Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeld II. mehrfache Sanktionen wegen Meldeversäumnissen. psychisch behinderter Mensch. Unverhältnismäßigkeit der Meldeaufforderungen

 

Orientierungssatz

Liegen bei einem Leistungsberechtigten erhebliche Einschränkungen im psychischen oder gesundheitlichen Bereich und dementsprechende Vermittlungshemmnisse vor und kann nach dem Inhalt der Akten nicht von einer frei bestimmten und von in der Person des betroffenen liegenden Defiziten unabhängigen Verweigerungshaltung ausgegangen werden, so ist zunächst die Gewährung von Betreuungs- und Unterstützungsleistungen zur psychischen, sozialen und rechtlichen Stabilisierung gem § 16a Nr 3 SGB 2, § 33 Abs 6 SGB 9 geboten. Die in einer solchen Situation stereotyp mehrfach erlassenen Meldeaufforderungen sind unverhältnismäßig und die nachfolgenden Sanktionen wegen Meldeversäumnissen rechtswidrig.

 

Tenor

I.

a. Der Sanktionsbescheid vom 25.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2013 (W 13247/12),

b. der Sanktionsbescheid vom 12.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2013 (W 13887/12),

c. der Sanktionsbescheid vom 12.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2013 (W 7125/13),

d. der Sanktionsbescheid vom 27.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2013 (W 14723/13),

e. der Sanktionsbescheid vom 10.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.5.2013 (W 15108/13),

f. der Sanktionsbescheid vom 19.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.5.2013 (W 380/13),

g. der Sanktionsbescheid vom 12.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.5.2013 (W 3187/13) und

h. der Sanktionsbescheid vom 08.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.5.2013 (W 2830/13),

werden aufgehoben.

Im Übrigen werden die Klagen S 12 AS 3729/13, S 12 AS 3730/13, S 12 AS 3884/13, S 12 AS 3885/13, S 12 AS 3883/13, S 12 AS 3882/13, S 12 AS 3886/13, und S 12 AS 3887/13 abgewiesen.

II. Der Beklagte erstattet 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten

der Klägerin in den in Ziff. I. genannten Klageverfahren.

 

Tatbestand

I. Die Klägerin wendet sich gegen Sanktionsbescheide nach dem SGB II und beansprucht höhere Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende (SGB II).

Die 1977 geborene, alleinstehende Klägerin bezieht seit dem 15.12.2009 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Sie bewohnt eine 1-Raumwohnung mit 26,21 m2 Wohnfläche. Die Kaltmiete beträgt monatlich 154,11 Euro. Hinzu kommen Vorauszahlungen für die kalten Betriebskosten i. H. v. monatlich 51,30 Euro und Heizkostenvorauszahlungen i. H. v. monatlich 26,03 Euro, insgesamt 231,44 Euro.

Nach Aktenlage schloss die Klägerin im Jahre 1994 die Schule mit mittlerem Bildungsabschluss (mittlere Reife) ab und absolvierte im Anschluss bis 1997 eine Ausbildung als Bürokaufmann/-frau. 1999/2000 fand eine berufliche Weiterbildung statt. In den Jahren 2000 bis 2009 war sie als Montiererin im geschützten Arbeitsbereich tätig (S. A. H.). Ein unter dem 1.7.2009 erstattetes Gutachten der Dipl.-Psychologin B. (P. D., D.), das sich bei der Vermittlungsakte des Antragsgegners befindet, kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin aus fachpsychologischer Sicht eine psychische Behinderung vorliegt, die ihre berufliche Leistungsfähigkeit deutlich einschränkt. Für die Ausübung von Tätigkeiten entsprechend ihrer Qualifikation als Bürokauffrau bringe sie keine ausreichenden Eignungsvoraussetzungen mit. Dabei stünden insbesondere die Einschränkungen auf rechnerischem Gebiet, in der sozialen Kompetenz sowie in der psychischen Stabilität im Vordergrund. Zu denken wäre allenfalls an einfache Bürotätigkeiten, wenn der Tätigkeitsschwerpunkt auf schriftlichem oder sprachlichem Gebiet liege. Für diesen Fall sei eine Auffrischung der Kenntnisse dringend erforderlich, weil berufliche Erfahrungen fehlten und die Ausbildung lange Zeit zurück liege. Empfohlen wurde eine Integration in geschützte Arbeitsbedingung ohne Zeit- und Leistungsdruck. Sie benötige vertrauensvolle Bezugspersonen und jederzeitige Hilfe und Unterstützung. Den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts würde sie nicht standhalten können.

Die gutachterliche Stellungnahme des Dr. med. F. B., Ärztlicher Dienst der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom 24.11.2009 kommt zu dem Schluss, dass die Klägerin vollschichtig tätig sein kann. Es geht von erheblichen Einschränkungen im Hinblick auf eine chronische psychische Erkrankung aus mit gewissen Neigungen zu depressiven Verstimmungen und offenbar zeitweise manischen Phasen. Hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit sei von einer Selbstüberschätzung auszugehen. Anknüpfend an das frühere Gutachten wurde die Integration in geschützte Arbeitsbedingungen empfohlen.

Die Klägerin hat sich in der Vergangenheit nicht bereit gezeigt, bei dem Beklagten zu Meldeterminen zu erscheinen. So lud der Beklagte sie mit Schreiben vom 1.4.2011 für den 19.4.2011 in das Amt ein. Es sollte gesprochen werden über den rechtlichen Zusammenhang zwischen der ihr zugesandten Eingliederungsv...

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