Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Kosten der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit inhaftiertem Kind. Besuchsfahrten der Eltern mit dem Kraftfahrzeug. keine Bagatellgrenze. Höhe des Aufwendungsersatzes

 

Orientierungssatz

1. Aufwendungen für Besuchsfahrten in eine Justizvollzugsanstalt zur Wahrnehmung eines Umgangsrechts mit einem leiblichen Kind stellen im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Eltern einen Mehrbedarf dar und sind deshalb vom Grundsicherungsträger zusätzlich zur Regelleistung zu übernehmen.

2. Dabei darf sich ein Grundsicherungsträger nicht auf eine Bagatellgrenze berufen, unterhalb derer er eine Leistungsübernahme ablehnt.

3. Bei Nutzung eines eigenen Pkw für die Fahrt darf der Grundsicherungsträger zum Ersatz der Aufwendungen eine Kilometerpauschale in Höhe von 0,10 Euro festsetzen, soweit nicht tatsächliche höhere Kosten durch den Grundsicherungsempfänger nachgewiesen sind.

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 4. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2012 wird abgeändert und der Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 28. November 2011 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 1. Dezember 2011, 24. Januar 2012, 13. Februar 2012, 3. April 2012 und 10. April 2012 abzuändern und der Klägerin Fahrtkosten für die Fahrten am 22. Mai 2012, 8. Juni 2012 und 20. Juni 2012 in Höhe von insgesamt 70,80 € zu übernehmen.

2. Unter weiterer Abänderung des Bescheides vom 4. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2012, in Gestalt des Bescheids vom 21. Mai 2012 und des Bescheids vom 27. Juni 2012 wird der Beklagte verpflichtet, Fahrtkosten für die Fahrten am 4. Juli 2012, 25. Juli 2012, 8. August 2012, 22. August 2012, 7. September 2012, 28. September 2012, 12. Oktober 2012, 2. November 2012, 16. November 2012 und 1. Dezember 2012 in Höhe von 236,00 € zu übernehmen.

3. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht im Rahmen von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit ihrem inhaftierten Sohn geltend.

Die Klägerin stand im streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit ihrem Ehemann im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 28.11.2011, 01.12.2011, 24.01.2012, 13.02.2012, 03.04.2012 und 10.04.2012 regelte der Beklagte den Leistungszeitraum vom 01.01.2012 bis 30.06.2012 und gewährte der Klägerin, ihrem Mann und ihrem 1991 geborenen Sohn 774,91 € für den Monat Januar 2012 und 760,91 € für die Monate Februar und März 2012. Für den Monat April 2012 gewährte er bis zum 17.04.2012 354,78 € und ab dem 18.04.2012 der Klägerin und ihrem Ehemann 266,89 €. Für die Monate Mai und Juni 2012 gewährte er jeweils 615,91 €.

Bereits zuvor - am 18.01.2012 - war der Sohn der Klägerin vom Amtsgericht Goslar zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt worden. Die Haftstrafe trat er am 18.04.2012 in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf an. Seit dem 09.05.2012 befindet sich der Sohn der Klägerin in der Jugendanstalt Hameln. Voraussichtliches Haftende ist der 08.05.2014.

Am 21.05.2012 beantragte die Klägerin für sich und ihren Ehemann Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.07.2012. Zugleich stellte sie einen Antrag auf Übernahme der Fahrtkosten zum Besuch ihres Sohnes in der Jugendanstalt. Sie verwies auf die Inhaftierung ihres Sohnes Mitte April 2012 und führte aus, für dessen soziale Integration nach Ende der Haft sei es notwendig, dass er zweimal im Monat Besuch von seiner Familie bekommt. Es sei ihr nicht möglich, die Kosten für die Fahrt dorthin von den laufenden Zahlungen zu übernehmen, weshalb sie einen Sonderbedarf geltend mache.

Mit Bescheiden vom 21.05.2012 und 27.06.2012 gewährte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2012 bis 31.12.2012.

Mit weiterem Bescheid vom 04.06.2012 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung des Sonderbedarfs ab. Er führte aus, es sei der Klägerin und ihrem Ehemann zumutbar, diesen Bedarf durch geringere Ausgaben in anderen Lebensbereichen auszugleichen. Bei zwei Besuchen im Monat und der Nutzung eines Niedersachsen-Tickets mit Kosten von 25,00 € für zwei Personen Hin- und Rückfahrt nach Göttingen oder Hameln lägen die Gesamtkosten unter der Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs, weshalb eine Erstattung nicht möglich sei.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 11.06.2012 Widerspruch. Sie führte aus, es sei entgegen ihrer ursprünglichen Annahme ein wöchentlicher Besuch bei ihrem Sohn erlaubt. Auch ihr Ehemann solle seinen Sohn besuchen können. Es sei ihr nicht möglich, die Kosten selbst zu tragen. Zudem legte sie ein Schreiben der Jugendanstalt Hameln vom 31.05.2012 vor, wonach regelmäßige Besuche von Bezugspersonen des Sohnes wichtig seien und die Wiedereingliederung förderten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung führte d...

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