12.2004 gewährten Arbeit...

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